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Klingt der Wald, dann geht es ihm gut
Wie klingt ein naturnaher Mischwald, wie ein intensiv bewirtschafteter? Und wie unterscheidet sich die Klanglandschaft eines artenreichen Waldes von einem mit geringer Biodiversität? Forstexperten und Biologen wollen künftig von der „Klanglandschaft“ eines Waldes auf dessen Zustand schließen. Die Infrastruktur für ein bundesweites akustisches Waldmonitoring wird jetzt aufgebaut.
Wälder sind voller Geräusche. Im Frühling sind Spechte, Rotkehlchen und viele andere Vogelarten zu hören. Weht der Wind, rauschen die Blätter und knarren die Zweige. Und in der Dämmerung hört man gelegentlich das Bellen von Füchsen und Rehböcken. Für Spaziergänger sind alle diese Geräusche ein meditativer Vielklang, der wesentlich zum Erholungswert der Wälder beiträgt. Aber sonst hat man sie bislang kaum beachtet. Doch das soll sich in den kommenden Jahren ändern, denn die Klänge sind nicht nur in ästhetischer Hinsicht interessant. Sie verraten auch viel über den Zustand eines Waldes. Künftig sollen in Wäldern regelmäßig Tonaufnahmen gemacht werden, um daraus abzulesen, wie es um den Wald steht. Das Ziel ist ein „akustisches Waldmonitoring“. Es soll die klassische Bestandsaufnahme ergänzen – die Bundeswaldinventur – bei der Forstexperten alle paar Jahre vor Ort in bestimmten Gebieten den Zustand der Bäume erfassen – etwa die Dichte der Kronen oder den Umfang der Baumstämme.
Weht der Wind, rauschen die Blätter und knarren die Zweige. Wälder sind voller Geräusche. Aber ist ihre Intensität in allen Wäldern gleich? Oder sind naturnahe Wälder rauschender, mehr erfüllt von Wehen und Gesang, von Gezwitscher und dem Bellen von Füchsen und Rehböcken? Akustisches Waldmonitoring als Ergänzung zur Bundeswaldinventur soll Antworten auf diese Fragen geben.
Auswertung mit KI und Algorithmen
Die Grundlagen für das „akustische Waldmonitoring“ werden jetzt im Verbundprojekt „Akwamo“ gelegt, in dem Fachleute des Thünen-Instituts für Waldökosysteme in Eberswalde, von der Universität Freiburg und des Museums für Naturkunde Berlin gemeinsam ausloten, wie sich die Geräuschkulisse der Wälder künftig bundesweit erfassen und nutzen lässt. Dafür haben die Forscher an 13 Waldstandorten in Brandenburg, Hessen und Niedersachsen Klangrekorder aufgestellt, die die Geräusche aus der Umgebung aufnehmen und speichern. Das Projekt hat im Februar 2023 begonnen und wird Ende Januar 2026 enden. „In dieser Zeit werden wir rund 56 Terabyte an Daten aufgenommen haben – das ist eine Herausforderung, weil diese Daten systematisch gespeichert und ausgewertet werden müssen“, sagt der Forstwissenschaftler Franz Kroiher vom Eberswalder Thünen-Institut.
Zu diesen Daten werden nicht nur Vogelstimmen oder die Rufe von Fledermäusen zählen. „Wir wollen auch untersuchen, inwieweit wir Insekten erfassen können – zum Beispiel Heuschrecken, oder auch Füchse, Hirsche und Rehe, die typische Rufe haben“, ergänzt Sandra Müller von der Universität Freiburg. Künstliche Intelligenz und Algorithmen werden die Aufnahmen auswerten. In Zukunft sollen sie regelmäßig automatisch Artenlisten für die Waldstandorte liefern. Verändert sich das Arteninventar mit der Zeit, kann das ein Hinweis darauf sein, dass sich auch der Zustand eines Waldökosystems verändert hat.
Geräusche zum Wald in Beziehung setzen
Doch es geht nicht nur um Tiere, sagt die Vegetationsökologin Sandra Müller. „Uns interessieren auch Geräusche aus der Umgebung wie das Rauschen der Blätter und das Knarren der Bäume, denn auch das kann uns helfen, den Zustand eines Waldstandortes einzuschätzen.“ Das übergeordnete Ziel ist es, die Geräusche miteinander in Beziehung zu setzen, um Zusammenhänge zu erkennen; zum Beispiel, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Knarren der Äste und dem Zustand der Baumkronen gibt. War der Winter besonders lang und kalt, kann es sein, dass die Bäume erst spät Blätter entwickeln. In der Folge kann sich auch die Entwicklung von pflanzenfressenden Insekten verzögern. Und weiter ist es denkbar, dass dann auch Vögel, die sich von Insekten ernähren, später mit ihren Revier- und Brutgesängen beginnen. „Solche Zusammenhänge sind mit klassischen Methoden wie der punktuellen Vogel- und Insektenbestimmung nur schwer zu untersuchen“, sagt Sandra Müller. „Wir wollen schauen, inwieweit uns hier die kontinuierliche Analyse der Klanglandschaft helfen kann.“ Solche Korrelationen lassen sich natürlich nur finden, wenn die Unmengen von Daten automatisch ausgewertet und anschließend mit anderen Informationen verknüpft werden – beispielsweise den Wetterdaten von den meteorologischen Diensten.
Und wie gelangen die Tonaufnahmen ins System?
Das Projekt Akwamo soll die Voraussetzungen für ein künftiges bundesweites Monitoring schaffen. Das heißt aber auch, dass Daten bundesweit einheitlich, sicher und zugänglich abgespeichert werden müssen. Teil des Projektes ist es daher auch, einen einheitlichen Arbeitsablauf und Standards für die Aufnahmen zu schaffen. Es beginnt mit der Tonaufnahme im Wald. Alle zehn Minuten nehmen die Digitalrekorder eine Sequenz von 60 Sekunden auf. Anschließend gehen die Geräte wieder in den Schlafmodus, um Strom zu sparen. Alle drei Monate werden die Speicher-Karten entnommen und die Akkus ausgetauscht. Dann beginnt die Klanganalyse. Zum Einsatz kommt dafür unter anderem ein Algorithmus, den die Kollegen des Tierstimmenarchivs in Berlin selbst entwickelt haben. Er ist auf die Rufe von 254 europäischen Vogelarten trainiert. „Für eine künftige einheitliche Nutzung muss festgelegt werden, wie die Tonaufnahmen aus ganz Deutschland ins System gelangen“, sagt Karl-Heinz Frommolt vom Tierstimmenarchiv. „Ein solches System braucht Zugriffsrechte und muss auch sicher gegen Hackerangriffe sein.“ Auch geht es um Datensicherheit. Es ist denkbar, dass die Klangrekorder im Wald unbeabsichtigt Gespräche von Passanten mitschneiden, die sich in der Nähe aufhalten. Solche Gesprächsfetzen müssen anonym bleiben und daher automatisch erkannt und gelöscht werden.
Die Klänge des Waldes analysiert ein Algorithmus, den Forscher des Tierstimmenarchivs in Berlin entwickelt haben. Er ist unter anderem auf die Rufe von 254 europäischen Vogelarten trainiert. Das Forschungsprojekt Akwamo soll die Voraussetzungen für ein künftiges bundesweites Monitoring schaffen. Alle zehn Minuten nehmen Digitalrekorder 60 Sekunden lang Waldgeräusche auf.
Sind weniger naturnahe Wälder klangärmer?
Zu einem gewissen Grad betreten die Akwamo-Partner Neuland. Zwar gibt es seit einigen Jahren in den USA, in Australien oder auch in Norwegen und Frankreich Projekte bei denen die Klanglandschaft aufgezeichnet wird. In Deutschland aber ist ein akustisches Biodiversitätsmonitoring bislang nicht dauerhaft institutionell verankert. Es fehlt noch an entsprechender Infrastruktur. Auch muss geklärt werden, wie sich die erhobenen Daten am besten in das schon bestehende nationale Biodiversitätsmonitoring integrieren lassen. Daran arbeitet Akwamo. „Inzwischen wurden bereits akustische Indizes entwickelt, um den Zustand der Biodiversität in Wäldern zu bewerten“, sagt Sandra Müller. „Doch die sind hochabstrakt – eine Bewertung ist daher nur eingeschränkt möglich. Sie sind ein Maß der biotischen und abiotischen akustischen Aktivität, die nicht immer mit der Anzahl der Tierarten korreliert.“ Dabei gilt: Durch den Menschen verursachtes Hintergrundrauschen durch Siedlungen, Straßen- oder Flugverkehr ist meist tieffrequent. Biologische Geräusche – etwa Vogelgezwitscher – ist in der Regel höherfrequent. Nehmen die hochfrequenten Anteile mit der Zeit ab, kann das ein Anzeichen dafür sein, dass der Wald weniger naturnah ist. „Für die schnelle Bewertung von Naturgebieten sind solche Indizes inzwischen sehr gefragt, aber sie sind mit Vorsicht zu genießen“, sagt Sandra Müller. In Akwamo will sie klarere Indizes entwickeln, aus denen sich direkte Aussagen zum Waldzustand ablesen lassen. Wie verändert sich der Klang eines Waldes bei Dürre? Wie klingt ein naturnaher Mischwald, wie ein intensiv bewirtschafteter? Und wie unterscheidet sich die Klanglandschaft eines artenreichen Waldes von einem mit geringer Biodiversität? Solche fundamentalen Zusammenhänge will sie aus den Akwamo-Daten extrahieren.
Ergänzung zum klassischen Waldmonitoring
Natürlich sind alle diese Daten nur so gut, wie die Algorithmen, die sie künftig auswerten werden. Deshalb werden die Daten in Akwamo zunächst noch überprüft. Erstens durch Biologen oder Vogelstimmenexperten, die die Aufnahmen stichprobenartig abhören, um zu prüfen, ob der Computer Tiere richtig bestimmt hat. „Es gibt ja zum Beispiel Vogelarten, die andere Tiere nachahmen“, sagt Franz Kroiher – etwa Gartenrotschwänze, die Ziegenmelker nachahmen, die eher in trockener, offener Landschaft zu finden sind. „Oft ertappt man den Vogel erst nach einiger Zeit, wenn er wieder seinen typischen Gesang anstimmt. So etwas muss die Software erkennen, sonst haben wir am Ende falschpositive Befunde.“
In der nächsten Zeit werden zudem Kollegen in die Wälder fahren, um parallel zu den Klangrekorder-Aufnahmen die Tiere vor Ort zu bestimmen; der Vergleich wird zeigen, ob oder wie oft die Software bei der Tonanalyse falsch liegt. Wenn alles glatt geht, soll das akustische Waldmonitoring dann ab 2026 nach und nach bundesweit ausgerollt werden. „Die ersten Mitarbeiter von anderen Institutionen werden wir ab der Saison 2025 in die Bedienung der Audiorekorder einweisen und so langsam das Netzwerk aufbauen“, sagt Karl-Heinz Frommolt. „Das werden dann Fachleute sein, die ohnehin in den Waldgebieten unterwegs sind – beispielsweise für das klassische Waldmonitoring oder andere Projekte.“ Denn eines sei klar. Die Datenaufnahme für das akustische Waldmonitoring soll künftig ohne zusätzliche Arbeitsplätze funktionieren: Klangrekorder in den Wald hängen, Speicher-Karte wechseln und Aufnahmen in das System hochladen. Damit muss es getan sein. Schließlich soll das akustische Waldmonitoring das klassische Monitoring ergänzen – und der zusätzliche Aufwand so gering wie möglich sein.