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Foto: Heinz Bußler
Der Kurzschröter braucht Wald mit alten Eichen
Käferexperte und Naturwald-Fachmann Heinz Bußler über den kleinsten der mitteleuropäischen Hirschkäfer
Der Kurzschröter (Aesalus scarabaeoides) kommt in Deutschland so selten vor, dass es nur wenige Menschen gibt, welche die kleinste der sieben mitteleuropäischen Hirschkäferarten schon einmal mit eigenen Augen gesehen haben. Einer von ihnen ist Heinz Bußler, Insektenspezialist im Sachgebiet „Naturschutz“ der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in Freising. Im Interview erläutert er, welche Ansprüche der nur sechs Millimeter große Käfer an seinen Lebensraum stellt und warum ein Aussterben dieser alten Art verhindert werden sollte
Herr Bußler, der Kurzschröter ist seit den 1950er Jahren nur an wenigen Orten in Deutschland nachgewiesen worden. Wo hatten Sie das Glück, den Käfer zu entdecken?
Das war im Jahr 2003 im Stadtwald von Bad Windsheim, einer kleinen Kurstadt in Mittelfranken. Damals war bei Holzarbeiten unter anderem eine Eiche gefällt worden, in deren Stock wir sowohl Kurzschröter im Larvenstadium als auch Alttiere fanden. Eine solche Ansammlung von Tieren verschiedener Generationen ist nicht ungewöhnlich. Haben die Kurzschröter erst einmal einen Stamm besiedelt, können 80 bis 100 Tiere ganz unterschiedlichen Alters darin vorkommen.
Wie muss ein Lebensraum beschaffen sein, damit sich der Kurzschröter ansiedelt?
Die Käfer zählen zu den sogenannten Urwaldreliktarten. Das heißt, sie sind auf ursprüngliche, urwaldtypische Lebensräume angewiesen und kommen heutzutage eigentlich nur in jenen Wäldern vor, in denen es seit mindestens 8000 Jahren einen ausreichend großen alten Eichenbestand gibt. Die Tiere bevorzugen warme, schattige Standorte mit ausreichend Bodenfeuchte und legen großen Wert auf eine Jahresdurchschnittstemperatur von 8,5 bis 9,5 Grad Celsius. Sie beeinflusst ganz maßgeblich die Verbreitung. In Bayern kommen Kurzschröter in Lagen bis zu 350 Meter über dem Meeresspiegel vor, in Baden-Württemberg wurden sie nur in Wäldern unterhalb von 500 Metern gefunden.

Erfolg für den Heinz Bußler, Insektenspezialist aus Bayern
In Bad Windsheim veranlasste der Fund der streng geschützten Käferart, dem Kurzschröter, die Stadt, über die Einrichtung eines Naturwaldreservates nachzudenken. Zwei Jahre später wurde es eingerichtet.
Das heißt, ohne ausreichend alte Eichen hat der seltene Käfer keine Überlebenschance?
Kurzschröter wurden auch schon an Birken, Rotbuchen, Kirschen und Nadelbäumen entdeckt. In erster Linie aber besiedeln sie von Braunfäule befallene Eichen, deren Stamm dicker als 30 Zentimeter ist. Die Kurzschröter-Larven, winzige Engerlinge, leben tief versteckt im kernfaulen Holz der Eichen. Sie ernähren sich vom Mycel der holzzersetzenden Pilze, verwerten aber auch die Zuckerbestandteile des Totholzes, welche Braunfäule-Pilze wie der Schwefelporling aufschließen. Wenn man es so will, sind die Larven darauf angewiesen, dass die Pilze das Totholz vorverdauen. Dafür fressen die Tiere nach ihrer Verpuppung nichts mehr.
Ihr Leben als echter Hirschkäfer endet dann vermutlich schon nach kurzer Zeit.
Das stimmt. Nach drei Jahren im Larvenstadium, verpuppen sich die Tiere meist im Spätsommer und überdauern den Winter in einer Art Kältestarre. Im Mai oder Juni tauchen sie dann als richtige Käfer für die Paarung und Eiablage wieder auf. Die Kurzschröter leben in dieser Zeit aber ausschließlich von ihren Energiereserven aus dem Larvenstadium und zeigen sich nur in der Dämmerung oder den Nachtstunden. Zweimal wurden ausgewachsene Kurzschröter schon beim nächtlichen Schmetterlingsleuchten in Eichen-Baumkronen gefangen. Warum die Käfer in so großer Höhe unterwegs waren, wissen wir allerdings nicht. Vielleicht treffen sich paarungswillige Kurzschröter zum Rendezvous in den Baumkronen. Von anderen Käferarten kennen wir ein solches Verhalten.
Vom Totholz abhängige Tierarten finden in Naturwaldreservaten oft bessere Lebensbedingungen als in Wirtschaftswäldern. Können Naturwaldreservate auch das Überleben des Kurzschröters sichern?
Bei Urwaldreliktarten wie dem Kurzschröter kommt es weniger auf den Schutzstatus eines Waldgebietes an als auf die Kontinuität der Baumstruktur, also auf die Frage, ob es in diesem Wald seit Jahrtausenden ausreichend alte Bäume gibt. Die meisten bayerischen Naturwaldreservate wurden erst in den zurückliegenden vier Jahrzehnten ausgewiesen. Zuvor waren alle diese Gebiete Wirtschaftswald. Reliktarten wie der Kurzschröter haben da nur an sehr entlegenen oder schlecht zugänglichen Stellen überlebt. In Bad Windsheim veranlasste der Fund dieser streng geschützten Käferart die Stadt, über die Einrichtung eines Naturwaldreservates nachzudenken. Zwei Jahre später wurde es eingerichtet. Die Stadt betreibt seitdem einen intensiven Artenschutz und lässt die Eichen im Stadtwald heute noch älter werden als damals. Obwohl ich die Entwicklung der Kurzschröter-Population vor Ort nicht genau verfolge, gehe ich davon aus, dass sich die Lebensbedingungen für den kleinen Käfer im Stadtwald eher verbessert haben dürften.
Was macht Hirschkäfer wie den Kurzschröter für den Naturschutz so wertvoll?
Der Kurzschröter und einige andere Hirschkäfer werden auch als „Schirmarten“ bezeichnet, weil sie mit vielen weiteren seltenen und gefährdeten Organismen in enger Gemeinschaft leben. Auf die Larven des Kurzschröters machen zum Beispiel verschiedene Schnellkäferarten Jagd. Aufgrund dieser engen Beziehungen dienen Hirschkäfer uns zur Identifikation von Standorten, die einer besonderen Beachtung und meist auch einer besonderen Behandlung bedürfen.