Verhindert Nachbarschaft den Buchentod?
Die Rotbuche (Fagus sylvatica) wäre in Mitteleuropa ohne Einfluss des Menschen die häufigste Baumart. Sie ist die dominierende Baumart der sogenannten potentiellen natürlichen Vegetation über die weitesten Teile der Region. Alte Buchenwälder sind sehr artenreiche Ökosysteme. Zu Recht sind verbliebene urwaldähnliche Relikte, die sich über 18 europäische Länder verteilen, zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt worden. Da die Buche hierzulande nicht zu den trockenheitstolerantesten Baumarten gehört, führen trocken-heiße Jahre, wie 2018-2020 und 2022, zum Absterben mancher Buchen.
Diese Entwicklung wirft die Frage auf: Welche Aussichten bestehen für Buchenwälder angesichts des voranschreitenden Klimawandels? Manche Fachleute halten es für wahrscheinlich, dass die Buchenwälder aus weiten Teilen Deutschlands oder gar ganz verschwinden werden.
Das Schicksal von Buchenwäldern hängt jedoch auch von örtlichen Bedingungen ab – Grundwasserstand, Bodenverhältnisse, Ausrichtung der Hangneigung zur Sonne in den Gebirgen und so weiter. Das sind einige der abiotischen Faktoren. Was aber ist mit der Waldbehandlung durch die Forstwirtschaft? Wenige Untersuchungen sind bislang dem Einfluss der menschlichen Bewirtschaftung auf die Widerstands-, Erholungs- und Anpassungsfähigkeit von Buchenwäldern im Klimawandel auf den Grund gegangen sind.
Bahnte sich das Sterben lange an?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Freiburg und Göttingen und der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt haben sich dieses Themas angenommen. In einem seit 50 Jahren unbewirtschafteten Waldstück im niedersächsischen Sollinggebirge ist seit Beginn dieses Jahrtausends ein Teil des Buchenbestandes abgestorben. Die Forschenden machten sich auf die Suche nach dem Zeitpunkt der Todesursache: Lag sie unmittelbar vor dem Tod oder hatte sich das Ableben der Buchen seit längerer Zeit angebahnt?
Mit einfachen Jahresringanalysen sind sie auf bemerkenswerte Zusammenhänge gestoßen. Für Jahresringuntersuchungen werden Baumstämme vorsichtig waagerecht angebohrt, und ein Bohrkern von fünf Millimetern Durchmesser wird entnommen. Das entstehende Loch wird wieder verschlossen, damit dem Baum kein weiterer Schaden durch Pilzbefall oder andere Eindringlinge entsteht. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen entnahmen Bohrkerne sowohl aus den Stämmen von abgestorbenen als auch von lebenden Buchen. Sie maßen dann die Breite der Jahresringe. Ein Jahresring gibt Aufschluss darüber, wie der Baum in einem gegebenen Jahr zurechtgekommen ist.
Die Betrachtung ergab Unerwartetes: Die Ursache für den plötzlichen Tod von Buchen im besten Alter von ca. 165 Jahren lag bereits mehrere Jahrzehnte zurück. Intensive Dürren in den Jahren 1947 und 1976 hatten diese Bäume empfindlich gemacht für allen weiteren Stress, also für folgende Dürrejahre.
Intensive Bewirtschaftung macht Buchen zu Verlierern
Am verblüffendsten erscheint, dass die inzwischen gestorbenen Buchen zwar besonders unter den späteren Dürrejahren gelitten hatten (schmale Jahresringe), aber in Jahren mit guter Wasserversorgung auch besonders gut gewachsen waren (breite Ringe). Die Waldökologen sehen hierin einen Ausdruck eines fatalen Strategiewechsels dieser Bäume: Während sie lange Jahre, in der Enge der Nachbarschaft mit anderen Buchen, vorsichtig mit ihren Ressourcen umgegangen und langsam in die Höhe und Breite gewachsen waren, wechselten sie nach dem Ableben ihrer Nachbarn in den Modus schnellstmöglichen Wachstums und vergrößerten zu diesem Zweck ihre Baumkronen, das Volumen der Wasserleitungsbahnen im Stamm und das Wurzelgeflecht. So konnten sie in feuchten Jahren nach Belieben zulegen. In trockenen Jahren jedoch fiel diese Risikostrategie auf sie selbst zurück: Die auf hohen Durchsatz von Ressouren ausgerichteten Organismen hatten nunmehr besonders stark mit den Mangelsituationen zu kämpfen.Hier kommt nun die Waldbewirtschaftung ins Spiel: In den Folgejahren der Dürre von 1947 führten intensive Durchforstungen, eigentlich zur Stärkung einzelner Buchen angelegt, und Brennholzgewinnung zur weiteren Ausdünnung des Bestands. Die verbleibenden vereinzelten Buchen setzten nun jedoch umso mehr auf die ‚Wachstumskarte‘ und gelangten so auf die Verliererstraße.
Das verstörende Ergebnis dieser Untersuchung ist, dass schon ein oder wenige Fehler in der Waldbehandlung, gepaart mit extremen Witterungen, die Vitalität eines Baumes so schwächen können, dass es in einem späteren Dürrejahr zu seinem Tod kommt.
Kommentar
Ob Buchenwälder aus größeren Teilen Mitteleuropa verschwinden werden, lässt sich bis auf Weiteres nicht sicher beantworten. Die Vielfalt der natürlichen Bedingungen für das Wachstum von Buchenwäldern stellt jedenfalls ebenso vielfältige Überdauerungs- und Rückzugsmöglichkeiten bereit. Nun andersherum gefragt: In welchem Ausmaß und wo stehen Buchenwälder besonderen Risiken gegenüber? Eines dieser Risiken – und sicherlich nicht das geringste – ist die forstliche Bewirtschaftung dieser Wälder.
Der hier besprochenen, sehr informativen Studie sollten viele weitere zur Wirkung forstwirtschaftlicher Behandlung von Buchenwäldern folgen.
Da hier zu Tage tritt, dass die Öffnung eines Buchenbestandes zu seiner Schwächung führt, wäre es enorm wichtig, alle relevanten forstwirtschaftlichen Praktiken systematisch auf ihre potenziell schädliche Wirkung hin zu untersuchen. Hier einige wichtige Beispiele:
Bis der gesamte Themenkomplex gut genug ausgeleuchtet ist, ist nach dem Vorsichtsprinzip Zurückhaltung bei der Bewirtschaftung von Buchenwäldern geboten: In Buchenwäldern und Mischbeständen mit Buchen dürfen stets lediglich einzelne Bäume (Buchen oder andere Baumarten) entnommen werden. Und es sollten insgesamt nur so wenige Bäume wie irgend möglich gefällt werden. Nur so lässt sich die ‚Schockwirkung‘ auf Buchen, die sich aus der plötzlichen Freilassung aus den gewohnten Nachbarschaftsverhältnissen ergibt, vermeiden.
Es scheint also sehr wichtig, bei der Bewirtschaftung von Buchenwäldern, stets und ohne Ausnahme behutsam vorzugehen. Im ‚Lübecker Modell‘ wird diese schonende Behandlungsweise von Buchenwäldern und anderen Waldtypen seit 30 Jahren erfolgreich praktiziert. Um die Ausdünnung der Waldbestände zu vermeiden, ist der Blick der Försterinnen und Förster im Stadtwald Lübeck stets aufmerksam auf die Bestandesdichte und das Kronendach gerichtet. Deswegen verzichten sie lieber auf Durchforstungen und die Entnahme von ‚Bedrängern‘. Nur ein weiteres unter den vielen Elementen der schonenden Waldbehandlung nach dem Lübecker Modell sei noch genannt: Die Forstwege bleiben schmal, so dass sie stets von den Kronen der benachbarten Bäumen überwölbt sind. Der gute Erhaltungszustand der Lübecker Buchenwälder ist sicher auch diesem sorgsamen Umgang mit ihnen zuzuschreiben.
Autor: Dr. Stefan Kreft
Literatur
Dulamsuren, C., Bat-Enerel, B., Meyer, P., & Leuschner, C. (2022): Did stand opening 60 years ago predispose a European beech population to death? Trees, Forests and People 8: 100265.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2666719322000723