Bildung
Foto: Thorsten Grams, TUM
Das erstaunliche Anpassungspotenzial der Bäume
In einem für Mitteleuropa einzigartigen Experiment wurden Buchen und Fichten fünf Jahre lang unter Trockenstress gesetzt (siehe Infokasten im Text). Was man daraus für die Zukunft der Wälder im Klimawandel lernen kann, erzählt der Ökophysiologe Prof. Dr. Thorsten Grams von der Technischen Universität München im Interview.
Herr Grams, gemeinsam mit Ihrer Kollegin Prof. Dr. Karin Pritsch haben Sie den Waldboden in einem Buchen-Fichten-Bestand mit Dächern gegen den Regen abgeschirmt. Was haben Sie daraus gelernt?
Uns hat überrascht, wie gut beide Baumarten in unserem Experiment die Trockenheit überstanden haben. Es ist erstaunlich, wie sich beide Baumarten an die Situation anpassen konnten. Besonders überraschend war die Reaktion der Fichten. Wir hätten erwartet, dass die Bäume ihre Nadeln abwerfen, um die Blattmasse und damit die Verdunstung bei Dürre zu verringern. Das war nicht der Fall. In den ersten beiden Jahren kamen sie dadurch richtig unter Stress. Erst im dritten Jahr trat eine Veränderung ein: Die Fichten bildeten deutlich kürzere frische Triebe – statt der üblichen zehn bis 15 Zentimeter waren diese nur noch wenige Zentimeter lang. Das war ihre Lösung, um den Wasserverlust durch die Verdunstung zu verringern. Fichten kommen natürlicherweise in Skandinavien und in feuchten Gebirgen vor. Schutz vor Dürre ist in ihnen offenbar nicht genetisch verankert. Sonst hätten sie schneller reagiert. Es dauerte drei Jahre bis sie mit den kürzeren Trieben den Wasserverbrauch deutlich reduzieren konnten. Damit sind sie bis zum Ende des Trockenexperiments dann aber recht gut zurechtgekommen. Nur sehr wenige unserer Fichten sind durch die Dürre abgestorben.
Das Kranzberger Forst-Roof-Project
Wie können Buchen und Fichten langanhaltende Trockenheit überleben? Diese Frage haben Karin Pritsch vom Helmholtz-Zentrum München und Prof. Thorsten Grams und Prof. Hans Pretzsch von der TU München mit ihrem mehrjährigen „Kranzberger Forst-Roof-Project” (KROOF) beantwortet. Fünf Jahre lang setzten sie 60 Bäume im Kranzberger Forst nahe München unter Trockenstress – je zehn Bäume auf sechs voneinander getrennten Parzellen auf Flächen von je 150 Quadratmetern. Sechs weitere Parzellen dienten zur Kontrolle und wurden daher nicht ausgetrocknet. Die Forschungsfläche ist seit mindestens 150 Jahren bewaldet. Seit den 90er-Jahren findet keine Durchforstung mehr statt, daher ist ein relativ dichter, naturnaher Bestand entstanden. Eine Bodenverdichtung nur auf einer ehemaligen Rückegasse festgestellt werden.
In jedem Jahr spannten sie zwischen Mai und September unter den Bäumen Rollos auf, um den Regen abzuhalten. Die Bäume mussten also ausgerechnet in der warmen Zeit des Jahres ganz ohne Regenwasser auskommen. Nur im Herbst und Winter wurden die Rollos zusammengefaltet, sodass der Regen die Erde durchnässen konnte. Um zu verhindern, dass die Bäume mit neu gebildeten Wurzeln aus der Umgebung Wasser ziehen, hatten die Forscher zu Beginn des Experiments Gräben um die einzelnen Parzellen gezogen und mit Folie ausgekleidet.
Die erste Projektphase begann im Jahr 2014 mit dem fünfjährigen Dürre-Experiment. Sie hat wichtige Erkenntnisse darüber geliefert, wie Bäume auf Trockenstress reagieren, um zu überleben. Daran schloss sich 2019 die zweite Phase an – die Erholungsphase: Die Dächer wurden entfernt, sodass die Bäume seitdem wieder normal beregnet werden. Die dritte Projektphase soll im Jahr 2024 beginnen. Darin werden die Bäume erneut unter Trockenstress gesetzt – dieses Mal so lange, bis sie sterben. So soll genauer untersucht werden, welche Mechanismen bei Dürre letztlich zum Tode führen. Mehr zum Projekt hier.
Der Blick durchs Objektiv zeigt, wie der Versuch vor Ort aufgebaut war. Auf dem Waldboden wurden Dächer aufgebaut, ähnlich einem Gewächshaus, die über Rollos verfügten, die im Dachfirst verborgen waren. Bei Regen konnten diese herausgezogen werden und so verhindern, dass Regen auf den Boden um den Baum fällt. Im Boden selber waren eine Reihe von Messgeräten installiert, mit denen Zustand des Bodens und der Baumwurzeln aufgezeichnet werden konnte.
Und wie ging es den Buchen?
Wir hätten erwartet, dass die Buchen weniger Blätter bilden, um die Verdunstung zu reduzieren. Aber selbst nach fünf Jahren waren die Veränderungen an den Baumkronen minimal. Die Blattmasse verringerte sich höchstens um 10 bis 20 Prozent. Wobei diese Schätzung eher unsicher ist, weil die Unterschiede zwischen den Bäumen größer war, als der Einfluss der Trockenheit. Buchen wurzeln tiefer als Fichten – an unserem Standort etwa einen Meter tief. Wir gehen davon aus, dass ihnen daher selbst im fünften Jahr Trockenheit mehr Wasser zur Verfügung stand als den Fichten. Als Flachwurzler reichen diese größtenteils nur etwa 25 Zentimeter tief hinab. Interessant waren die Veränderungen an den Wurzeln: Die Buchen bildeten ihre Feinwurzeln an jenen Stellen zurück, die besonders trocken waren. Nur an den wenigen feuchteren Stellen bildeten sie neue Feinwurzeln aus.
In den trockenen Sommern der vergangenen Jahre sind große Fichtenbestände abgestorben. Zum Teil hat es auch Buchenbestände getroffen. Wie konnten Ihre Bäume überleben, obwohl sie im Frühjahr und Sommer überhaupt keinen Regen abbekommen haben?
In den vergangenen Jahren sind vor allem Fichten und Buchen auf sandigen und flachgründigen Böden abgestorben, die Wasser kaum speichern können. Der Boden in unserem Experiment im Kranzberger Forst hingegen hat eine hohe Wasserspeicherkapazität. Das war uns sehr wichtig: Wir mussten in unserem Trockenexperiment ja verhindern, dass die Bäume absterben – sonst hätten wir nicht untersuchen können, wie sie sich über die Jahre an die Trockenheit anpassen. Der Niederschlag im Winter hat ganz offensichtlich ausgereicht, um die Bäume durch die Sommer zu bringen.
Mit einem Anteil von Fichten (26%) und Buchen (16%) auf den Waldflächen Deutschland stellen die beiden Baumarten zwei besonders wichtige Arten in der Forschung dar. Zudem gilt die Fichte (Picea abies) bisher als Brotbaum der Forstwirtschaft, da ihre Eigenschaften in der Holzverarbeitung besonders geschätzt werden. Die Buche (genauer die Rotbuche, Fagus sylvatica) wiederum ist die dominierende Baumart in den natürlichen Waldgesellschaften Mitteleuropas. Sie ist der häufigste Laubbaum in Deutschland und gehört zu den wirtschaftlich bedeutendsten Laubhölzern Mitteleuropas.
Bedeuten Ihre Ergebnisse Entwarnung für künftige Dürren, die mit dem Klimawandel häufiger auftreten könnten?
Wie gesagt: Wir waren erstaunt, wie gut die Bäume an einem Standort wie dem Kranzberger Forst eine fünfjährige extreme Dürre überstehen. Das ist beruhigend. Wenn in Zukunft aber längere Dürreperioden schneller aufeinander folgen, ist fraglich, ob die Bäume das auf Dauer durchhalten. Vom Frühjahr 2024 an wollen wir die Bäume in der dritten Projektphase daher erneut unter Trockenstress setzen – diesmal, bis sie absterben. Wir werden auch neue Bäume untersuchen, um vergleichen zu können, ob sie der Dürre besser trotzen, als jene, die schon das erste Trockenexperiment mitgemacht haben.
Derzeit läuft noch Projektphase 2, in der sie die Böden wieder vernässt haben. Gibt es schon Ergebnisse?
Ja, sehr interessante sogar. Nach dem Ende des Trockenexperiments haben wir die Böden mit Wasserschläuchen innerhalb von zwei Tagen gewässert, um zu sehen, wie und vor allem wie schnell die Bäume reagieren. Wir waren total überrascht, wie zügig sie neue Wurzeln bildeten. Während der Trockenheit hatten die Fichten ihre Feinwurzeln teils zurückgebildet und teils in eine Art Ruhezustand versetzt. Nachdem wir gewässert hatten, trieben schon nach drei Tagen neue Wurzeln aus. Bei den Buchen konnten wir das Wurzelwachstum aus experimentellen Gründen nicht so gut beobachten. Wir gehen aber davon aus, dass es dort ähnlich ist. Die Bäume reagieren also extrem schnell, wenn der Boden wieder feucht wird. Damit wird es möglich, dass sich der Baum in Rekordzeit mit Wasser versorgt und erholt.
Apropos Nährstoffe: Unter Wissenschaftlern wird seit einiger Zeit diskutiert, ob Bäume bei Trockenheit eher verdursten oder verhungern. Was ist darunter zu verstehen?
Es handelt sich um zwei Theorien. Beim Verdursten geht es darum, dass Bäume aus dem Boden nicht mehr genug Wasser ziehen können. Normalerweise steigt das Wasser in den Leitgefäßen im Xylem, den Wassertransportbahnen, aus dem Boden zu den Blättern auf. Die treibende Kraft ist die Verdunstung, die das Wasser empor saugt. Ist der Boden ausgetrocknet, können die Wasserfäden in den Leitgefäßen „reißen“. Das ist irreparabel und ähnlich wie bei einer Embolie in den Blutgefäßen. In einem solchen Fall verdurstet der Baum. Die zweite Theorie besagt, dass der Baum bei einer langanhaltenden Dürre die Öffnungen in den Blättern schließt, die Stomata. Über diese nehmen Bäume das lebensnotwendige Kohlendioxid auf, aus dem in der Photosynthese Kohlenhydrate hergestellt werden. Bleiben die Stomata zu lange geschlossen, so die Theorie, könnte es zu einem Aushungern kommen. Dann ist die Frage, wie lange die im Baum in Form von Zuckern und Stärke gespeicherten Energievorräte ausreichen. Wir haben festgestellt, dass die Konzentration an Kohlenhydraten während der fünfjährigen Trockenphase kaum geschrumpft ist. Stattdessen haben die Bäume ihr Stammdickenwachstum reduziert, um Energie zu sparen Bei Fichten waren es etwa 70-80%, bei den Buchen nahm das Dickenwachstum um etwa 40-50% ab. Damit konnten sie bis zum Ende durchhalten. Welche Faktoren letztlich beim Sterben der Bäume die entscheidende Rolle spielen, wollen wir in Phase 3 untersuchen.
Hat die fünfjährige Trockenheit abgesehen vom verringerten Wachstum zu weiteren längerfristigen Veränderungen geführt?
Die Fichten haben sich noch nicht vollständig erholt. Auch vier Jahre nach der Wiedervernässung sind die jungen Triebe mit wenigen Zentimetern sehr kurz. Das ist wie eine Art Memory-Effekt der Dürre. Wir sind gespannt, ob das für sie von Vorteil ist, wenn wir 2024 mit der zweiten Trockenperiode beginnen – oder eher von Nachteil. Überhaupt wird uns Phase 3 noch sehr viel mehr Informationen darüber liefern, wie der Klimawandel den Wäldern auf Dauer zusetzen könnte.