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Der Steigerwald
Es gibt Landschaften, wo sich Buchen und Eichen-Gesellschaften von Natur so durchdringen, dass man sie flächenmäßig kaum trennen kann. Für 11% der ursprünglichen Wälder Deutschlands war ein Gemenge aus Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwäldern mit Labkraut-Eichen-Hainbuchenwäldern typisch. Vor allem die bunte Geologie des Keupers in weiten Teilen Frankens und Württembergs ermöglicht mit dem Wechsel sandiger bis toniger Schichten dieses Miteinander, noch begünstigt durch subatlantisch-subkontinentales Übergangsklima. Der wertvollste Komplex dieser Mischgesellschaft ist im nördlichen Steigerwald auf über 10 000 ha in einer Qualität erhalten, die diese Wälder auch aus bundesweiter Sicht für ein Großschutzgebiet qualifiziert. Im 19. Jahrhundert hatte sich hier durch Überhalten schöner Buchen eine ungewöhnliche Starkholzzucht entwickelt, die einen besonderen Markt bediente. Örtliches Kleingewerbe fertigte daraus Getreideschaufeln, die weithin vertrieben wurden. Bis ins 20. Jahrhundert waren die riesigen »Schaufelbuchen« ein Markenzeichen des Steigerwaldes.
Naturwaldreservate Waldhaus und Brunnstube
Im Ebracher Forst überlebten in Kernzonen zweier Naturwaldreservate Reste dieses unvergleichlichen Buchenerbes: das »Waldhaus«, inzwischen auf rund 100 ha erweitert, und die annähernd halb so große »Brunnstube«, beide ursprünglich traditionell extensiv und seit fünf und mehr Jahrzehnten überhaupt nicht mehr bewirtschaftet. Sie weisen inzwischen Urwaldmerkmale auf, die es so in anderen deutschen Buchenwäldern nicht gibt. Wie in Urwäldern der Karpaten repräsentieren nur wenige Uraltbuchen den Löwenanteil des lebenden Holzvorrates. Knapp zwei Dutzend 300jähriger »Schaufel buchen« machen rund 40% des Vorrats von über 800 Festmetern pro Hektar aus. Eingebettet sind die Giganten in 190-jährige Altbestände, überwiegend aus Buchen.
Doch dazwischen überdauern einzelne hochstämmige Traubeneichen mit vergleichsweise kleinen Kronen, obgleich ihnen nie eine Durchforstung geholfen hat. Die große Zeit dieser Eichen bricht jetzt an. Stirbt eine der Buchenmatronen, nutzen sie die entspannte Konkurrenzsituation und breiten ihre Äste in Lücken im Kronendach aus. Noch Jahrhunderte können solche Traubeneichen wachsen. Dank ihrer überlegenen Lebenserwartung werden sie mit Gelassenheit zwei, drei weitere Generationen der kurzlebigeren Buche überdauern. Umstürzende Uraltbuchen reißen erste Lücken, in denen sich noch vor der Buche prompt Mischbaumarten einstellen, einzelne Edellaubbäume und Hainbuchen, dazu Traubeneichen, die der Häher in solche Löcher sät. Wo der Wald gegen Rehe gezäumt ist, wachsen diese verbissempfindlichen Baumarten tatsächlich auf.
Der selten gewordene Eremit (Osmoderma eremita) fühlt sich im Steigerwald noch wohl. Der unauffällige Käfer wird auch Juchtenkäfer genannt. Er gehört zu den holzbewohnenden Arten und ist streng geschützt, da ihm in Europa immer mehr Lebensraum fehlt.
Urwaldelement Totholz
Außer Baumriesen und Ungleichaltrigkeit bieten die Ebracher Reservate durch hohe Totholzanteile ein weiteres Urwaldmerkmal. Mit weit über 100 Festmetern Totholz pro Hektar sind sie osteuropäischen Buchenurwäldern vergleichbar. Diese Mengen haben sich in nur 3 Jahrzehnten angesammelt, obgleich sich die lebende Vorratsmasse noch nicht verringert hat. Über 400 Großpilzarten wurden im Waldhaus gefunden, mehr als in jedem anderen bayerischen Waldreservat. Über die Hälfte sind Holzzersetzer mit Besonderheiten wie dem Ästigen Stachelbart, Dornigem und Igelstachelbart. Die unendliche Nischenvielfalt im toten Holz nutzen Holzkäferarten, die nach Artenzahl und Natur nähe selbst den berühmten Eichenreservaten des Spessarts oder dem »Faulen Ort« und den »Heiligen Hallen« der nord- ostdeutschen Tieflandbuchenwälder nahe kommen. Diese Artenfülle ist einer ungebrochenen Tradition zu danken, die auf dem früheren Buchenüberhalt (und einer nachlässigen Waldpflege) beruht.
Kleinengelein, die Heiligen Hallen der Förster
Ein in Forstkreisen über Deutschland hinaus berühmter Buchenbestand des Steigerwaldes ist »Kleinengelein«. Bewunderung erregen Wuchspotenz und bestechende Wertholzqualität makelloser Buchensäulen. Man hat seit 50 Jahren auf weitere Abnutzung dieses forstlichen Renommierbestandes verzichtet. Erst 2010 wurde er als nutzungsfreies Naturwaldreservat (54 ha) dauerhaft gesichert. Der ungleichaltrige und mehrschichtige Aufbau Kleinengeleins geht ebenfalls auf die Steigerwald-typische Starkholzzucht zurück.
Forstliche Schlamperei sicherte Artenreichtum
Die Steigerwald-Forstämter Gerolzhofen und Eltmann waren seit Förstergenerationen vorbildlich gepflegt. Diese saubere Wirtschaft hat jedoch zur Folge, dass selbst im uralten Kleinengelein Fruchtkörper des Zunderschwamms, dem ersten Anzeiger von Naturnähe, nicht vorkamen. Erst seit 1990 der Orkan Wiebke Altbuchen warf, darf hier Totholz liegen bleiben. Ganz anders die Ebracher Laubwälder, die wegen einer anderen forstorganisatorischen Zuordnung bis Mitte des 20. Jahrhunderts kaum eine fachgemäße Waldpflege erfahren hatten. Dieses historische Versäumnis kam jedoch der natürlichen Artenvielfalt ungemein zustatten. Inzwischen sind die Ebracher Pflegerückstände zwar behoben, aber es blieben gezielt Biotopbäume mit Specht- und Faulhöhlen und anderen für die Waldnatur wichtigen Merkmalen stehen. Aktuelle Forschungen belegen, wie sich diese so unterschiedliche Tradition waldbaulicher Behandlung unmittelbar benachbarter Forstämter auf die Lebensvielfalt ausgewirkt hat. In den Ebracher Buchenwäldern ist die Zahl der Naturnäheweiserarten bei den Pilzen um mehr als das Vierfache, bei den holzbewohnenden Käfern um das Dreifache höher als in den einseitig nach Gesichtspunkten der Wertholzprduktion bewirtschafteten Beständen der Nachbarforstämter. Doch keiner der bewusst naturfreundlich behandelten Wirtschaftswälder kann die märchenhafte Lebensvielfalt der alten Reservatsbestände gerade an seltenen und bedrohten Arten erreichen. Dank der durch Überhalt von Schaufelbuchen gesicherten Faunentradition konnte hier, für Buchenwälder höchst ungewöhnlich, sogar die Urwaldreliktart Eremit in Buchen überleben.
Auszug aus: Urwälder – Deutschland archaische Wälder von Georg Sperber/Stephan Thierfelder. Erschienen im BLV Verlag, ISBN 978-3-8354-0399-4