bockkäfer in Blüten

Foto: Beat Wermelinger

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Wozu es im Wald summt, krabbelt und brummt

Insektenforscher und Buchautor Beat Wermelinger über die ökologische Bedeutung von Insekten für den Wald und ihre Vorliebe für Gehölze mit vielen Nischen, Licht und verrottenden Baumriesen

Naturwald Akademie: Herr Wermelinger, im Oktober ist bekannt geworden, dass die Menge der Insekten in deutschen Naturschutzgebieten seit 1989 um 76 Prozent zurückgegangen ist. Sie forschen seit mehr als 25 Jahren in der Schweiz zu den Insekten des Waldes. Beobachten Sie einen ähnlichen Rückgang?

Beat Wermelinger: Um diese Frage beantworten zu können, bräuchten wir konsistente Datenreihen, welche die Entwicklung der Artenvielfalt und der Insektenanzahl im Wald über mehrere Jahrzehnte hinweg dokumentieren. Da wir bisher immer andere Projektfragestellungen hatten, haben wir solche quantitativen Beobachtungen leider nicht.

Welche Insektenarten zählen Sie denn zu den klassischen Waldinsekten?

Zu den Waldinsekten gehören all jene Arten, die im Wald leben oder sich für eine bestimmte Zeit ihrer Entwicklung im Wald aufhalten. In Europa gilt dies für rund 30.000 Insektenarten. Natürlich gibt es Waldinsekten, die auch in kleineren Feldgehölzen vorkommen, wenn sie dort ausreichend Nahrung und Schutz finden. Wir kennen aber auch Waldspezialisten wie die meisten Borkenkäfer oder einige Waldschmetterlinge. Sie sind auf das besondere Waldklima angewiesen und kommen deshalb nur im Wald vor.

Waldbiene
Foto: Beat Wermelinger

Die solitär lebenden Blattschneiderbienen (Megachile willughbiella) bauen ihre Nester in Baumlöchern oder sie graben ihre Nester selbst in markhaltigen Stängeln, Totholz oder im Boden. Die Brutzellen werden mit abgeschnittenen Blattstücken verschiedener Laubbäume oder Kräuter tapeziert. Daher heißt die Bienen auch Tapezierbienen.

In ihrem Buch bezeichnen Sie die Waldinsekten als vom Menschen verkannte Akteure des Waldes. Welche wichtigen Funktionen erfüllen Käfer, Fliegen, Wespen und Co.?

Waldinsekten zählen zu den Motoren des Waldes und übernehmen eine Vielzahl von Aufgaben. Sie bestäuben zum Beispiel viele Blütenpflanzen des Waldes. Alle leuchtend blühenden Sträucher, Kräuter und Beerengewächse wie Himbeeren und Brombeeren sind auf die tierische Hilfe angewiesen. Dasselbe gilt für Baumarten wie Ahorn, Kirsche, Weide, Linde und Vogelbeere. Außerdem helfen Waldinsekten, Samen zu verteilen und sind zusammen mit Pilzen und Bakterien am Abbau der toten Biomasse beteiligt, angefangen bei Laub über Tierkadaver bis hin zu Totholz. Sie regulieren die Zahl der pflanzenfressenden Insekten – auch der für uns schädlichen Arten, erhalten die Bodenfruchtbarkeit und sind natürlich selbst Nahrungsgrundlage für viele Vögel, Amphibien, Reptilien und Säugetiere. Von den meisten dieser Funktionen profitieren wir Menschen nicht direkt, aber sie sind unabdingbar, soll das Ökosystem Wald funktionieren.

Welche Umweltfaktoren entscheiden, wie groß die Artenvielfalt der Insekten im Wald ist?

Die Artenvielfalt hängt in erster Linie von der Strukturvielfalt des Waldes ab – also von der Frage, wie viele verschiedene ökologische Nischen der Wald bietet. Deren Zahl wiederum wird bestimmt durch die Anzahl der Pflanzenarten, durch das Nahrungsangebot, die Bodenverhältnisse und die Altersstruktur des Waldes. Je mehr verschiedene Mikrohabitate ein Wald besitzt, desto vielfältiger ist auch die Gemeinschaft der dort lebenden Waldinsekten. Entscheidend für das Artenspektrum ist außerdem, wie lange der Wald schon existiert. Je älter ein Lebensraum ist, desto mehr Insekten entwickeln sich in diesem Habitat.

Foto: Beat Wermelinger

Eine Arbeiterin der Kahlrückigen Waldameise (Formica polyctena) transportiert einen Lerchenspornsamen zum Nest. Der Samen wird später vom fettreichen, begehrten Elaiosom abgebissen und bleibt liegen. Die Ameisen tragen so entscheidend zur Verbreitung der Pflanzen bei.

Leben in Naturwäldern mehr Insektenarten als in Wirtschaftswäldern?

Ein bewirtschafteter Wald mit verschiedenen Baumarten, einer durchmischten Altersstruktur sowie Lichtungen und Wegrändern kann mindestens so viele Insektenarten wie ein Naturwald beherbergen. Es sind aber nicht dieselben Arten. In einem Urwald mit seiner langen Geschichte und vielen alten Bäumen überleben nämlich auch all jene Arten, die einen konstanten Lebensraum brauchen. Wo zum Beispiel gibt es heute noch einen Buchenstamm mit einem Durchmesser von mehr als einem Meter, der vor sich hinrotten darf, sodass sich zahllose Generationen von Pilzen und Insekten auf und in ihm entwickeln können? So etwas findet man in einem Wirtschaftswald nicht.

Die Wälder verändern sich derzeit nicht nur durch die Bewirtschaftung, sondern auch aufgrund des Klimawandels. Welche Herausforderungen warten angesichts der Erderwärmung auf die Waldinsekten? 

Grundsätzlich betrachtet, ist eine höhere Temperatur für die meisten Insekten positiv, weil sie sich schneller entwickeln. Infolgedessen steigt ihre Reproduktion. Gleichzeitig sinkt die Sterberate, weil der Zeitraum, in dem die Tiere gefressen oder parasitiert werden können aufgrund der schnelleren Entwicklung kleiner ist. Umgekehrt aber verschiebt sich infolge der steigenden Temperaturen das fein austarierte System der Beziehungen zwischen Pflanzen, Pflanzenfressern und ihren Gegenspielern. Waldinsekten wie der Frostspanner zum Beispiel sind darauf angewiesen, dass ihre Raupen genau dann schlüpfen, wenn ihre Wirtspflanzen die Knospen austreiben. Schlüpfen die Insekten zu früh, finden die Raupen keine jungen Blätter zum Fressen. Schlüpfen sie zu spät, hat sich der Rohfaser- und Stickstoffgehalt der Blätter schon nachteilig verändert. Dasselbe gilt auch für Bestäuber. Sind die Blüten noch geschlossen, wenn die Schwebfliegen und Bienen ausschwärmen, finden die Insekten keine Nahrung. Zudem wissen wir bisher wenig darüber, wie sich die Wechselwirkungen zwischen parasitischen Insekten und ihren Wirten verändern.

Es wird demzufolge Verlierer und Gewinner geben.

Definitiv. Einige Arten werden von der Erwärmung und dem erwarteten Niederschlagsrückgang profitieren. Beides zusammen setzt die Pflanzen des Waldes nämlich unter Trockenstress, was ihre Abwehrfähigkeit herabsetzt und zum Beispiel für Borkenkäfer und Blattläuse von Vorteil ist. Auf der anderen Seite wird es Verlierer geben. Zu ihnen werden vor allem jene Arten gehören, die kälteadaptiert sind und nicht einfach in die Höhe ausweichen können, weil ihre Wirtspflanzen nicht schnell genug folgen können. Damit verlieren diese Insekten ihre Lebensgrundlage.

Foto: Beat Wermelinger

Zur Person:

Dr. Beat Wermelinger erforscht seit 25 Jahren die Entwicklung und Artenvielfalt von Waldinsekten und leitet die Forschungsgruppe Waldentomologie an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) Birmensdorf, Schweiz.

Kommen wir vom langfristigen Wandel zu jahreszeitlich bedingten Veränderungen: Wie bereiten sich die Waldinsekten eigentlich auf den Winter vor?

Die meisten Insektenarten überwintern im Ei- oder Puppenstadium, während die ausgewachsenen Tiere absterben. Andere überwintern als Larve oder auch als Adulte. Damit die Insekten im Winter nicht gefrieren und sterben, bauen sie im Herbst Frostschutzmittel wie zum Beispiel Glykol in ihre Zellen ein. Diese Substanzen senken den Gefrierpunkt der Zellen und bewahren die Tiere vor dem Kältetod. Gleichzeitig fahren die Insekten ihren Stoffwechsel herunter. Manche Arten begeben sich in eine Diapause, also eine Art Winterstarre, aus der sie erst im Frühling erwachen. Andere Arten wiederum gönnen sich nur eine temperaturbedingte Ruhephase. Sie werden sofort wieder aktiv, sobald die Sonne scheint und die Lufttemperatur auch nur für kurze Zeit steigt. Eine große Ausnahme von all dem bildet der Springschwanz Ceratophysella sigillata. Er wird auch Schneefloh genannt, denn die knapp eineinhalb Millimeter großen Tiere verbringen den Sommer tief im Erdreich feuchter Wälder und kommen erst im Winterhalbjahr an die Oberfläche. Die Tiere suchen dann zu Hunderttausenden nach von Algen bewachsenen Baumstämmen, -strünken oder Totholzstücken und weiden diese ab. Bei ihren Massenansammlungen bilden die winzigen Tiere grauviolette Teppiche, die natürlich bei Schnee besonders leicht zu entdecken sind. Ein erstaunliches Naturphänomen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Literatur


Quellen und weiterführende Literatur:

Zum Buch:

Beat Wermelinger kann nicht nur begeisternd über Waldinsekten erzählen. Er fotografiert die Tiere auch seit Jahrzehnten und hat am Anfang dieses Jahres ein wunderbares Einsteigerbuch zum Thema veröffentlicht. Sein Bildband bietet faszinierende Einblicke in die Welt der Waldinsekten und sorgt mit seiner klaren, verständlichen Sprache dafür, dass man als Leser den Wald und seine Insektengemeinschaft ab sofort mit anderen Augen sieht.

Buchcover/Haupt Verlag

Wermelinger, Beat: Insekten im Wald – Vielfalt, Funktionen und Bedeutung
ISBN: 978-3-258-07993-6

  1. Auflage 2017
    368 Seiten, 580 Farbfotos
    gebunden, 18 x 24 cm, 1222 g
    Haupt Verlag
    CHF 49.90 (UVP) / EUR 49.90 (D) / EUR 51.30 (A)

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