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Neues Gesetz: Europa muss Natur schützen
Die EU-Kommission hat den EU-Mitgliedstaaten einen Booster für den Schutz der leidenden Natur verpasst. Nach Jahren des Streits tritt nun endlich das Nature Restoration Law (NRL) in Kraft. Bis 2030 müssen alle EU-Länder 20% ihrer Landflächen und Meere wiederherstellen.
Das Nature Restoration Law gilt seit dem 18. August. Es verpflichtet alle EU-Staaten dazu, die Ökosysteme wiederherzustellen und die biologische Vielfalt in den natürlichen Lebensräumen neu zu beleben und zu erhalten. Für Deutschland bedeutet das, in zeitlichen Schritten – 2030, 2050 – Schutzmaßnahmen für Lebensräume vom Wattenmeer bis zum Hochgebirge zu implementieren. Moore sollen wieder vernässt, Flüsse in ihren natürlichen Zustand gebracht, Auenwälder renaturiert werden und Wälder bis 2030 mehr Naturnähe und Biodiversität aufweisen. Nur 25 % der Arten und 30 % der Lebensräume zwischen Nord- und Ostsee und den Alpen sind in einem „günstigen Zustand“, wie überlebensfähige ökologische Zusammenhänge in Bürokratendeutsch heißen. 69 Prozent der geschützten Lebensräume befinden sich in „unzureichendem“ oder „schlechtem Zustand“.
Das neue Gesetz zur Wiederherstellung aller Ökosysteme verpflichtet die Mitgliedsländer der Europäischen Union zum Schutz alter Wälder, der Renaturierung von Auenwäldern, der Verwässerung von Mooren, der Wiederherstellung von natürlichen Flussläufen und zum Schutz der Meere. Es ist ein so ambitioniertes wie komplexes Gesetz, dessen Erfüllung Engagement und Ideen der beteiligten Staaten fordert. Denn 69% aller geschützten Lebensräume befinden sich in einem schlechten Zustand.
Der Druck auf die Natur ist groß
Der Natur in der EU geht es nicht erst seit gestern schlecht. Insofern erstaunt die Langsamkeit, mit der die EU-Kommission das NRL auf den Weg brachte. Nun, da es endlich in Kraft ist, bleibt die Frage: Wird es den entscheidenden Wandel im Umgang mit unserer Natur einleiten? Denn wie sie die Verordnung umsetzen, das entscheiden die einzelnen Mitgliedstaaten selbst. Zwei Jahre lang haben sie Zeit, der EU-Kommission einen entsprechenden Plan vorzulegen.
„Wir können froh sein, dass nun wenigstens eine Rumpfversion dieses Gesetzes durch ist“, sagt Dr. Stefan Kreft, Wissenschaftler an der Naturwald Akademie. „Die nächste Herausforderung wird die Umsetzung sein, da darf man gespannt sein, ob die Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen EU-Staaten langfristig zu guten Lösungen führen.“
Das NRL sei ein sehr komplexes Gesetz zu einem komplexen Problem, das erschwere es, Tempo bei der Maßnahmenplanung und ihrer Umsetzung aufzunehmen. Dennoch sei es wichtig, schnell Vorschläge zu liefern. „Der Druck auf die Natur durch zu intensive Land- und Forstnutzung ist enorm. Es bleibt also nicht mehr viel Zeit.“
Naturschutzgesetze hat die EU bereits in der Vergangenheit erlassen. Die Naturzerstörung hielten diese Gesetze nur teilweise auf. Denn das Primat der Wirtschaft geht vor. Laut der gesetzlichen „Ausgleichsregelung“ können Staat und Unternehmen die zerstörerischen Eingriffe in die Natur ausgleichen – entweder mit Geld an eine Naturschutzorganisation oder in dem eine andere Gegend geschützt wird. Die Ampel-Regierung hat die Naturschutzgesetze zudem mit einer Beschleunigungsregel im sogenannten Osterpaket 2023 ausgehöhlt. Seitdem gilt der Bau von Windenergieanlagen und anderen großen Infrastrukturprojekten als „gesellschaftlich vorrangig“ vor dem Schutz von natürlichen Lebensräumen, Tieren und Pflanzen.
FFH-Richtlinie war nur teilweise ein Erfolg
Am vielversprechendsten war bislang die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtline). Mit ihrer Hilfe hoffte man auf Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung besonders gefährdeter Teile der biologischen Vielfalt. Alle EU-Mitgliedstaaten wurden verpflichtet, natürliche Lebensräume sowie wildlebende Tiere und Pflanzen zu schützen, und dafür unter anderem ein zusammenhängendes Netz aus Schutzgebieten zu schaffen (Natura 2000). Die Richtlinie hat seit ihrem Inkrafttreten 1992 die Autobahn durch den Thüringer Wald, das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 und andere Bauvorhaben in Deutschland verzögert und verteuert, doch am Ende nicht verhindert. Andere naturschädliche Projekte konnten jedoch mit Hilfe der FFH-Richtlinie gestoppt werden.
Für Kreft ist die FFH-Richtlinie daher durchaus ein effektives Instrument, vor allem zur Ahndung schwerer Verstöße. „Der Europäische Gerichtshofs hat die Umsetzung gestärkt, indem er Strafgelder für Zerstörung in FFH-Schutzgebieten angedroht und, wenn nötig, auch eingeholt hat. Ein Beispiel ist der Białowieża-Wald, ein Urwald im Osten Polens, der durch Gerichtsurteile bewahrt wurde.“
In vielen Natura 2000-Gebieten konnten zudem vernünftige Kompromisse mit Landwirtinnen und anderen Naturnutzenden gefunden werden. Die Richtlinie reiche deshalb nicht aus, weil die Natura 2000-Gebiete lediglich 20 Prozent der Gesamt-EU-Fläche ausmachten.
Auch die Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union war nur teilweise erfolgreich und sorgte nicht für eine Trendumkehr. Die Maßnahmen waren zu schwach, um den Druck von außen auf die Artenvielfalt der Vögel und ihrer Lebensräume abzuwehren
Naturschutzgesetze hat die EU bereits in der Vergangenheit erlassen (siehe unten), doch oftmals war die Umsetzung nur ein mäßiger Erfolg, weil andere Interessen dem im Wege standen. Staat und Unternehmen haben zudem die Option, die Natur zu zerstören, wenn sie dafür einen Ausgleich herstellen. Entweder sie zahlen Geld an eine Naturschutzorganisation oder sorgen für Schutz in einem anderen Naturbereich.
Bringt das neue Gesetz nun den Wandel?
Nun also soll das NRL den Wandel bringen. Bis 2030 muss Deutschland auf 30 Prozent der unterschiedlichen Lebensraumtypen mit der Wiederherstellung begonnen haben. Damit die Behörden nicht lange überlegen müssen, liefert die EU-Kommission Vorschläge zur Wiederherstellung der unterschiedlichen Ökosysteme und Lebensräume gleich mit. Waldökosysteme sollten gestärkt und wiederhergestellt werden, indem Deutschland die „Anwendung von naturbasierten forstwirtschaftlichen oder Dauerwald-Ansätzen“ fördert. Auch die „Einführung heimischer Baumarten“ solle die Waldökosysteme stärken und mehr „große, alte und sterbende Bäume (Habitatbäume), und Erhöhung der Menge liegenden und stehenden Totholzes“ die biologische Vielfalt der Wälder unterstützen.
Die EU-Kommission schlägt auch vor, einen Teil der Wälder nicht länger forstwirtschaftlich zu nutzen. Die Bewirtschaftung solle die Wälder in ihrer ökologischen Kraft und Widerstandsfähigkeit stärken. „Das entspricht genau der Wirtschaftsweise des Lübecker Modells“, sagt Kreft. „Holz ist eine wichtige Ressource und man sollte die forstwirtschaftliche Nutzung keinesfalls generell verbieten. Der Ansatz des Lübecker Modells ist, auf dem größten Teil der Fläche zu wirtschaften, das aber auf eine sehr schonende Art zu tun. Und ein kleinerer Teil wird gänzlich aus der Nutzung genommen. 30 Jahre lange geht das nun schon so, und mit Erfolg. Das Lübecker Modell zeigt, dass eine Trendumkehr im Wald möglich ist.“
Wirtschaftsinteressen vor Ökologie?
Ebenfalls im Schneckentempo und seit gefühlten Ewigkeiten wird in Deutschland über die Novellierung des Bundeswaldgesetzes verhandelt. Die Novelle sollte eigentlich längst verabschiedet sein. Doch die Waldbesitzerverbände wehren sich mit allen Mitteln gegen die ökologischen Ansätze. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat nach heftigen Protesten der Forstwirtschaft etliche den Wald schützende Vorgaben abgeschwächt. Im August endlich hat das BMEL einen neuen Entwurf veröffentlicht, den Naturschutzorganisationen, auch die Naturwald Akademie, für unzureichend halten, um die Wälder und ihre Ökosystemleistungen künftig zu schützen. Hauptkritikpunkt ist die Gleichstellung ökologischer Schutz- mit Wirtschaftsinteressen. Auch in anderen waldschädigenden Punkten ist der zuständige Minister Cem Özdemir auf die Kritiker des ersten Entwurfs zugegangen. Welche Baumarten gepflanzt werden dürfen, wird nicht mehr vorgegeben, sondern ist nun Ländersache. Kahlschläge werden nun wieder einfacher genehmigt, Holzerntemaschinen dürfen großflächig fahren.
Das NRL fährt diesem Neuentwurf nun womöglich in die Parade. „Die Verordnung … bekräftigt die Notwendigkeit, von einem Waldnutzungsgesetz hin zu einem tatsächlich effektiven Waldschutzgesetz zu kommen“, heißt es in einem Rechtsgutachten für Greenpeace. Sie begründe damit in Bezug auf das Bundeswaldgesetz Handlungsbedarf. Die Regierung könne die Verordnung nicht ignorieren, würde damit EU-Recht verletzen. Verbesserungsgebot und das Gebot zur Trendumkehr seien nicht verhandelbar, die forstliche Rahmenplanung müsse also einen Beitrag zur Erfüllung der Wiederherstellungspflichten der Natur leisten. Um die Ziele der Wiederherstellungsverordnung zu erreichen, sollen keine Kahlschläge von mehr als 0,1 Hektar im Laub- und Laubmischwald und mehr als 0,3 Hektar in Nadelbaumforsten stattfinden. Verboten werden soll die flächige Kronenauflichtung, flächige Nadelbaumreinbestände, die größer als 30 x 30 Meter sind, maschinelle Bodenbearbeitung, das flächige Befahrungen von Waldböden, der Einsatz von Pestiziden und Bioziden sowie die Entwässerungen von Wäldern.
Die wichtigsten Schutzgesetze im Überblick
Eine Vielzahl von Naturschutzgesetzen der EU und der deutschen Bundes- und der Landeregierungen fordern und regeln den Schutz von Natur und Umwelt. Hinzu kommen internationale Abkommen wie zum Beispiel die Ramsar-Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten.
Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG): Das zentrale Gesetz für den Naturschutz und die Landschaftspflege in Deutschland. Es regelt u.a. die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die Pflege der Landschaft.
Wasserhaushaltsgesetz (WHG): Das WHG regelt den Schutz der Gewässer in Deutschland, einschließlich der Oberflächengewässer und des Grundwassers, und legt Anforderungen an den Umgang mit Wasser fest. Gefestigt wird der Gewässerschutz und die Renaturierung durch die EU-Wasserrahmenrichtlinie.
Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG): Das Gesetz soll die Funktionen des Bodens sichern oder wiederherstellen und schädliche Bodenveränderungen abwehren.
Für den Wald und Forstwirtschaft ist das Bundeswaldgesetz (BWaldG) entscheidend. Bislang haben wirtschaftliche Interessen Vorrang im BWaldG, was sich in der laufenden Novellierung ändern sollte. Insbesondere die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur schreibt eindeutig eine ökologische Verbesserung der Waldlebensräume vor.
Indirekt schützt auch das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) die Wälder. Es regelt Maßnahmen gegen schädliche Umwelteinwirkungen wie Luftverschmutzung, die das Ökosystem Wald schädigt.
Die EU hat die beiden maßgeblichen Richtlinien verabschiedet, die die EU-Staaten in nationales Recht überführt haben. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) hat seit 1992 (in Deutschland: 1994) das Ziel, natürliche Lebensräume sowie wildlebende Tiere und Pflanzen zu schützen. Sie ist die Grundlage für das Natura 2000-Netzwerk.
EU-Vogelschutzrichtlinie, die dem Schutz aller in Europa heimischen wildlebenden Vogelarten und ihrer Lebensräume dient.
Deutschland hat zudem internationale Abkommen unterzeichnet und sich damit zu den Zielen bekannt und sich verpflichtet, sie einzuhalten:
Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD): Das CBD fördert den Erhalt der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergebenden Vorteile.
Ramsar-Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten von internationaler Bedeutung, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Watvögel.
Berner Konvention: Ein europäisches Abkommen zum Schutz wildlebender Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume.
Literatur
Quellen und weiterführende Literatur:
- Bodenbender, L. Die EU-Verordnung über die Wiederherstellung der Natur – Ein Überblick. https://doi.org/10.1007/s10357-024-4424-x, https://rdcu.be/dRg70
- Nature Restoration Law: Handlungsbedarf für die Novellierung des Bundeswaldgesetzes
Gutachten im Auftrag von Greenpeace
https://www.greenpeace.de/publikationen/Rechtsgutachten%20NRL%20BWaldG.pdf - Erläuterungen des Nabu zum NRL. https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/naturschutz/europa/33254.html
- Erläuterung der European Commission zum NRL https://environment.ec.europa.eu/topics/nature-and-biodiversity/nature-restoration-law_en