Große Vögel brauchen alte Bäume
Die Qualität des Lebensraumes und speziell von Brutbäumen sind Schlüsselfaktoren bei der Habitatwahl waldbewohnender Vogelarten. Auch wenn einige Arten in Grundzügen die gleichen Ansprüche haben, können diese jedoch mit weiteren, sich unterscheidenden, Habitatansprüchen einhergehen.
Zawadzki et al. (2020) untersuchten deshalb die Lebensraumstruktur in der Umgebung der Horstbäume von Seeadler und Schwarzstorch. Beide Arten sind dafür bekannt, große alte Bäume mit großen Stammdurchmessern als Nistbäume zu wählen. Um die Standortansprüche der Tiere bestimmen zu können, wurde zwischen 2015 und 2019 in einem Radius von 15 m die umgebende Vegetation der Nistbäume untersucht.
Es wurden Daten zum Brusthöhendurchmesser, zur Baumhöhe, zur Höhe des Nestes über dem Boden, zur Höhe bis zum Baumkronenansatz und zur Art der Nestplatzierung (auf der Krone, in der Krone, auf einem Ast direkt am Stamm oder auf einem Seitenast etwas entfernt vom Stamm) erhoben. Für den Schwarzstorch wurden 16, für den Seeadler 19 Nestbäume im Nordosten Polens untersucht. Zum Vergleich wurden 50 zufällig ausgewählte, ausgewachsene Bäume (älter als 100 Jahre) im Untersuchungsgebiet ausgewählt, die ebenso wie die Nistbäume untersucht wurden.
Auf die Nachbarschaft kommt es an
Die AutorInnen stellen zwischen den beiden Arten verschiedene Vorlieben bei der Brutplatzwahl fest. Seeadler brüteten ausschließlich auf Kiefern, die auch bei Schwarzstörchen beliebt waren. Diese bevorzugten jedoch, wenn möglich, alte Stieleichen. Beide Vogelarten wählten Bäume aus, die größere Umfänge als die zufällig ausgewählten Bäume aufwiesen. Seeadler jedoch bevorzugten alte Bestände mit lichterem Kronendach und Seen in der Nähe ihres Nistbaumes sowie große Entfernungen zu Straßen. Die Bäume der umliegenden Bestände wiesen ein ähnliches Alter wie der gewählte Nistbaum auf. Schwarzstörche hingegen präferierten „Veteranen“-Bäume mit tiefen Kronen, die bedeutend älter sind als die Bäume in der Umgebung des Nistbaumes.
Anders als beim Seeadler spielte die Nähe zu Straßen für die Schwarzstörche keine Rolle. Die AutorInnen weisen darauf hin, dass die Nistbäume beider Arten immer älter waren als das durchschnittliche Erntealter von Bäumen in forstwirtschaftlicher Nutzung. Es wird betont, dass die Forstwirtschaft einen starken Einfluss auf die Eigenschaften von Waldhabitaten hat. Beispiele dafür sind das Bestandesalter und die -struktur, das Vorkommen unterschiedlicher Entwicklungsphasen, die Durchmesser von Bäumen bis hin zur Baumartenzusammensetzung. In den unteren Ebenen werden die Kraut- und Strauchschicht sowie der Unterwuchs durch die Bewirtschaftung und dabei eingesetzten Maschinen beeinflusst.
Somit werden viele Tier- und Pflanzenarten beeinflusst, die auf Waldökosysteme angewiesen sind. Viele Eigenschaften, die über die An- oder Abwesenheit vor allem von Vogelarten bestimmen, sind in traditionell bewirtschafteten Wäldern nicht zu finden. Somit werden Reichtum und Vielfalt der Vogelwelt durch Maßnahmen verringert, die auf menschliches Handeln zurückgehen.
Deshalb empfehlen die WissenschaftlerInnen, kleine Bereiche bis hin zu größeren Inseln aus der Nutzung zu nehmen, in denen die Bäume das Alter und die Dimension erreichen können, die für waldlebende Vögel als Nistbäume attraktiv sind. Weiterhin sollten einige Bäume mit starken horizontalen Ästen sowie Reliktbäume unberührt im Bestand verbleiben dürfen. All diese Empfehlungen sind Schlüsselelemente einer naturnahen und multifunktionalen Waldwirtschaft.
Kommentar
Die Arbeit von Zawadzki et al. macht deutlich, dass Wälder mehr sind als eine Ressource: Sie sind ein Lebensraum.
Gerade große Vogelarten waren in der Vergangenheit immer wieder Symbolfiguren des Naturschutzes. Ihr Fernbleiben oder Verringerungen der Population konnten viele Menschen für den Umweltschutz insgesamt begeistern. Ihre Rückkehr und das Erholen ihres Bestandes wurden als Maß gelungener Naturschutzmaßnahmen genutzt. Arten wie Seeadler oder Schwarzstorch können als Schlüssel- bzw. Zeigerarten für eine gesunde Waldbewirtschaftung dienen.
Sie zeigen, wie wichtig es ist, Wälder nicht nur als eine Ansammlung von Baumindividuen zu verstehen, sondern sie ökosystemar und in Vernetzung mit der umliegenden Landschaft zu betrachten. Das Bedürfnis dieser großen Vögel nach einer Vielzahl alter Bäume stellt auch das aktuelle Konzept der Habitatbäume in Frage. Es ist nicht ausreichend, vereinzelte, für den Holzmarkt wertlose Bäume von der Nutzung auszuschließen, es ist vielmehr nötig, die alten Bäume als Stützpfeiler des Waldökosystems zu verstehen und insgesamt mehr von ihnen in Beständen heranwachsen zu lassen. Letztendlich können so vom Engagement für wenige symbolträchtige Arten viele kleinere Arten – Tiere wie Pflanzen – mitprofitieren und die dadurch geschaffenen alten, strukturreichen Wälder sind besser gegen Störungen, wie Trockenheit und Sturm, gewappnet.
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Quelle
Zawadzki et al.
Nest-site selection by the white-tailed eagle and black stork – implications for conservation practice
Forest Ecosystems (2020) 7:59
doi.org/10.1186/s40663-020-00271-y