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Großes Klimaschutzpotenzial der europäischen Wälder

Die Urwälder und alten Wälder Europas sind wichtige Kohlenstoffspeicher und effektive Kohlenstoffsenken. Urwälder enthalten mehr als doppelt so viel Kohlenstoff wie ein durchschnittlicher Wirtschaftswald und können dazu beitragen die Klimaschutzziele der EU bis 2030 zu erreichen. Schon bei behutsam geringerer Nutzung steigt das Klimaschutzpotenzial bewirtschafteter Wälder, zeigt eine europaweite Studie.

Wälder sind ein riesiger Kohlenstoffspeicher. Wird Kohlenstoff jedoch als Kohlendioxid freigesetzt, dann treibt es den Klimawandel an. Am kohlenstoffreichsten sind Urwälder, da große und dicke Bäume große Mengen Kohlenstoff speichern. Urwälder sind außerdem effektive Kohlenstoffsenken, wie Wissenschaftler vielfach nachgewiesen haben. Sie entziehen der Atmosphäre trotz ihres reifen Alters weiterhin Kohlenstoff. Und die Urwälder tragen dazu bei, dass die EU ihre Klimaschutzziele des Green Deal bis 2030 erreichen kann, wie eine europaweite Studie zeigt.

Urwälder wurden in Europa in den vergangenen Jahrhunderten intensiv genutzt und durch jüngere Waldbestände ersetzt. Daher sind Urwälder auf diesem Kontinent selten. Ließen Waldbesitzer die Wirtschaftswälder wieder wachsen, so dass sie sich zu einem urwaldähnlichen Zustand entwickeln, würde Kohlenstoff in großem Umfang der Atmosphäre entzogen und als Biomasse in Bäumen und im Waldboden gebunden.

Der Kohlenstoffgehalt der europäischen Urwälder

Daten über die verbleibenden europäischen Urwälder sind spärlich und verstreut. Ein internationales Team aus 32 Waldforschenden hat daher Daten aus allen europäischen Ländern ohne Russland zusammengetragen. In Ländern ohne Urwälder wie Deutschland, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich an alten Wäldern orientiert, soweit sie wesentliche Merkmale eines Urwalds aufweisen.

Herausgekommen ist ein Überblick über den Kohlenstoffgehalt der europäischen Urwälder. Die Urwälder und alten Wälder Europas sind reich an Kohlenstoff und enthalten 2,3-mal mehr als ein durchschnittlicher Wirtschaftswald. Im Vergleich aller Waldtypen und Regionen wäre der Kohlenstoffgehalt der Mischwälder des klimatisch milden Westeuropas natürlicherweise am größten. Aber auch die Bergmischwälder der gemäßigten und mediterranen Klimate Europas können sehr biomasse- und damit kohlenstoffreich werden.

Der Serrahn im Müritz-Nationalpark zählt wegen seiner urwaldähnlichen Eigenschaften zu den Untersuchungsgebieten der Studie (Foto: Lennart Stein, September 2024)

Wirtschaftswälder haben großes Klimaschutzpotenzial

Urwälder existieren nur noch auf grob geschätzt drei Prozent der Fläche Europas. Das heißt: Der Großteil der Landmasse wird bewirtschaftet. In einem Gedankenspiel errechnet das Team der Studie den Klimaschutzeffekt der Wirtschaftswälder, wenn sie sich natürlich entwickeln könnten zu einer neuen Waldwildnis. Im Ergebnis ist die Menge des von diesen Wäldern eingefangenen Kohlenstoffs so groß, dass die EU-Staaten allein damit auf Jahrzehnte die europäischen Klimaschutzziele im Landnutzungssektor erreichen könnten.

Die Autoren der Studie befürworten jedoch die Bewirtschaftung der Wälder. Dazu zählt die sinnvolle Nutzung von Holz, nicht aber die Verfeuerung im großen Maßstab. Auch für das Klimaschutzpotenzial bei fortgesetzter Bewirtschaftung der Wälder stellen die Waldforschenden eine aufschlussreiche Rechnung an, die mit dem Erntezeitpunkt zu tun hat. Waldnutzende legen bei der Bewirtschaftung für jede Baumart und jeden Wuchsort eine sogenannte Zielstärke fest. Erreicht ein Baum den vorbestimmten Stammdurchmesser, wird er geerntet. Die Zielstärke liegt zum Beispiel in den Mischwäldern Europas – gemittelt über alle Baumarten und Wuchsorte – bei etwa 50 Zentimetern. Wenn Waldnutzende die Zielstärke nach oben setzen, die Bäume also länger wachsen und umfangreicher werden, wird damit eine erstaunliche Menge Kohlenstoff zusätzlich im Waldökosystem angereichert. Würde die Zielstärke auf 70 Zentimeter heraufgesetzt, wüchse der Kohlenstoffgehalt des Wirtschaftswaldes von 25 Prozent auf 57 Prozent verglichen mit einem Urwald.

Bedeutung der Studie für die Waldpolitik und die forstwirtschaftliche Praxis

Das Klimaschutzpotenzial der europäischen Wälder ist also enorm. Deshalb plädieren die Waldforschenden dafür, die verbleibenden Urwälder endlich streng zu schützen. Die Zeit drängt, da in den vergangenen Jahren enorme Urwaldflächen abgeholzt wurden. Außerdem sollte die Fähigkeit der bewirtschafteten Wälder stärker genutzt werden, das Treibhausgas CO2 zu binden.

Der wissenschaftliche Erkenntnisreichtum der Studie ist beeindruckend. Dabei decken sich die Ergebnisse in ihren Grundzügen mit der Waldvision für die Europäische Union, einer Untersuchung der Naturwald Akademie aus dem Jahr 2020.

Urwälder und alte Wälder sind  von großer Bedeutung für den Klimaschutz. Aber sie stellen auch andere Ökosystemleistungen in besonderem Umfang bereit. Sie tragen zur Kühlung der Landschaft bei, erzeugen Regen und bieten Raum für Erholung. Und sie bewahren die natürliche Vielfalt von Waldökosystemen, ihrer Lebensgemeinschaften und genetisch unterschiedlich ausgeprägten Populationen. Darüber schweigt auch die besprochene Studie nicht, gleichwohl soll hier noch einmal betont werden: Der Wert von Wäldern für die Menschen ist vielfältig und besteht keineswegs nur darin, Kohlenstoff zu speichern.

Wie die Studie zeigt, hat die Entscheidung, Bäume erst bei einem höheren Stammdurchmesser zu ernten, eine starke Hebelwirkung. Das ist auch ohne Weiteres möglich, wie die Forstpraxis im Lübecker Stadtwald zeigt. Dort werden Buchen erst bei einer Zielstärke von 65 Zentimetern geerntet, in manchen Fällen auch bei 70 Zentimetern. Und auch andere Forstbetriebe der Wald-Allianz haben schon auf höhere Zielstärken umgestellt.

Forschungsmethoden

Die Daten für die Studie wurden aus wissenschaftlichen Publikationen und einer existierenden Datenbank zu europäischen Urwäldern zusammengetragen. Daten über naturnahe, strukturreiche, alte Wälder wurden ergänzt, soweit sie in nationalen Waldinventuren wie der deutschen Bundeswaldinventur erfasst sind. Die daraus entstandene Datenbank deckt etwa 15.000 Untersuchungsflächen oder -punkte ab. Fachleute für die einzelnen Länder stellten sicher, dass die Daten aus den nationalen Waldinventuren richtig interpretiert werden.

Autor: Dr. Stefan Kreft

Literatur


Keith, H., Kun, Z., Hugh, S., Svoboda, M., Mikoláš, M., Adam, D., Bernatski, D., Blujdea, V., Bohn, F., Camarero, J.J., Demeter, L., Di Filippo, A., Dutcă, J., Garbarino, M., Horváth, F., Ivkovich, V., Jansons, A., Ķēņina, L., Kral, K., Martin-Benito, D., Molina-Valero, J.A., Motta, R., Nagel, T.A., Panayotov, M., Pérez-Cruzado, C., Piovesan, G., Roibu, C.-C., Šamonil, P., Vostarek, O., Yermokhin, M., Zlatanov, T. & Mackey, B. (2024). Carbon carrying capacity in primary forests shows potential for mitigation achieving the European Green Deal 2030 target. Communications Earth & Environment 5: 256.

https://www.nature.com/articles/s43247-024-01416-5