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Heilige Hallen und Nationalpark Müritz, Serrahner Teil
Bedeutendste Reste der weltweit bedrohten Tiefland-Buchenwälder in Nordostdeutschland, insbesondere artenreiche Waldmeister-Buchenwälder auf Jungmoränen; uralt und berühmt: Heilige Hallen und Fauler Ort mit Reife- und Zerfallsphase; Zunderschwamm, Stachelbart und seltene Käfer.
Tiefland-Buchenwälder sind weltweit die seltenste Waldgesellschaft im Areal der Buche. Keine wurde durch Rodung und Umwandlung in Nadelforste weiter zurückgedrängt als diese. Die bedeutendsten Reste blieben in der Norddeutschen Tiefebene übrig. Die größten zusammen hängenden Komplexe überlebten als Waldmeister-Buchenwälder auf den Endmoränen der letzten Eiszeit im nördlichen Brandenburg und südlichen Mecklenburg-Vorpommern, 90.000 ha, ein Fünftel bis ein Sechstel der Weltvorkommen. Die Poratzer und Grumsiner Endmoränen und der Choriner Endmoränenbogen bergen mit zusammen 10.000 ha die größten zusammenhängenden Tiefland Buchenwälder der Welt. Ansehnliche Buchenflächen wurden durch das Großschutzgebietprogramm der DDR unmittelbar vor der Wende in den Nationalparks Jasmund und Müritz, aber auch in Kernbereichen der Biosphärenreservate Schorfheide-Chorin, Uckermärkische Seen und Südost-Rügen total geschützt und aus der Nutzung genommen.
Der Mittelspecht (Dendrocopos medius), eigentlich ein Eichenwaldspezialist, bewohnt auch urwaldartige Buchenwälder. Die Art benötigt zur Nahrungssuche Baumkronen mit grobrindigen Ästen und Stammbereichen. Mittelspechte sind Standvögel, die ihre Jungen in selbst gezimmerten Baumhöhlen großziehen. Sie gehören zu den wenigen Vogelarten mit einem Verbreitungsschwerpunkt in Mitteleuropa, etwa 20 % brüten in Deutschland, weshalb Deutschland eine besondere Verantwortung für die Erhaltung dieser Tierart trägt. In Mitteleuropa findet die Art heute geeignete Lebensräume vor allem in Auengebieten und in naturbelassenen Laubwäldern. Wesentlich ist auch die Größe der Waldgebiete selbst. Stark fragmentierte Wälder oder Gehölze unter 10 Hektar werden daher kaum besiedelt.
Vom Reichtum des Alters in Heiligen Hallen
Seit langem berühmt sind zwei kleine Buchenwaldreservate, die Heiligen Hallen und der Faule Ort. Über 300 Jahre alt und seit über 100 Jahren ohne forstliche Nutzung, durchlaufen sie die dramatische Phase von natürlichem Zerfall und beginnender Erneuerung, die heute in Buchenwäldern Mitteleuropas nur in seltensten Ausnahmefällen zu beobachten ist. So war es nicht verwunderlich, dass sich bei vergleichenden Felduntersuchungen die beiden Kultobjekte Heilige Hallen und Fauler Ort nach allen Kriterien der Naturnähe als überlegen erwiesen. Selbst das bereits seit 50 Jahren total geschützte Serrahner Reservat ist noch deutlich entfernt von der Naturnähe der seit 150 Jahren verschonten Referenzflächen, die als einzige voll ausgereift die Phase des natürlichen Zerfalls durchleben. Der Waldort Heilige Hallen ist der bekannteste Buchenbestand des baltischen Buchenwaldareals. Er gilt als einer der ältesten Buchenbestände in Deutschland, wenn nicht als ältester überhaupt. Bereits um 1850 hatte Großherzog Georg von Mecklenburg Strelitz verfügt, diese Buchen in seinem Hofjagdrevier »für alle Zeit zu schonen«. Um 1850 hatte der damals rund 150-jährige Bestand die »späte Optimalphase« eines Hallenbestandes erreicht, die Assoziationen zu gotischen Domen weckte. 1908 wurde der 25,7 ha große Bestand als Naturdenkmal eingetragen, 1938 als Naturschutzgebiet anerkannt, das im Laufe der Zeit durch eine Schutzzone auf 60 ha erweitert wurde. Der Bestand hatte bis 1950 die Reifephase durchschritten, seither setzte örtlich vermehrt Zerfall und Verjüngung ein. 300-jährige und ältere Buchengiganten mit Durchmessern bis 1,30 m und Höhen bis zu 50 m er reichen ihre natürliche Altersgrenze, sterben allmählich ab oder werden vom Sturm geworfen. Das Kronendach ist heute durchbrochen und auf der halben Fläche entwickelt sich Buchennachwuchs. Immer noch übertrifft der lebende Holzvorrat mit 567 Festmetern pro Hektar den hiebsreifer Wirtschaftsforste. Die verschiedenen Entwicklungsphasen treten nebeneinander auf, in hohen Anteilen reife Endstadien und die des Zerfalls, daneben solche der Verjüngung und erneuten Heranwachsens. Totholz hat sich zu einer gewaltigen Menge von über 200 Festmetern pro Hektar angehäuft, 35% der lebenden Holzmasse entsprechend. Wie in Buchen-Urwäldern üblich steht ein Drittel der Baumleichen in Form von dicken Hochstümpfen, übersät mit Konsolen des Zunderschwamms, zwei Drittel liegen dahingestreckt, im modernden Vergehen von vielfältigem Leben durchdrungen.
Der Ästige Stachelbart (Hericium coralloides) wächst nur auf den Stämmen sehr morscher Laubbäume. Er ist meistens, wie hier in den Heiligen Hallen, auf Buchen zu finden, kommt jedoch auch auf Eichen, Ulmen, Eschen Pappeln und Birken vor. Die Art ist in Mitteleuropa weit verbreitet, jedoch überall selten. Die auffälligen, weißen Fruchtkörper erscheinen im Herbst. Solange der Pilz noch jung ist, kann er verzehrt werden. Aufgrund ihrer Seltenheit sollte die Art geschont werden
Fauler Ort
Trotz des urtümlichen Eindrucks, den die Heiligen Hallen vermitteln, ist dieser berühmte Buchenaltbestand kein »Urwald«. Aus seiner Geschichte ist bekannt, dass hier während des Dreißigjährigen Krieges eine Siedlung zur Wüstung wurde.
Der zweite uralte Bestand, das Naturschutzgebiet Fauler Ort, ebenfalls seit 150 Jahren ohne Holznutzung, ist hingegen immer Wald gewesen. Trotz der im ursprünglichen Kernbereich nur 13,6 ha großen Fläche umgibt dieses Totalreservat ein besonderer Hauch des Urigen. Der nach Westen zu einem Talgrund mit See abfallende Jungmoränenhang ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch eine Bahnstrecke nach Osten abgeschnitten. Obendrein von unzähligen Hangquellmooren durchzogen, ist der Faule Ort seit 150 Jahren für forstliche Nutzung unzugänglich.
1938 als Naturschutzgebiet ausgewiesen, ist er 1990 auf 77 ha erweitert worden als strenges Totalreservat, das grundsätzlich nicht mehr betreten werden darf. Der Vorrat an lebenden Bäumen wie an Totholz ist dem der Heiligen Hallen vergleichbar. Mit einem Durchmesser von 153 cm wurde die mit Abstand stärkste Buche hier vermessen, und selbst zwei Winterlinden erreichen, für Waldlinden ungewöhnlich, Durchmesser über einem Meter.
Auszug aus: Urwälder – Deutschland archaische Wälder von Georg Sperber/Stephan Thierfelder. Erschienen im BLV Verlag, ISBN 978-3-8354-0399-4