Bienen im Anflug auf Baum

Foto: Norbert Poeplau

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Imkern im Wald

Früher ernteten Menschen Honig von Bienenvölkern, die in Bäumen lebten. Doch lange war die Baumimkerei, die Zeidlerei, hierzulande fast völlig vergessen. Jetzt wollen deutsche Imker sie neu beleben. Dieser Trend könnte dazu beitragen, Wälder bienenfreundlicher und damit auch deutlich artenreicher zu gestalten.

In der russischen Republik Baschkortostan westlich des Urals pflegen Familien seit rund 500 Jahren eine alte Tradition: die Baumimkerei oder auch Zeidlerei. In etwa zehn Meter Höhe schlagen sie Wohnhöhlen in die Bäume, damit sich darin Honigbienen ansiedeln. Die Zeidlerei ist eine Kunst, denn die Höhlen müssen die richtige Größe und Form haben, damit sie für die Bienen attraktiv sind. Auch dürfen die Bäume durch das Anlegen der Höhle nicht zu schwer verletzt werden. In Russland ist der Honig aus der Zeidlerei gerade in Mode. In den Feinkostgeschäften der Großstädte geht der aromatische dickflüssige Honig für gutes Geld über den Tresen.

Bienen im Baum
Foto: Norbert Poeplau

Die Zeidler legen die Baumhöhlen, die sogenannten Beuten, so an, dass die Bäume etwa einen Kilometer Abstand zueinander haben. Zwar haben Bienen einen Aktionsradius von etwa drei Kilometern, sodass sie sich begegnen. Doch wegen des großen Abstands zwischen den Höhlen, landet selten eine Biene im falschen Volk.

Für den Imker Norbert Poeplau geht es weniger ums Geschäft, sondern vielmehr darum, eine natürliche Art der Imkerei wieder nach Deutschland zu holen – denn auch hierzulande hatte die Zeidlerei eine lange Tradition, bis sie in Vergessenheit geriet. Norbert Poeplau ist Imkermeister in der Lehr- und Versuchsimkerei Fischermühle des Vereins Mellifera im schwäbischen Rosenfeld. Er verkauft seinen Honig unter dem Demeter-Ökosiegel. Die Zeidlerei hat er vor zehn Jahren für sich entdeckt, als er erfuhr, dass in polnischen Nationalparks Zeidlerei-Projekte nach russischem Vorbild durchgeführt werden – und dass die Experten aus Polen Zeidlerei-Lehrgänge für Imker anbieten. 2014 gaben die polnischen Kollegen erstmals einen Kursus in der Schweiz. Norbert Poeplau war dabei. Und schon 2016 bearbeitete er mit Unterstützung der Polen zum ersten Mal selbst Bäume in einem Waldgebiet bei Rosenfeld.

Die Zeidlerei – ein doppelter Gewinn

Für Poeplau ist die Zeidlerei in doppelter Hinsicht interessant. „Die Zeidlerei kann nur funktionieren, wenn der Wald eine gewisse ökologische Vielfalt bietet“, erklärt er, „wenn verschiedene Baumarten vorhanden sind, die nacheinander blühen und dem Bienenvolk vom Frühjahr bis zum Herbst Nahrung liefern.“ Die Zeidlerei bietet damit die Chance, dass Wälder entsprechend artenreicher gestaltet werden. Der zweite Aspekt ist die Bienengesundheit. In Mitteleuropa müssen Imker ihre Völker regelmäßig behandeln, um die Varrao-Milbe zu bekämpfen, einen gefürchteten Bienenparasiten, der innerhalb einer Saison ganze Völker zerstören kann. Die Varroa-Milbe befällt vor allem die Bienenbrut. Durch die Wunden, die die Milben verursachen, können Viren eindringen, an denen die Bienen dann sterben.

Norbert Poeplau
Foto: Norbert Poeplau

Der Diplom Ingenieur und Imkermeister Norbert Poeplau ist bei der Lehr- und Versuchsimkerei Fischermühle tätig. Sie gehört zum Verein Mellifera e. V., die sich besonders für die wesensgerechte Bienenhaltung engagieren. Der Verein setzt sich für einen achtsamen Umgang mit den Bienen ein, sowohl in der imkerlichen Praxis als auch in der Pflege ihrer Lebensräume.

Die russischen Zeidler hingegen behandeln ihre Völker nicht. Dennoch überleben die Bienen. „Für einen Imker stellt sich die Frage, woher diese Widerstandsfähigkeit rührt – und ob es gelingen kann, durch die Zeidlerei in Deutschland ähnlich robuste Völker zu züchten,“ so Poeplau. Eigentlich ist in Mitteleuropa und auch Russland ursprünglich die Honigbiene Apis mellifera mellifera heimisch. Durch gezielte Linienzucht  und internationalen Bienenhandel wurde die heimische Rasse verdrängt. Heute arbeiten Imker mit sehr leistungsstarken Bienen fremdländischer Herkunft oder Hybridbienen, die beispielsweise extrem sanftmütig sind. Doch scheinen diese zugleich relativ anfällig zu sein. Norbert Poeplau möchte herausfinden, ob es mithilfe der Zeidlerei gelingen kann, eine robuste lokale Bienenpopulation aufzubauen, die weitgehend Eingriffe der Imker überlebt.

Bienen bleiben auf Abstand

In der herkömmlichen Imkerei sei das kaum möglich. Denn in der Regel stellen Imker an Standorten, die Reich an Nektar sind, viele Dutzend Bienenkästen auf, von denen jeder ein eigenes Volk beherbergt. Dabei kommt es häufig vor, dass sich Bienen verfliegen und in einem anderen Bienenkasten landen. Damit ist es für Völker kaum möglich eigene, spezielle Merkmale auszubilden.

Bei der Zeidlerei ist das anders. Die Zeidler legen die Baumhöhlen, die sogenannten Beuten, so an, dass die Bäume etwa einen Kilometer Abstand zueinander haben. Zwar haben Bienen einen Aktionsradius von etwa drei Kilometern, sodass sie sich begegnen. Doch wegen des großen Abstands zwischen den Höhlen, landet nur selten eine Biene im falschen Volk. Bis sich eine robuste Biene  in natürlicher Umgebung herausselektiere, dürfte es Jahre dauern – aber die Zeidlerei biete die Chance dafür, sagt Norbert Poeplau.

Erste Versuche im Mischwald

Seit 2016 hat er zusammen mit den polnischen Kollegen zehn Bäume mit Höhlen ausgestattet. Sie stehen in einem Mischwald mit größerem Nadelholzanteil. „Die Bäume wurden mir von der Forstverwaltung zur Verfügung gestellt,“ sagt Norbert Poeplau, „dafür bin ich sehr dankbar. Überhaupt sind die Förster in unserer Gegend an der Zeidlerei sehr interessiert.“ Die Höhlen, die in die Bäume geschlagen werden, sind länglich und etwa einen Meter hoch. Sie werden mit einem Brett verschlossen. Offen sind nur die zwei, etwa einen Zentimeter breiten Einflugschlitze, die so klein sind, damit sich weder Fledermäuse noch Vögel einnisten. In einigen Bäumen siedelte Norbert Poeplau Völker aus seiner Imkerei an. Bei den anderen ließ er der Natur freien Lauf: Er war erstaunt, als im Mai 2016 bereits nach zwei Wochen Bienenschwärme von ganz allein einzogen. Norbert Poeplau: „Baumhöhlen sind das natürliche Habitat der Honigbienen, und sie scheinen auch heute noch eine Vorliebe für diese Quartiere zu haben – für sie ist das wahrscheinlich eine Art Penthouse.“ Der Vorteil der hohen Behausung: Es krabbeln kaum Parasiten hinein und für Bär und Mensch sind sie nahezu unerreichbar.

Bärlauch im Wald bei Sonnenuntergang
Foto: jonathansautter/pixabay

Sind unsere Wälder noch gut genug für die Bienen? Bieten die deutschen Wälder in ihrer heutigen Form noch ausreichend Nahrung? Der Bärlauch im Frühjahr oder ein blühender Kirschbaum reichen sicher nicht. Der Imker Poeplau möchte daher in den kommenden Jahren zusammen mit Förstern und Wissenschaftlern herausfinden, wie ein bienenfreundlicher Wald aussieht.

US-Forscher um den Bienenexperten und Biologen Thomas D. Seeley von der Cornell University haben in eigenen Untersuchungen herausgefunden, dass wilde Bienen, die in natürlichen Baumhöhlen siedeln, einen Abstand von rund 850 Metern zum nächsten Baum und Bienenvolk einhalten. Das deckt sich ziemlich genau mit dem Kilometer Abstand, den die russischen Zeidler schon seit Jahrhunderten einhalten. Poeplau: „Offenbar ist das eine ideale Distanz, die sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte herauskristallisiert hat.“ Ein Vorteil sei dabei vermutlich auch, dass dadurch keine Parasiten wie etwa Varroa-Milben von einem zum anderen Volk übertragen werden, weil sich die Bienen nicht verfliegen.

Erfolge und erste Rückschläge

Der Honig, den Norbert Poeplau 2017 ernten konnte, war von hoher Qualität. Zur Analyse des Wassergehalts, der Inhaltsstoffe, der Pollen oder der mikrobiellen Belastung schickte er ihn an ein deutsches Bieneninstitut. Das Ergebnis: ein erstklassiger Honig, dickflüssig, mit einem sehr geringen Wassergehalt. Bei aller Begeisterung gibt Norbert Poeplau aber auch offen zu, dass ein Jahr später ein Rückschlag folgte. Im Winter 2018, nach einem extrem trockenen Sommer, gingen alle Völker in den Zeidlereibäumen ein. Dieser Rückschlag werfe Fragen auf, sagt er. „Es ist gut möglich, dass die in Deutschland stark verbreiteten Hybridbienen, in diesem robusten natürlichen Habitat nur schlecht zurechtkommen.“ Andererseits, so heißt es von Thomas Seeley, sei es normal, dass rund 70 Prozent der Völker den ersten Winter in freier Natur nicht überleben. Im Grunde sei das eine Art natürlicher Auslese, die letztlich dazu führe, dass sich robuste Völker etablieren.

Zu wenig Nahrung im deutschen Wald?

Es sei aber auch denkbar, dass die deutschen Wälder in ihrer heutigen Form nicht ausreichend Nahrung böten. „Ein Weißdorn am Waldrand oder ein blühender Kirschbaum reichen sicher nicht“, sagt Poeplau. Er möchte daher in den kommenden Jahren zusammen mit Förstern und Wissenschaftlern herausfinden, wie ein bienenfreundlicher Wald aussieht, ob zum Beispiel einzelne Kastanien als Nahrungsbäume hilfreich sind. „Letztlich sehe ich die Zeidlerei auch im Zusammenhang mit dem wichtigen Trend, die Landschaft insektenfreundlicher zu gestalten. Die Zeidlerei könnte hier zu einem Seismographen für eine bestäuberfreundliche Waldwirtschaft werden.“

Literatur


Quellen und weiterführende Literatur:

  1. Mehr Informationen zu Zeidlerei finden Sie hier auf der Website von Mellifera e.V.

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