Forschung
Kronendach schützt Lebewesen im Wald vor Klimaerwärmung
Für jeden Waldbesucher ist nachzuvollziehen, dass im Wald die Temperaturen im Vergleich zum Offenland oder der Stadt vor allem im Sommer niedriger sind. Für wissenschaftliche Studien in Bezug auf den Klimawandel werden die Temperaturen von Wetterstationen verwendet, die in der Regel auf freiem Feld stehen. Ein Großteil aller landlebenden Arten lebt jedoch in Wäldern. Dort oft im Unterwuchs oder im Boden, weshalb die Klimadaten vom offenen Feld für sie nur bedingt aussagekräftig sind.
Nun hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Schweizer WSL und der Universität Cambridge erstmals die Klimaerwärmung unter dem Kronendach bestimmt. Dazu haben die WissenschaftlerInnen an 100 Orten die Temperatur im Waldesinneren gemessen und kombinierten diesein einem Computermodell mit bis zu 80 Jahre zurückreichenden Daten über die Baumkronendichte des Waldes. Diese umfassten fast 3000 Standorte aus langfristigen Beobachtungsprogrammen.
Je dichter, desto kühler
Das Ergebnis: Die im freien Feld gemessene Klimaerwärmung gibt die Temperaturentwicklung unter dem Blätterdach nur unzureichend wieder. Je dichter das Kronendach, desto stärker ist dessen kühlender Effekt im Unterholz und auf dem Waldboden.
Nun haben Waldorganismen ein Temperaturoptimum, also an dem sie sich am besten entwickeln, das deutlich unter den tatsächlich gemessenen Temperaturen liegt. Das heißt, sie haben einen Rückstand bei der Klimaanpassung. Das bedeutet, dass ein Verlust der schützenden Baumkronen – sei es durch die Natur oder durch Menschen verursacht – eine zusätzliche, drastische Erwärmung für die darunter wachsenden Pflanzen bedeutet, auf die sie schlecht vorbereitet sind. Angesichts der zu erwartenden Zunahme von sommerlichen Hitzewellen in Europa dürfte dies die Waldbiodiversität in den nächsten Jahrzehnten verändern.
Kommentar
Der zunehmende Holzbedarf auf der Welt, beispielsweise durch die Nutzung von Energieholz, erhöht den Druck auf die Wälder. Ein erhöhter Einschlag verringert massiv die Baumkronendichte und verändert dadurch die mikroklimatischen Verhältnisse, die für viele Arten lebensnotwendig sind. Dadurch wird die Anzahl und Zusammensetzung der Waldbiodiversität stark verändert, die allerdings für viele Ökosystemdienstleistungen und Lebensgrundlagen entscheidend ist. Eine dem Klimawandel angepasste Waldbewirtschaftung muss diese Zusammenhänge berücksichtigen, damit die Bestände in Zukunft widerstandsfähig sind und der Artenverlust nicht weiter voranschreitet. Eine starke Auflichtung der Bestände damit Niederschläge den Boden erreichen ist hier kontraproduktiv und kann zum Artenverlust beitragen.
Literatur
Quellen und weiterführende Literatur:
- Forest microclimate dynamics drive plant responses to warming: Florian Zellweger et al. Science 15 May 2020:Vol. 368, Issue 6492, pp. 772-775
DOI: 10.1126/science.aba6880