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Die kleinen Stars im Wald
Mäuse, Garten- und Siebenschläfer sind mit naturnahen Wäldern aufs engste verbunden: Sie benötigen diesen Lebensraum, um sich erfolgreich zu vermehren. Andererseits kommt ein widerstandsfähiger Wald nicht ohne Kleinsäuger aus. Die Tiere verbreiten Samen und fördern eine lebenswichtige Symbiosen zwischen Pflanzen und Pilzen.
Beim Thema Säugetiere und Wald denken wohl die meisten Menschen an die Großen – Füchse, Rehe, Wildschweine oder vielleicht sogar Luchse. Die wahren Herrscher des Waldes aber sind eher unscheinbar. Sie leben verborgen in Erd- oder Baumhöhlen, sind oftmals nachtaktiv und huschen flink und gut versteckt durchs Unterholz und durch Baumkronen. Sie kommen in großer Zahl in naturnahen Wäldern vor – und sind für den Menschen meist so gut wie unsichtbar: die kleinen Säugetiere, von denen es zahlreiche Arten gibt. Garten- und Siebenschläfer mag man noch kennen – aber wie sieht es mit der Gelbhalsmaus, der Rötelmaus oder der Waldmaus aus?
Der Waldkauz (Strix aluco), wie viele der im Wald lebenden Greifvögel, zählt zu den Hauptfeinden der Mäuse und Bilche. Zudem sind Fuchs, Wildkatze, Marder und selbst Wildschweine erfolgreiche Maus-Jäger im Wald. Gemeinsam regulieren sie die Anzahl der Nager im Wald. Aber Mäuse sind nicht nur Schädlinge und Futter. Durch ihre Gänge lockern sie den Waldboden auf und verbreiten so Samen und Sporen.
Italienische Forscher haben auf einer Waldfläche in der Größe von nur acht Fußballfeldern allein von diesen drei Arten fast 3.000 Tiere gefangen und gezählt. „Man kann ganz klar sagen, dass es eine sehr enge Beziehung zwischen den kleinen Säugetierarten und den Wäldern gibt. Naturnahe Wälder sind wichtig für die Säuger, aber die Tiere sind mindestens genauso wichtig für den Wald“, sagt Dr. Joanna Fietz, Ökophysiologin an der Universität Hohenheim in Stuttgart – und zwar in vielerlei Hinsicht. „Seltene Greifvögel wie den Sperlingskauz wird man in einem Wald nur dann finden, wenn auch ausreichend Kleinsäuger als Beutetiere vorhanden sind – und die wiederum brauchen ganz bestimmte Strukturen, um in einem Wald heimisch zu sein.“ Darüber hinaus sind auch Säugetiere wie zum Beispiel Wildkatzen oder Füchse auf Kleinsäuger als Nahrung angewiesen.
Vom „Schädling“ zum Nützling
Joanna Fietz kennt auch die sogenannten Ökosystemleistungen, die die Kleinsäuger für den Wald erbringen. „Eine zentrale Rolle spielen sie bei der Ausbreitung von Samen“, sagt sie, etwa indem sie Nüsse, Eicheln oder Bucheckern vergraben oder Früchte fressen und anderswo mit dem Kot die Samen ausscheiden. Lange Zeit hielt sich die Meinung, dass Kleinsäuger im Wald eher Schäden anrichten, zum Beispiel indem sie Wurzeln anfressen. „Doch das ist überholt“, betont Fietz. Im Gegenteil: Wichtig seien die Kleinsäuger beispielsweise bei der Ausbreitung von Sporen der Mykorrhizapilze. Als Mykorrhiza wird eine Symbiose von Pilzen und Pflanzen bezeichnet. Der Pilz umgibt die Wurzeln der Pflanzen mit einem dichten Geflecht, über das verstärkt Nährstoffe und Wasser aus dem Boden in die Wurzeln der Pflanzen gelangen. Umgekehrt versorgt die Pflanze den Pilz mit Kohlehydraten und anderen Stoffen. Da viele Kleinsäuger ihre Gänge in der Nähe von Baumwurzeln graben, transportieren sie in ihrem Fell und im Kot leicht Sporen der Mykorrhizapilze – und verteilen sie so im Wald.
Mischwälder profitieren von den kleinen Säugern, da sie wichtige Pilzsporen verbreiten. Und Garten- und Siebenschläfer sowie die verschiednene Mausarten sind auf artenreiche Lebensräume angewiesen. Obwohl die Tiere sehr anpassungsfähig sind geht bei einigen Arten der Bestand messbar zurück. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass die mitunter großen Populationen in naturfernen, artenarmen Wäldern nicht mehr genug Futter finden.
Neben vielen Mäusearten, werden naturnahe Wälder auch von Spitzmäusen, die mit Igeln verwandt sind, oder den sogenannten Bilchen bewohnt, den Schläfern, zu denen neben dem Siebenschläfer auch der Gartenschläfer und die Haselmaus gehören. „Vor allem der Gartenschläfer bereitet uns Sorge“, sagt Fietz. „Seine Bestände haben über die Jahre in ganz Europa drastisch abgenommen – insofern sind Waldstandorte, an denen der Gartenschläfer noch zu finden ist, besonders wichtig.“ Warum die Bestände des Gartenschläfers schrumpfen, ist bislang nicht geklärt.
Unberührte Flächen für bodenwohnende Tiere
Klar ist für Joanna Fietz, dass naturnahe Waldgebiete nicht nur für den Gartenschläfer existentiell wichtig sind. Der Siebenschläfer etwa sei auf alte Buchenbestände von mindestens 40 Jahren angewiesen, die zur Mastproduktion in der Lage sind. „Da viele Kleinsäugerarten in bis zu einem Meter tiefen Erdhöhlen überwintern, ist es zudem wichtig, dass der weiche Waldboden nicht verdichtet wird – etwa durch die Harvester, die großen Erntemaschinen.“ Noch gebe es dazu keine umfangreichen wissenschaftlichen Studien. Aber sie gehe davon aus, dass eine derartige Kompaktierung des Bodens für die Tiere zum Problem werden könne. „Weil die Höhlen keinen ausreichenden Frostschutz mehr bieten oder sich die Tiere aus eigener Kraft nicht mehr aus dem Boden wühlen können.“
Je größer der Wald, desto besser
Um Kleinsäugerbestände zu erhalten, kommt es aber nicht nur darauf an, den Wald vor derartigen Eingriffen zu schützen. Eine Rolle spielt auch die Größe der Waldbestände und deren Verinselung, sagt Gernot Segelbacher, Professor für Wildtierökologie und Wildtiermanagement an der Universität Freiburg: „Wichtig ist, dass größere Waldgebiete erhalten bleiben. Je kleiner die Flächen und je näher der Waldrand am Kerngebiet des Waldes liegt, desto weniger Arten seien im Wald zu finden. „Studien zeigen deutlich, dass viele Kleinsäugerarten ungestörte Bereiche benötigen, die relativ weit vom Waldrand entfernt sein müssen“, erklärt Segelbacher. Das gelte vor allem für jene Arten, die laut der Weltnaturschutzorganisation IUCN besonders gefährdet sind – im Schnitt benötigen diese Tierarten Wälder, bei denen der Waldrand mindestens 200 bis 400 Meter vom Kerngebiet entfernt ist. „Die Zerstörung von Wäldern und die zunehmende Verinselung von Waldgebieten ist in dieser Hinsicht ein echtes Problem.“
Gelingt es, diesen Trend zu stoppen, ist viel erreicht, nicht nur für die Kleinsäuger selbst, sondern für die Wälder insgesamt. Denn angesichts der Ökosystemleistungen die sie erbringen, ist eines ganz sicher: Für den Wald sind Bilche, Mäuse und Co. klein aber oho!