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Paterzeller Eibenwald
Deutschlands älteste und stärkste Eiben; uriger Bergmischwald; endlich üppiger Nachwuchs nach einem kinderlosen Jahrhundert.
Eine ursprünglich in Buchenwäldern sehr weit verbreitete Nadelbaumart war die Eibe. Heute sind davon nur Reste vorhanden, die aus meist unbekannten Glücks- und Zufällen, oft nur als einzelne Individuen an abgelegenen Orten überlebten. Die Art steht seit 1936 unter Naturschutz und als gefährdet in der Roten Liste. Die Eibe gilt als urtümlichstes Nadelholzgewächs. Als einziger Nadelbaum bildet sie keine Samenzapfen, sondern rote Scheinbeeren. Ihr Holz hat keine Harzkanäle und sie kann »aus dem Stock ausschlagen« wie sonst nur Laubbäume. Von allen Baumarten kommt sie mit dem geringsten Lichtangebot zurecht und kann daher selbst in der Unterschicht von Buchenbeständen gedeihen. Sie wächst auf unter schiedlichen Böden, bevorzugt jedoch die tiefgründigen, nährstoffreichen, vor allem kalkreichen, auf nachhaltig frischen Standorten. Im Waldgersten-Buchenwald von Muschelkalk, Zechsteinkalken und Jura kann man sie ebenso antreffen wie in den Alpenheckenkirschen-Tannen-Buchen-Mischwäldern im Alpenvorland oder in Schlucht- und Bergmischwäldern auf Gneis- und Granitstandorten von Schwarzwald, Harz und Bayerischem Wald. Eiben wachsen langsam und können älter als alle übrigen heimischen Bäume werden. Altersschätzungen sind wegen des schmalen, unregelmäßigen Jahrringbaus schwierig. Die Stärke der Stämme täuscht gerne ein höheres Alter vor, sind doch regelmäßig mehrere stammbürtige Triebe zu »Komplexstämmen« verwachsen. Die meisten Alteiben haben einen hohlen Kern, der jedoch regelmäßig überwallt wird. Als vor einigen Jahren im Oberallgäu eine als 2000-jährig eingeschätzte Alteibe vom Abwind einer Lawine geworfen wurde, ergaben Jahrringzählungen ein Alter von »nur« 563 Jahren
Die Eibe (Taxus baccata) ist der einzige heimische Giftbaum. Außer dem roten, gallertartigen Fruchtbecher sind alle Teile giftig. Rehe und die anderen großen Pflanzenfresser des Waldes jedoch, fressen junge Eiben mit Nadeln und Stiel gierig, ohne Schaden zu nehmen. Die Folgen für die Naturverjüngung sind dramatisch. Seit über 100 Jahren wachsen in unseren Wäldern allein deshalb keine Eiben mehr nach, weil der Nachwuchs von Rehen aufgefressen wird.
Eibenholz, seit der Steinzeit begehrt
Das Holz der Eiben ist ungemein schwer, langfaserig und zäh. Seit der Steinzeit bis hinein in die Zeit der Erfindung des Schießpulvers wurden daraus die besten Bogen und Armbrüste gefertigt. Beim sensationellen Fund von »Ötzi« 1991 im Similaungletscher der Ötztaler Alpen, der mumifizierten Leiche eines 3300 Jahre vor unserer Zeitrechnung verstorbenen Menschen der frühen Steinzeit, war unter der vollständig erhaltenen Ausrüstung ein 1,82 m langes Bogenholz ebenso aus Eibe wie der Knieholzschaft des wertvollen Kupferbeils.
Die Eibe ist der historisch erste Fall, bei dem an einer heimischen Holzart Raubbau getrieben wurde und die dadurch wohl seltener geworden ist. Der dramatische Rückgang setzte jedoch erst ein, als die moderne Forstwirtschaft vor 200 Jahren begann, die hergebrachten Plenter- und Mittelwälder in Altersklassenforste umzubauen. Für diesen altmodischen, langsamwüchsigen, in der Jugend schattenbedürftigen Baum ist der gleichaltrige schlagweise Hochwald kein geeigneter Lebensraum. Im 18. Jahrhundert hatten französische Rokokogärtner die vegetativ ungemein regenerationsfähige Eibe als nahezu beliebig verformbares Gartengewächs entdeckt. Seitdem überlebt die weitaus überwiegende Mehrzahl dieser einst häufigen Begleiterin unserer Buchenwälder in Parks, Friedhöfen und Gärten in 80 verschiedenen Zuchtformen.
Unser einziger Giftbaum
Die Eibe ist der einzige heimische Giftbaum. Außer dem korallenroten, gallertartigen Fruchtbecher, der den Samenkern einhüllt, sind alle Teile giftig. Auf Pferde wirkt bereits eine geringe Dosis der Nadeln tödlich. Rehe hingegen, auch die anderen großen Pflanzenfresser des Waldes, fressen junge Eiben mit Nadeln und Stiel gierig, ohne Schaden zu nehmen. Die Folgen für die Naturverjüngung sind dramatisch. Seit über 100 Jahren wachsen in unseren Wäldern allein deshalb keine Eiben mehr nach, weil der Nachwuchs von unnatürlich überhegten Rehbeständen auf gefressen wird. Die auffällige Fruchthülle um den hochgiftigen Samenkern, der so genannte Arillus, lockt im Herbst Vögel an. Beeren fressende Arten, vor allem Drosseln, verzehren diesen schmackhaften Samenmantel und verschlucken dabei den giftigen Kern. Nach der Passage durch den Darm werden die Kerne unversehrt ausgeschieden und auf diese Weise verbreitet. Der Kernbeißer allerdings zerknackt mit mächtigem Schnabel die giftigen Samenkörner und verspeist sie. Das auch für uns wohlschmeckende Fruchtfleisch lässt er achtlos fallen. Offenbar sind Geschmäcker ebenso verschieden wie die Resistenz gegen Giftstoffe.
Baum der Mythen und Druiden
Bei den germanischen Völkern und den Kelten kam der Eibe als Baum des Todes und Symbol der Ewigkeit in Religion und Mythologie eine außergewöhnliche Bedeutung zu. Sie tränkten ihre Pfeilspitzen im giftigen Eibensud. Bei den Kelten war die Eibe der Baum der Druiden, die ihre Zauberstäbe aus dessen Holz fertigten. In der Volksmedizin war sie als wirksames Abtreibungsmittel bekannt. Heute gewinnt die Pharmazie aus ihrer Rinde ein Krebsheilmittel.
Auf der Eibe leben eine Vielzahl von anderen Lebewesen. Hier ist es der Wacholder-Amyloidschichtpilz (Amylostereum laevigatum). Für gewöhnlich befallen Amyloidschichtpilze nur abgestorbenes oder gefälltes Holz von Nadelbäumen. Drei Arten – Braunfilziger, Wacholder- und Tannen-Schichtpilz – gehen aber auch eine Symbiose mit Holzwespen ein, die neben frisch gefällten auch lebende Bäume befallen und diese mit den Pilzen infizieren.
Der wohl bekannteste Eibenwald in Deutschland ist der im bayerischen Voralpenland bei Paterzell. Eine seit 1939 unter Naturschutz stehende Kernfläche von 22 ha wurde 1983 auf 88 ha vergrößert. Dort wachsen 1500 ältere Eiben in einem ungemein artenreichen, urigen Bergmischwald, zur Hälfte aus gewaltigen Fichten, einem Viertel aus Buchen und der Rest aus Bergahornen, Eschen und Roterlen, Weißtannen und einer Reihe weiterer Mischbaumarten bestehend. Der Standort ist außerordentlich begünstigt. Die nährstoffkräftigen Jungmoränenböden sind zusätzlich durchzogen von meterdicken Kalktuffen, die der Eibe besonders zusagen. Der Unterhang wurde aus einem Quellhorizont entlang der Nagelfluhzone am steilen Oberhang mit kalkreichem Wasser berieselt, aus dem sich Kalk in fester Form absetzte. Heute sind die meisten Quellen gefasst und zur Wasserversorgung abgeleitet, sodass neuer Tuff kaum mehr entsteht. Die Paterzeller sind die stärksten und ältesten Eiben Deutschlands. Jede zehnte ist dicker als einen halben Meter. Die mächtigsten Eibenmethusalems erreichen Stärken bis annähernd 1 m und man vermutet, dass sie bis zu 1000 Jahre alt sind. Nahezu alle alten Stämme sind tief gefurcht, spannrückig und beschädigt, oft hohl und von lebendem Holz umwallt. Vermutlich hatte auch hier der frühere Waldbesitzer, das Kloster Wessobrunn, im Mittelalter die guten Hölzer verkauft und die schlechten blieben übrig. Die Paterzeller Eiben vermitteln eine ungewohnte Dimension von Zeit, waren sie doch bereits mehrhundertjährige Uraltbäume, als ihre Nachbarn als Bogenhölzer eingeschlagen wurden. Unter einer 4 m mächtigen Tuffschicht fand man sogar ein vor 6000 Jahren eingeschlossenes Steinbeil.
Endlich Eiben-Nachwuchs
Auch hier gab es bis vor 40 Jahren keinen Eiben-Nachwuchs. Man sah es als Rätsel an, dass die alljährlich in großen Mengen auflaufenden Keimlinge immer wieder verschwanden. Wildverbiss hatte man wegen der Giftigkeit der Eibenkeimlinge als Ursache stets ausgeschlossen. Erst der Bau einiger Schutzzäunchen machte die Zusammenhänge offenkundig. Innerhalb von 20 Jahren entwickelten sich in einem wild dichten Kleinzaun von nur 600 m2 mehr als 1000 Eiben bis zu 3 m Höhe, dazu noch eine dreifach größere Zahl auch anspruchsvoller Mischbaumarten. Inzwischen wurden nicht nur weitere Zäune gebaut, endlich werden die Rehe mit Nachdruck bejagt. Bei einer Inventur 1998 in einem großen Zaun konnte man bereits 5500 Jungeiben pro Hektar zählen. Derzeit wächst in Deutschlands ältestem Eibenbestand nach einem kinderlosen Jahrhundert auf großer Fläche ein dichter Nachwuchs heran.
Auszug aus: Urwälder – Deutschland archaische Wälder von Georg Sperber/Stephan Thierfelder. Erschienen im BLV Verlag, ISBN 978-3-8354-0399-4