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Soziale Netzwerke – das unsichtbare Geflecht hinter erfolgreichem Waldnaturschutz 

Menschen in den Forstverwaltungen entscheiden über die Umsetzung von Biodiversitätspolitik im Waldmanagement. Wer sie stärken will, sollte ihnen nicht nur technische und fachliche Hilfe anbieten, sondern auch die Fähigkeiten der Forstleute im Umgang mit Konflikten und Mehrdeutigkeiten schulen. Eine Studie beleuchtet die Netzwerke der Forstverantwortlichen und welchen Einfluss die persönlichen Beziehungen auf Entscheidungen für Natur und biologische Vielfalt im Wald haben. Und auch im Wald gilt: Konflikte können der Motor für Reflexion und Lernen sein, wenn sie konstruktiv gestaltet werden.

Gesetze zum Schutz der biologischen Vielfalt in Wäldern werden unzureichend umgesetzt. Ob und wieweit soziale Beziehungen die Umsetzung von Biodiversitätszielen in der forstlichen Praxis prägen, haben Theresa Klara Loch, Melanie Nagel und Daniela Kleinschmit erforscht und sind damit einer zentralen, aber wenig erforschten Frage der Umweltpolitik nachgegangen. Ihre Studie lenkt den Blick auf das soziale Gefüge, in dem politische Absichten und Gesetze Gestalt annehmen. Im Zentrum der Untersuchung stehen staatliche Forstmanager, die als „Environmental Street-Level Bureaucrats“ die Schnittstelle zwischen politischen Zielen und forstlicher Realität bilden.

Street-Level Bureaucrats (SLBs) – sinngemäß Bürokraten auf Augenhöhe – stellen eine Theorie in der Soziologie. Gemeint sind Berufsgruppen im öffentlichen Dienst, die politische Vorgaben anwenden und im Alltag darüber entscheiden, wie Gesetze wirken – etwa Lehrkräfte, die Bildungspläne umsetzen, oder Mitarbeitende in Jobcentern, die Förderentscheidungen treffen. Dieses Konzept ist deshalb so wichtig, weil es den Blick darauf lenkt, dass die Umsetzung von Politik nicht nur von Regeln abhängt, sondern maßgeblich von den Menschen, die sie vor Ort interpretieren, auslegen und mit Leben füllen.  Theresa Klara Loch und Kolleginnen untersuchen, wie die Akteure in den Forstverwaltungen ihre sozialen Netzwerke nutzen, um Wissen zu gewinnen, Entscheidungen abzusichern und Konflikte zu managen.

Wissen entsteht im Miteinander

Auf Basis von Interviews mit 15 Forstmanagern aus drei Forstbetrieben und graphischen Darstellungen ihrer Netzwerke zeigen Loch und ihre Kolleginnen, dass Biodiversitätsmanagement im Alltag stark durch persönliche Beziehungen geprägt ist. Die Autorinnen haben sich auf staatliche Forstmanager konzentriert, da der Staatswald in Deutschland eine Vorbildrolle für nachhaltige und multifunktionale Waldbewirtschaftung spielt und somit zentral für die Umsetzung von Biodiversitätspolitik ist. Die Befragten waren männlich, was die Autorinnen als repräsentativ für die gewählten Forstbetriebe bewerten.

Soziale Netzwerke sind für die befragten Forstleute nicht nur Informationsquellen, sondern auch emotionale Stützpfeiler und strategische Wahlverwandtschaften. Sie dienen dazu, Entscheidungen abzusichern, Unsicherheit zu reduzieren und Legitimität zu erzeugen – sie vermitteln das Gefühl, das Richtige zu tun. Die Netzwerke strukturieren gleichsam den Wissensaustausch, und schaffen das Vertrauen, das Handeln in der forstlichen Praxis erst ermöglicht.

Geht es dem Wald gut, findet der Mittelspecht ausreichend Nahrung und brütet in natürlichen Wäldern (Foto: Knut Sturm)

Netzwerke geben Halt, schotten aber auch gegen außen ab  

Die meisten der befragten Forstleute greifen auf ein enges Netz aus Kollegen und Kolleginnen, Vorgesetzten und internen Expertinnen und Experten zurück – ein Spiegel der ausgeprägten Organisationskultur der „Forstfamilie“. Diese Kultur vermittelt Zusammenhalt, Loyalität und gegenseitige Unterstützung. Sie ist eine große Stärke, weil sie Vertrauen, Effizienz und emotionale Sicherheit schafft. Gleichzeitig kann sie zu einer Abschottung gegenüber externen Perspektiven führen. Wissenschaftliche Erkenntnisse von außerhalb oder artenschutzorientierte Naturschutzakteure werden als störend wahrgenommen, insbesondere wenn sie etablierte Routinen infrage stellen. Hier zeigt sich die doppelte Wirkung starker Netzwerke: Sie geben Halt, können aber auch wie ein Schutzwall nach außen wirken.

Drei Haltungen zur Biodiversität bei den Forstleuten

Trotz der allgemeinen Tendenz, sich nach innen zu orientieren, zeigen sich große Unterschiede in den Netzwerken und den Einstellungen der Forstleute. Die Autorinnen unterscheiden drei Biodiversitäts-Typen unter den Forstmanagern: Engagierte mit offenen, vielfältigen Netzwerken; Routinierte, die Biodiversität selbstverständlich in ihre Arbeit integrieren; und Umstrittene, die Schutzmaßnahmen skeptisch sehen. Diese Typen verdeutlichen, dass Biodiversitätspolitik kein einheitliches Handlungsfeld ist, sondern von individuellen Haltungen, Erfahrungen und Beziehungsgeflechten abhängt.

Die Herausforderung besteht darin, dass das in der Forstwirtschaft dominierende ökonomische Verständnis – geprägt von Nutzung, Steuerung und Stabilität – sich bislang nur begrenzt für andere naturkundliche oder ökologische Sichtweisen öffnet. Gerade dort, wo außenstehende Perspektiven neue Impulse geben könnten, wirkt die Abschottung wie ein Filter: Sie schützt vertraute Denkmuster, verhindert aber auch, dass tradierte Konzepte hinterfragt oder durch neuere ökologische Erkenntnisse ergänzt werden.

Bedeutung für die Zukunft

Das Fazit der Autorinnen: Wer die Umsetzung von Biodiversitätspolitik im Waldmanagement stärken will, sollte nicht nur technische und fachliche Hilfe bereitstellen, sondern auch die Fähigkeiten der Forstleute im Umgang mit Konflikten und Mehrdeutigkeiten schulen. Die Studie beleuchtet auch „schwierige Beziehungen“, also Spannungen zwischen Forstleuten, Wissenschaft und Akteur:innen aus dem Naturschutz. Die Befragten beschreiben die Konflikte nicht nur als Belastung, sondern auch als notwendigen Aspekt ihrer Arbeit. Sie zwingen zum Aushandeln, Hinterfragen und Priorisieren. Konflikte können also Motor für Reflexion und Lernen sein, wenn sie konstruktiv gestaltet werden.

Biodiversitätspolitik ist weit mehr als die Umsetzung fachlicher Vorgaben – sie ist ein sozialer Aushandlungsprozess, in dem Vertrauen, Offenheit und Lernbereitschaft über Erfolg oder Scheitern entscheiden.

Methodik der Studie

Die Studie verbindet mehrere soziologische Theorien und Methoden wie die Theorie der Street-Level Bureaucracy, die relationale Soziologie und die Egonetzwerkanalyse (für nähere Informationen siehe Originalstudie) . Die Autorinnen lenken den Blick auf die sozialen Dynamiken, in denen forstliche Entscheidungen entstehen. SLBs verfügen über Handlungsspielräume, die sie jedoch nicht isoliert nutzen, sondern innerhalb eines Geflechts aus Vertrauen, Wissen, Konflikten und institutionellen Bindungen. Handlungen werden demnach nicht primär mit individuellen Eigenschaften erklärt, sondern durch die Beziehungen, in denen Akteur:innen stehen.

Empirisch basiert die Untersuchung auf Interviews und Netzwerkkarten von 15 staatlichen Forstmanagern in Deutschland. Mittels einer Kombination aus qualitativer Strukturanalyse und quantitativer Netzwerkmessung wurden die individuellen Beziehungsgeflechte analysiert. Diese Netzwerke umfassten Kolleginnen und Kollegen aus der Forstverwaltung, wissenschaftliche Einrichtungen, externe Expertinnen und Experten sowie zivilgesellschaftliche Akteur:innen.

Fazit: Das „Wir“ der Forstfamilie bietet gleichermaßen Struktur und Scheinharmonie, gibt Sicherheit und grenzt ab

Ob und wie Biodiversitätspolitik im Wald praktisch umgesetzt wird, hängt von der Qualität und Offenheit der Beziehungs- und Informationsnetzwerke der Forstleute ab. Deutlich wird die ambivalente Bedeutung der forstlichen Organisationskultur: Der starke innere Zusammenhalt – das „Wir“ der Forstfamilie – bietet Sicherheit, Struktur und Selbstbewusstsein im Umgang mit komplexen Aufgaben. Doch dieselbe Solidarität kann zu Scheinharmonie, Abgrenzung und der Abwertung externer Perspektiven führen. Diese Mechanismen wirken in der Praxis als erhebliche Hürden für eine erfolgreiche Biodiversitätspolitik. Die Autorinnen benennen diese Aspekte von besonderer Tragweite: Die innere Geschlossenheit der Forstverwaltung beeinflusst direkt, welches Wissen als legitim gilt und welches nicht, und damit auch, welche Impulse überhaupt in Entscheidungsprozesse einfließen.

Gerade der selektive Umgang mit Wissen gewinnt zusätzliche Bedeutung, wenn man die Dynamik  im aktuellen gesellschaftlichen Wald- und Naturschutzdiskurs betrachtet: In den öffentlichen und fachlichen Debatten um Wald und Bewirtschaftung zeigt sich zunehmend ein Lagerdenken, in dem – teils mit scharfer Rhetorik und militärischen Metaphern – gegenseitige Feindbilder konstruiert werden. Diese Polarisierung erschwert den interdisziplinären Austausch und damit jene Offenheit, die für das Lernen über Biodiversität nötig wäre. Hier setzt das Projekt Kontrastiv von Naturwald Akademie und weiteren Partnern an: Es versucht zunächst die Debattenkultur rund um Waldfragen zu verbessern, um ein Klima zu schaffen, in dem unterschiedliche Ansichten über Waldverständnisse anerkannt und produktiv diskutiert werden können. Es legt damit einen Grundstein für tragfähige Netzwerkbildung und Kooperation über disziplinäre Grenzen hinweg.

Forstleute tragen die Verantwortung für den Waldnaturschutz – das erfordert Selbstreflexion und Lernbereitschaft

Kritisch anzumerken bleibt, dass die in der Studie herausgearbeiteten Typologien auf den Selbstauskünften der Befragten beruhen. Es erfolgte kein Abgleich zwischen den beschriebenen Haltungen und dem tatsächlichen forstlichen Handeln oder der konkreten Integration von Naturschutzwissen in Entscheidungsprozesse. Damit bleibt offen, in welchem Maße die Selbsteinschätzungen den gelebten Alltag tatsächlich widerspiegeln.

Vermutlich würden sich ähnliche Dynamiken, wie die in der vorliegenden Arbeit beschriebenen, auch bei anderen Gruppen zeigen – etwa bei Naturschutzakteur:innen, die ebenso in ihren eigenen beruflichen Kulturen und Netzwerken agieren. Denn überall, wo Menschen über Natur entscheiden, prägen Beziehungen, Vertrauen und gemeinsame Deutungsmuster das Handeln.

Staatliche Forstleute tragen jedoch Verantwortung für den Waldnaturschutz: Sie entscheiden täglich, wie die oft jahrelang politisch ausgehandelten Gesetze und EU-Voerordnungen zum Schutz und Erhalt der Biodiversität umgesetzt wird – im Spannungsfeld zwischen politischem Auftrag, organisatorischer Kultur und persönlichem Ermessen. Diese Handlungsspielräume sind Chance und Herausforderung zugleich: Sie ermöglichen Anpassung an lokale Gegebenheiten, erfordern aber auch ein hohes Maß an Selbstreflexion und Lernbereitschaft.

Autorin: Eva Blaise

Literatur


Theresa Klara Loch, Melanie Nagel, Daniela Kleinschmit,
From connections to conservation: Social networks in forest biodiversity management,
Journal of Environmental Management, Volume 392, 2025, 126701,
https://doi.org/10.1016/j.jenvman.2025.126701

Die Studie können Sie hier kostenfrei lesen:

https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0301479725026775?via%3Dihub