
Der Habichtskauz – ein Urwaldbewohner kehrt zurück
Der Habichtskauz wurde vor mehr als 100 Jahren in Österreich ausgerottet. In einem internationalen Wiederansiedlungsprojekt ist es jetzt gelungen, zwei neue Vorkommen dieser größten Waldeulenart aufzubauen. Diese sind zentral wichtig, um isolierte Populationen in Deutschland, Italien, Slowenien und Tschechien miteinander zu verbinden.
Vor rund 150 Jahren erging es den Eulen und Greifvögeln in Mitteleuropa schlecht. Dem Menschen galten sie als Konkurrenten, die kleine Säugetiere, Vögel und Geflügel jagten. Selbst Ornithologen riefen damals zum Kampf gegen die „grausamen“ und „hassenswerten“ Raubvögel auf – vor allem jene Vogelkenner, die besonders den Singvögeln zugetan waren. Um 1870 wurden in Europa in jedem Jahr Zehntausende Greifvögel und Eulen getötet. Besonders hart traf es den Habichtskauz, die größte Eule der mitteleuropäischen Wälder. Habichtskäuze sind nicht scheu und lassen Menschen bis auf 20 Meter herankommen. Zudem verstecken sie sich tagsüber nicht. Anders als viele andere Eulenarten ruhen sie weithin sichtbar in den Zweigen. Es war also ein Leichtes, den Habichtskauz auszurotten.

Habichtskauz (Strix uralensis)
Der auch Ural-Kauz genannte Vogel ist eine große Wald-Eule. Sie ähnelt dem Waldkauz (Strix aluco), ist aber kontrastreicher gefärbt, bedeutend größer und oft mehr als doppelt so schwer wie dieser. Das Verbreitungsgebiet der Art liegt im nordischen Waldgürtel und reicht bis Japan. In Mitteleuropa bestehen Restvorkommen in den Karpaten, den Beskiden und im Dinarischen Gebirge. Im deutsch-österreichisch-tschechischen Grenzgebiet (Bayerischer Wald, Böhmerwald und Šumava) und zuletzt auch im Wienerwald laufen seit mehreren Jahren Wiederansiedelungsversuche.
Neustart im Bayerischen Wald
In viele Regionen kehrte der Habichtskauz lange nicht zurück. Der Mensch musste nachhelfen. Erst in den 1970er-Jahren begann man, im Bayerischen Wald Habichtskäuze auszuwildern. Einige Jahre später startete auch im Böhmerwald in Tschechien die Wiederansiedlung der Käuze. Die Projekte waren erfolgreich: Neue Populationen etablierten sich. So leben heute im Gebiet des Bayerischen Waldes und des benachbarten Böhmerwaldes rund 50 Brutpaare. „Allerdings blieben diese neuen Vorkommen und auch andere Populationen in Europa weiterhin voneinander isoliert, weil der Habichtskauz standorttreu ist und nicht besonders weit abwandert“, sagt der Wildtierbiologe und Habichtskauz-Experte Richard Zink von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. „Damit bestand die Gefahr der Inzucht.“
Mitte der 2000er-Jahre entschieden Experten auf einem internationalen Workshop daher, den Versuch zu starten, die isolierten Populationen in Mitteleuropa miteinander zu verbinden – jene in Bayern und in Tschechien mit den weiter entfernten in Slowenien und Italien. Das Ziel war es, eine neue Population in Österreich aufzubauen, um die große Lücke zwischen den Vorkommen zu schließen. Mit dabei war von Anfang an Richard Zink. „Damit eine Wiederansiedlung gelingt, bedarf es allerdings einer akribischen Vorbereitung. In ausführlichen Studien muss man herausfinden, welche Gebiete geeignet sind“, sagt der Biologe. Dafür gebe es einen ganzen Anforderungskatalog. Drei Aspekte seien dabei besonders wichtig: Erstens sollte die Tierart in dem Gebiet tatsächlich schon gelebt haben. Zweitens müssen die Ursachen, die zum Aussterben geführt haben, deutlich reduziert oder ganz beseitigt worden sein; und drittens müssen ein adäquater Lebensraum und genug Nahrung vorhanden sein.
Zwei ideale Gebiete in Österreich
Die Experten wurden fündig und wählten schließlich zwei Gebiete für das österreichische Wiederansiedlungsprogramm aus: den Biosphärenpark Wienerwald und das Wildnisgebiet Ötscher-Dürnstein-Lassingtal etwa 100 Kilometer westlich von Wien. Beide Wälder bieten Bedingungen, die für den Habichtskauz ideal sind. Der Wienerwald ist das größte zusammenhängende von der Rotbuche dominierte Waldgebiet Österreichs – und damit für den Habichtskauz optimal.

Flagship und Umbrella
Der Habichtskauz, hier mit Biologe Richard Zink, gilt als „Flagship“-Art für alte und großflächige Mischwälder bzw. als „Umbrella“-Art für eine Fülle von Arten (z. B. Weißrückenspecht Picoides leucotos, Zwergschnäpper Ficedula parva, etc.). Dies fördert die öffentliche Kommunikation zur Akzeptanz der Art und dem Aufwand, der für die Wiederansiedlung zu leisten ist. Denn für den Kauz sind zahlreiche habitat-verbessernde Maßnahmen zu initiieren (Veränderung der Waldstruktur und Baumartenzusammensetzung) und Mortalitätsrisiken (Flugbarrieren, direkte Verfolgung) zu reduzieren. Zudem sind die geschaffenen Lebensräume sind langfristig zu stabilisieren. Das kann einerseits durch entsprechend schonende Bewirtschaftung oder durch Ausweisung von Schutzgebieten (Natura 2000, FFH-Gebiete) erfolgen.
Als größte Eulenart der Wälder haben Habichtskäuze mit einer Größe von knapp 60 Zentimetern und einem Gewicht von bis zu einem Kilo einen hohen Energiebedarf. Sie ernähren sich vor allem von Kleinsäugern, insbesondere von Waldmäusen.
Da Mäuse vor allem in sonnenbeschienenen Bereichen zu finden sind, halten sich Habichtskäuze gern in Wäldern mit Lichtungen und an Waldrändern auf, um dort maximal Beute machen zu können. Im Wienerwald sind solche Gebiete zu finden. „Der Habichtskauz ist damit im Grunde die größte Eulenart, die überhaupt in einem Wald existieren kann. Der noch größere Uhu zählt eher zu den Arten der offenen Landschaft“, sagt Richard Zink.
Auf Mastjahre folgt viel Nachwuchs
Noch etwas zeichnet den Wienerwald als ideales Habichtskauz-Habitat aus: die große Zahl alter Buchen. Bei Buchen folgt aufeinander in einem recht regelmäßigen zweijährigen Rhythmus ein Jahr mit schwacher Bucheckern-Produktion und ein sehr produktives Jahr, ein sogenanntes Mastjahr. Viele der in Mastjahren produzierten Bucheckern bleiben über den Winter liegen und bieten den Mäusen bis ins nächste Frühjahr große Mengen an Nahrung. Die Kleinsäuger vermehren sich dann geradezu explosionsartig. Damit steht auch den Habichtskäuzen Nahrung in Hülle und Fülle zur Verfügung – in solchen Zeiten bekommt ein Habichtskauz-Paar bis zu fünf Junge. Folgt hingegen ein mageres Jahr, bleibt der Nachwuchs mitunter ganz aus. „Der Habichtskauz ist eine Vogelart, an der sehr schön deutlich wird, dass Bäume selbst für höhere Tiere ein Taktgeber sein können“, sagt Richard Zink.
Beim Wildnisgebiet Ötscher-Dürnstein-Lassingtal wiederum handelt es sich um einen Fichten-Tannen-Buchen-Urwald, der sich seit dem Ende der letzten Eiszeit frei entwickeln konnte. Da auch Nadelbäume Mastjahre haben, steht den Habichtskäuzen hier viel Nahrung zur Verfügung. Sowohl im Wildnisgebiet Ötscher-Dürnstein-Lassingtal als auch im Wienerwald gibt es viele Altbäume und große Mengen an Totholz. Auch das kommt dem Habichtskauz entgegen. Er benötigt große alte Bäume, in denen sich durch Fäulnis große Höhlen bilden. Auch abgebrochene Stämme, deren Bruchstelle über die Jahre ausfault, bieten den Käuzen ausreichend Platz für das Nest. Oftmals kratzen sie die Faulstelle aus, bis sich eine bequeme Mulde bildet. Richard Zink: „Wer will, dass sich Habichtskäuze wieder ansiedeln, sollte dafür sorgen, dass Altbäume und Totholz stehen bleiben.“ Der Biologe betont die wichtige Rolle, die der Habichtskauz im Wald spielt. Grundsätzlich machen größere Eulenarten Jagd auf kleinere Eulenspezies. Fehlt der Habichtskauz, dominiert in vielen Wäldern der kleinere Waldkauz, der dann verstärkt Jagd auf noch kleinere Eulenarten macht. Sind hingegen Habichtskäuze vor Ort, machen diese Druck auf den Waldkauz. Weniger Waldkäuze bedeuten, dass die Bestände der selteneren, kleineren Eulenarten wieder anwachsen können.
Mehr als 100 Jungkäuze
In den vergangenen Jahren hat sich dank der Arbeit von Richard Zink und seinem Team in Mitteleuropa ein Zuchtnetzwerk für Habichtskäuze entwickelt, das bis nach Nordpolen und Italien reicht. Über das Netzwerk werden Habichtskäuze für die Wiederansiedlung in verschiedene Regionen verbracht. „Wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen und keine Wildtiere einfangen. Stattdessen züchten wir“, sagt Richard Zink. Dabei sei es wichtig, die Jungtiere bereits früh freizulassen, um zu verhindern, dass sie sich zu sehr an den Menschen und die Fütterung gewöhnen. In den ersten 100 Tagen lernen die Jungvögel am meisten. Zunächst jagen sie hinter jedem sich bewegenden Objekt, wie zum Beispiel verwehten Blättern her. Nach und nach lernen sie dann, ihre Beute zu erkennen. Die Altvögel sind in dieser Zeit noch wichtig, um die Jungen zu füttern. Nach 100 Tagen aber geht es von den Zuchtstationen in die Freiheit – in eines der Habichtskauz-Vorkommen in Mitteleuropa. Dass sich die Zucht und die Wiederansiedlung lohnen, zeigt die Erfolgsbilanz der Österreicher: Zwischen den Jahren 2011 und 2023 kamen in beiden Gebieten 282 Habichtskäuze zur Welt – nachdem die Vögel mehr als 100 Jahre ganz verschwunden waren.
Quellen und Lesetipps
Website des Wiederansiedlungsprojektes für Habichtskäuze
Zink, Richard et al., 2019: Habichtskauz Wiederansiedlung in Österreich. Austrian Power Grid AG, www.apg.at.
Walter, Theresa & Zink, Richard, 2014. Annas Weg in die Freiheit. Gesellschaft zur Förderung des Forschungsinstitutes für Wildtierkunde und Ökologie