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Viel Wind um die Windkraft im Wald
Deutschland braucht mehr Energie aus Wind- und Sonnenkraft, um die klimaschädlichen CO2-Emissionen zu mindern und sich unabhängig von Erdgas und Erdöl-Importen zu machen. Nur mit mehr Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien wird Deutschland die internationalen Klimaschutzabkommen einhalten. Die klimafreundliche Energieversorgung ist beschlossen – und die Bundesregierung will die Energiewende voranbringen. Auf zwei Prozent der Landesfläche sollen Windenergieanlagen gebaut werden. Da der Widerstand vor allem in der Nähe von Ortschaften gegen Windenergieanlagen groß ist, wollen einige Bundesländer die Windparks in Wäldern ausbauen. Sind Windenergieanlagen im Wald nun gut für die Natur oder nicht?
Klimaschutz darf jedoch nicht zulasten der Natur gehen, warnt der Weltklimarat IPCC im Februar 2022. Denn Menschen und Ökosysteme hängen voneinander ab schreiben die internationalen Wissenschaftler:innen des Weltklimarats: „Die nicht nachhaltigen Entwicklungsmuster erhöhen die Anfälligkeit von Ökosystemen und Menschen gegenüber den Gefahren des Klimawandels.“ Damit kommt die Frage auf, wo sollen Windkrafträder und Solaranlagen stehen, ohne den Naturhaushalt zu stören.
Randerscheinung im Wald?
Waldränder sind Heimat für viele bedrohte Pflanzen und Tiere. Ihre Kräuter, Büsche und kleine Bäume bilden einen existenziell wichtigen, strukturreichen Lebensraum. Auch können Waldränder ein Trittstein für die Ausbreitung von Arten sein und zur Biotopvernetzung beitragen. Anliegende Felder verschlechtern aber oft die Bodenqualität für den Wald. Und je mehr Randflächen es gibt, um so wärmer wird der Wald. Mehr lesen Sie hier.
Grundlagenforschung notwendig
Wie sich die Windkraftanlagen auf die Pflanzenwelt und das Mikroklima der Wälder auswirken, ist wissenschaftlich bisher nicht untersucht. Beschleunigen oder verlangsamen die Rotoren den Luftaustausch in Wäldern? Fächeln Windräder in warmen Zeiten kühlende Luft in den Wald und führen die warme Luft schneller aus dem Wald? Oder trocknen die Rotorblätter die Wälder aus? Beeinflussen Windkraftanlagen die Bestäubung in den Wäldern? Weder die Wissenschaftler:innen im Netzwerk des European Forrest Institute, noch deutsche Forschungsinstitute wie das Thünen-Institut oder die Wissenschaftler:innen im Waldbeirat der Bundesregierung haben die Auswirkungen der Windenergieanlagen auf die Vitalität der Wälder bisher erforscht.
Pro Windenergieanlage werden rund ein Hektar Fläche im Wald für den Bau gerodet und später teilweise wieder bepflanzt. Moderne Anlagen sind höher und schwerer, als die bisher aufgestellten. Sie benötigen nun pro Anlage für Bau und Betrieb bis zu 1,3 Hektar Wald-Fläche. Hinzu kommen die geschotterten Forststraßen, die vier bis sechs Meter breit sind. Das ist die Breite einer Bundesstraße.
Löcher im Wald
Da es bisher wenig Untersuchungen zur Auswirkung von Windkraft auf das Klima im Wald gibt, können zurzeit nur über vergleichbare Studien Schlüsse gezogen werden. Ein Beispiel: Die Freiflächen für Windenergieanlagen haben die Größe von kleinen Kahlschlägen, deren Auswirkungen wissenschaftlich erforscht sind. Bis zu 30 Meter in den Wald hinein beeinflussen Waldränder die Temperatur und die Feuchtigkeit, wissen Forstwirtschaftler seit den 1950er Jahren. Neuere Studien zeigen, dass die Temperatur in den nach Süden zeigenden Rändern an Kahlschlägen steigen und die Feuchtigkeit abnimmt. In den nach Norden gehenden Rändern sinken die Temperaturen und die Feuchtigkeit nimmt zu. Beides beeinflusst das Leben von Insekten, Würmern und anderen Lebewesen im Boden. Auch Sämlinge, Kräuter und nachwachsende Bäume werden von den veränderten Bedingungen an Nord- und Südrändern im Wachstum beeinflusst.
Temperatur und Feuchtigkeit im Wald sowie der Wassergehalt des Bodens wirken sich auf die Nährstoffkreisläufe im Wald aus. Sie beeinflussen, wie der Boden Stickstoff aufnimmt und das Treibhausgas CO2 speichert. Temperatur und Feuchtigkeit im Wald beeinflussen auch die Verdunstung. Je wärmer es im Wald ist, desto mehr Wasser verdunstet aus dem Wald, weshalb große Kahlschläge auch die Temperatur in der Umgebung steigen lassen. „Die Auswirkungen der Ränder auf die Temperatur am Waldboden und die Feuchtigkeit können sich auf die Wiederherstellung der Wälder, die Nährstoffverarbeitung, den Nährstoffkreislauf und die Vielfalt der Bodenlebewesen auswirken“, fasst der kanadische Forstwissenschaftler Todd Redding die weltweit durchgeführten wissenschaftlichen Studien über Waldränder und Lücken im Wald zusammen. Dabei müssen die geschlagenen Lücken im Wald nicht groß sein. „Da kleine Öffnungen größere Ränder im Verhältnis zur freigeschlagenen Fläche haben, als große Öffnungen, prägen sich alle Einflüsse der Ränder in kleinen Öffnungen stärker aus“, schreibt Redding.
Wald als Lebensraum
Das Große Mausohr (myotis myotis) ist, mit einer Flügelspannweite zwischen 35 und 43 Zentimetern, die größte europäische Myotis-Art. Sie fliegt am Waldrand oder Lichtungen zwischen Bäumen herum, dabei wird auf die Raschelgeräusche der am Boden laufenden Beute gehört. Mehr dazu hier. Mit dem Artenschutz in deutschen Wäldern ist es auch sonst nicht weit her. In den Forstverwaltungen heißt es seit Jahrzehnten „Forstwirtschaft ist gleich Naturschutz“. Tatsächlich aber gehen durch die intensive Nutzung und das Fällen alter Baumbestände viele Habitate von Fledermäusen verloren. Mehr dazu hier.
Regionale Klimawirkung beachten
Es reicht nicht, nur die CO2-Einsparungsleistung von Windenergieanlagen gegenüber der CO2-Speicherung im Wald zu verrechnen. Die Klimaschutzleistungen von Wäldern gehen weit über eine reine Zählung der Moleküle hinaus. Löcher im Wald schädigen das Ökosystem und den Organismus Wald. Offene Kronendächer in einem löchrigen Wald haben auch Auswirkungen auf die Umgebung und verändern das Mikroklima der Waldumgebung. Zusammenhängende, alte Wälder mit lebenden, sterbenden und toten Bäumen halten mehr Feuchtigkeit und sind kühler. Sie geben daher auch mehr Feuchtigkeit und Verdunstungskälte in die Umwelt ab.
Windenergieanlagen im Wald wirken sich auch auf den Boden aus. Die Fundamente der Anlagen und die Forststraßen verdichten den Boden irreversibel bis in den Unterboden hinein. Die für Bäume lebensnotwendigen Mykorrhizapilze können sich in verdichteten Waldböden nicht verbreiten, Poren und haarfeine Röhren sind auf immer verdichtet. Der Boden transportiert und speichert dann weniger Wasser. Zerstörte Waldböden geben zudem große Mengen CO2 frei und speichern weniger oder keine Treibhausgase mehr.
Wärmere Temperaturen in lückenhaften Wäldern wirken sich bis in den Unterboden aus. Dort beeinflusst die Wärme das Leben von Mikroorganismen und Kleinstlebewesen, die Blätter, Zweige, Kot, Aas und anderes organisches Material zersetzen und in den Boden einarbeiten. Die Kleinstlebewesen mineralisieren das organische Material, so dass die Pflanzen die Nährstoffe wieder aufnehmen können. In warmen Unterböden ist der Prozess gestört. „Die Erwärmung führte zu einem Verlust an jungen, schnell erreichbaren organischem Material“, schreibt Nicholas Ofiti von der Universität Zürich. Stabiles, degradiertes organisches Material bleibt zurück, schreiben Ofiti und seine Kollegen aus der Schweiz und Kalifornien. „Dieser Verlust von pflanzlichem Material kann die Bodenfunktionen beeinflussen die CO2-Speicherung in einem wärmeren Klima vermindern.“
Tierarten bereits im Fokus
Wurden die Auswirkungen der Windenergieanlagen auf das Ökosystem Wald noch nicht untersucht, weiß die Wissenschaft einiges über die Auswirkungen auf einzelne Tierarten. Rentiere meiden Windparks während des Baus und des Betriebs, hat Agrarwissenschaftlerin Anna Skarin von der Swedisch University of Agricultural Sciences mit Kollge:innen aus Forstwissenschaft und dem UN-Umweltprogramm 2015 in den Windparks der schwedischen Tundra herausgefunden. Schon wenige Windenergieanlagen, Straßen und Stromtrassen zerschneiden die Lebensräume und Wanderrouten der migrierenden Rentiere und verringern die Kalbungsgebiete, schreiben Skarin und ihre Kolleg:innen. Waldschnepfen fliehen aus dem Umfeld von Windenergieanlagen, ebenso Auerhähne und Auerhühner, die einen Radius von 650 bis 850 Metern um die Anlagen herum nicht befliegen, dort also auch kein Futter am Boden suchen oder gar brüten.
Zehn bis zwölf Fledermäuse sterben an einer Windkraftanlage pro Jahr, haben Biolog:innen in Europa gezählt. Da nur rund ein Viertel der Windenergieanlagen in Deutschland Abschalteinrichtungen und Fledermaussensoren haben, rechnen Wissenschaftler:innen mit 200.000 getöteten Fledermäusen pro Jahr. Die Schallwellen der Rotoren zerreißen die inneren Organe der Fledermäuse. Oder die Windradblätter töten die Tiere im Flug. Fledermäuse sind extrem schwer zu beobachten. Niemand weiß wie viele Bechsteinfledermäuse, Graue Langohren oder andere Fledermäuse im Dunkel der Nacht jagen. Noch sind alle in Deutschland vorkommenden 25 Fledermausarten hierzulande gesetzlich geschützt und dürfen nach Paragraf 44 Bundesnaturschutzgesetz nicht gestört, verletzt oder getötet werden.
Fledermäuse auf Wanderschaft
Die besonders oft von Windenergieanlagen getöteten Großen Abendsegler und Rauhautfledermäuse wandern zwischen den Winter- und Sommerquartieren. Sie fliegen hunderte Kilometer quer durch Europa, manche der gerade mal sechs bis neun Zentimeter langen Abendsegler wandern 1.600 Kilometer zwischen ihren Lebensräumen. „Der Einzugsbereich der Windenergieanlagen in Berlin geht bis ins Baltikum“, sagt Christian Voigt, Leiter der Abteilung Evolutionäre Ökologie am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Bei Berlin getötete Tiere können in den Brutgebieten keine Nachkommen großziehen, die Population und die genetische Vielfalt der Arten sinken. Voigt erforscht seit Jahren mit seinem Team Fledermäuse und Windkraftanlagen und setzt sich für die Lösung des grün-grünen Konflikts ein. „Fledermausschutz und Windenergieproduktion lässt sich als Konflikt zwischen zwei gleichwertigen politischen Zielen sehen“, sagt er und fordert, dass erst die Wissenslücken geschlossen werden und dann gebaut wird. „Nur durch belegbare Sachverhalte und einer daraus resultierenden konsequenten Umsetzung von Schutzmaßnahmen lässt sich eine ökologisch-nachhaltige Energiewende realisieren, welche einvernehmlich mit den Biodiversitätszielen Deutschlands praktiziert wird.“
Einfach Rezepte wirken nicht
Auerhähne, Waldschnepfen, Fledermäuse halten sich nicht an Naturschutzgebiete im Wald oder an die von europäischen FFH-Richtlinien geschützten Gebiete. Für den Schutz der Arten bringt es daher nichts, nur Schutzgebiete in den Wäldern für den Bau von Windenergieanlagen auszunehmen. Da große zusammenhänge Wälder unabhängig von ihrem Schutzstatus einen hohen biologischen Wert haben, ist es nicht empfehlenswert Windenergieanlagen in Waldökosysteme zu errichten. Stattdessen könnten überdüngte landwirtschaftliche Flächen, Randstreifen an Autobahnen, ehemalige Gewerbestandorte und andere von Menschen seit langem genutzte Flächen vorrangig für die Energiewende genutzt werden. So könnte die letzten unversiegelten natürlichen Böden in den Wäldern und Forsten erhalten bleiben. Und bevor Windparks auf die Kahlschläger der zusammengebrochenen Fichtenforste gebaut werden, sollte wissenschaftlich geklärt werden, ob eher ein wiederaufgeforsteter Wald oder ein Windpark bei der regionalen Anpassung an den Klimawandel hilft. Erst wenn die Auswirkungen von Windenergieanlagen im Wald wissenschaftlich geklärt sind, kann die Frage beantwortet werden: Sind Windenergieanlagen im Wald Klimaschützer?
Literatur
Quellen und weiterführende Literatur:
- Todd Redding et.al. Spatial patterns of soil temperature and moisture across subalpine forest-clearcut edges in the southern interior of British Columbia, 2013
- Ofiti, Nicholas O E; Zosso, Cyrill U; Soong, Jennifer L; Solly, Emily F; Torn, Margaret S; Wiesenberg, Guido L B; Schmidt, Michael W I (2021). Warming promotes loss of subsoil carbon through accelerated degradation of plant-derived organic matter. Soil Biology and Biochemistry, 156:108185.
- Coppes, J., Bollmann, K., Braunisch, V., Fiedler, W., Grünschachner-Berger, V., Mollet, P., Nopp-Mayr, U., Schroth, K-E., Storch, I., Suchant, R. 2019: Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Auerhühner. Hrsg.: Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg und Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg.
- Pierre L. Ibisch, Charlotte Gohr, Deepika Mann & Jeanette S. Blumröder (2021). Der Wald in Deutschland auf dem Weg in die Heißzeit. Vitalität, Schädigung und Erwärmung in den Extremsommern 2018-2020. Centre for Econics and Ecosystem Management an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde für Greenpeace. Eberswalde.
- Anna Skarin et al : Wind farm construction impacts reindeer migration and movement corridors, Landscape Ecol (2015) 30:1527–1540
- Keith, H., Mackey, B.,Kun, Z., Mikoláš, M., Svitok, M., & Svoboda, M.(2022). Evaluating the mitigation effectiveness of forests managed for conservation versus commodity production using an Australian example.Conservation Letters,e12878.
- Bericht des Weltklimarates, IPCC, Februar 2022
Weiterführendes:
- Eckpunkte des Bundesverbandes Beruflicher Naturschutz: Mehr erneuerbare Energien und mehr biologische Vielfalt -Der BBN-Vorstand verabschiedete im Februar 2022 „Eckpunkte zu Naturschutz und Energiewende: Mehr erneuerbare Energien und mehr biologische Vielfalt“ und geht darin auf das zentrale Vorhaben der Bundesregierung, die Energiewende ein. Zugleich zeigen die Eckpunkte, dass dabei die ökologischen Standards nicht gesenkt werden sollten.
- Interview mit Christian Vogt, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung zur Wanderung von Fledermäusen und Windkraftanlagen.
- Interview mit Klaus Richarz, Biologe, zur Strategie Windkraftanlagen im Wald zu bauen, am Beispiel des Reinhardswaldes, Hessen.
- Wissenschaftler kritisieren EEG-Eckpunktepapier 2022: In einem 53-seitigen Papier des bundesweit tätigen Naturschutzinitiative (NI) analysieren die Wissenschaftler, Juristen und Naturschützer die geplanten Änderungen des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) in Bezug auf ihre Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht. Sie beleuchten die Auswirkungen von Windenergieanlagen auf unsere Wälder und Landschaftsschutzgebiete, den Artenschutz sowie die für das Überleben der Menschheit wichtigen Biodiversität.