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Wälder in Bewegung

Eine Reise durch 100 Jahre Wald- und Klimazukunft

Mit welchen Methoden und Grundsätzen kann es gelingen, die heutigen Wälder in Deutschland klimaresistenter zu machen? Diese Frage ist der Leitfaden durch Christian Köllings Buch „Wälder in Bewegung“. Werden sich unsere Wälder anpassen mit den traditionellen Praktiken der Forstwirtschaft? Oder ist die naturnahe Waldwirtschaft die Antwort?

Kölling ist promovierter Forstwissenschaftler, Förster, Autor und ein alter Hase zum Thema Wald und Klimawandel. In diesem Buch führt er gar durch „100 Jahre Wald- und Klimazukunft“, angefangen bei der wilden und natürlichen Natur über die Zähmungen der Zivilisation, die Ausbeutung der Wälder bis zur Erkenntnis, dass der Klimawandel ein den Wald plünderndes Weiter-so unmöglich macht.
Womit er recht hat. Wie überzeugend aber sind seine Lösungsvorschläge? Stimmt, was der Verlag auf die Rückseite des Buches schreibt und der Autor als Paradigmenwechsel bezeichnet: Die Wälder müssen mit neuen, dem Klima angepassten Bäumen „angereichert“ werden? Damit eröffne sich für die Wald- und Klimazukunft eine hoffnungsvolle Perspektive?

Zwillingsregionen: Ein Blick ins Jahr 2100

Richtig ist auf alle Fälle, dass die beiden Wege in die Zukunft der Wälder sich kaum vereinbaren oder kombinieren lassen. Tatsächlich stehen sich beide Seiten zunehmend feindlich gegenüber, weshalb Kölling für einen friedlichen Mittelweg plädiert. Um den Leser in die Zukunft mitzunehmen, liefert Kölling zunächst wissenschaftliche Grundlagen zu den Forschungsergebnissen über den Klimawandel. Dann berichtet der Autor über die sogenannten Zwillingsregionen. Hierbei handelt es sich um Gebiete, die bereits heute die klimatischen Bedingungen widerspiegeln, die in Deutschland für das Jahr 2100 prognostiziert werden – also zwischen Gegenwart und Zukunft liegen. Sie veranschaulichen, wie künftige Waldökosysteme in Deutschland gestaltet werden könnten. Die in den Beispielen genannten Waldinventuren gäben zudem Aufschluss über die Waldverhältnisse in Zeiten der steigenden Temperaturen.

Diese Darstellung ist eine gute Idee, denn die Wälder der Gegenwart dienen als Frühwarnsystem der Wälder der Zukunft.  Durch die Übertragung von Beobachtungen und Erkenntnissen aus den Zwillingsregionen auf deutsche Wälder könnten potenzielle Risiken frühzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, sagt Kölling. Nicht verwunderlich ist, dass der Fichte laut den Zeitgraphiken keine Zukunft beschert, die Vogelkirsche dagegen vom Klimawandel unbeeindruckt ist. 2080 dominieren laut dem Autor Edelkastanie, Manna-Esche und Flaumeiche.

Assistierte Migration als Lösung?

Kölling zeigt sich im weiteren Verlauf des Buches als Vertreter assistierter Migration. „Wenn wir die Methode der unterstützten Wanderung praktizieren, dann knüpfen wir das durch den Klimawandel zerrissene Band zwischen Klima und Baumart an einem anderen Ort neu“.
Vorwissen aus dem Vergleich mit Zwillingsvisionen plus die richtige Baummischung, ist das die Patentlösung für den Zukunftswald? Für Kölling ja. Um dies zu erreichen, braucht es den Menschen. Diesen sieht er in der Verantwortung für die künftige Waldentwicklung.  Die Selbstentwicklungskräfte der Wälder – der ökosystembasierte Ansatz – bieten für Kölling nur begrenzte Möglichkeiten.

Mit dem Argument, die nicht-assistierte Baumwanderung verlaufe zu langsam, steht Kölling nicht alleine da. Im Vordergrund dieser Argumente steht aber einzig die Frage nach der Beständigkeit der Baumarten in Zeiten steigender Temperaturen. Doch kein Baum ist ein singuläres Wesen. Wälder sind eng verknüpfte Systeme, und das einmal gebildete Netzwerk wird von Generation zu Generation weitergegeben. Wie und ob sich ein „fremder“ Baum dort einfügen wird und kann, ist noch lange nicht erforscht. Eine wichtige Frage bleibt somit offen: Sollten wir unsere bestehenden Wälder auf ein zukünftiges, fremdes Klima anpassen und dabei riskieren, diese Ökosysteme auf eine unerforschte Weise zu verändern? Oder sollen wir unsere gegenwärtigen Wälder gegenwärtig stärken, um die Klimaveränderung gering zu halten?

„Wälder in Bewegung“ ist ein kundig geschriebenes Buch und Kölling vermittelt auf eine sehr angenehme und unaufgeregte Art viel Wissen um das Ökosystem Wald und die Gefahren für seine Zukunft. Angenehm auch deshalb, weil seine Thesen faktenbasiert sind, auch wenn die Auslegung der Fakten debattierbar ist. Insgesamt wird eine Interessante und von Hoffnung getragene Herangehensweise präsentiert, auch wenn es wünschenswert gewesen wäre, die Auswirkung auf die Anreicherung von gebietsfremden Baumarten zu berücksichtigen.

Lesen Sie hier auch eine weiterführende Studie über die Relevanz von intakten Ökosystemen.

Foto: oekom Verlag

oekom Verlag

Wälder in Bewegung

Eine Reise durch 100 Jahre Wald- und Klimazukunft

2024, 162 Seiten
Softcover, 22,00€ – PDF 17,99€
ISBN: 978-3-98726-104-6


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