Wälder mit günstigem Mikroklima bleiben im Herbst länger grün
Hitze und Trockenstress nehmen im Klimawandel zu. Wenn ein dichtes Kronendach für Schatten und Kühle sorgt, zögern nordamerikanische Laubwälder den Beginn der herbstlichen Färbung um ein bis zwei Wochen hinaus. Das ermöglicht es den Waldökosystemen, die Fotosynthese länger aufrecht zu erhalten. So können sie witterungsbedingt unproduktive Phasen ausgleichen.
Viele Forstwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler machen den Klimawandel für die aktuelle Waldkrise verantwortlich. Dem halten andere entgegen: Der Umgang mit unseren Waldökosystemen vor Ort ist mitentscheidend. Waldökosysteme besitzen ein natürliches Potenzial an Widerstandsfähigkeit, Resilienz und Anpassungsfähigkeit, das es zu wahren gilt.
Ein chinesisch-belgisches Team von Waldforschenden hat nun einen originellen Beitrag zu dieser wissenschaftlichen Debatte geleistet. Ihre Studie, angeführt von Xiaoyong Wu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking, geht der Frage nach, unter welchen Umständen es Waldökosystemen gelingt, ihre Fotosynthesetätigkeit an die zunehmend wärmeren Tage im Herbst anzupassen.
Konkret interessierte die Forschenden, welche Wirkung die Waldstruktur und das resultierende Mikroklima auf den Zeitpunkt des Beginns der herbstlichen Färbung haben.
Viele Blätter erzeugen ein mildes Mikroklima
Es bestätigt sich die Annahme, dass die Temperatur im Waldbestand umso weniger schwankt, je mehr Blattfläche das Kronendach zusammensetzt und je schattiger es demzufolge im Kronendach ist. Verblüffend erscheint, dass dieser Effekt so stark ist, dass er den Einfluss der örtlich dominierenden Baumart sogar überlagert.

Der Laubwald hat sein Kronendach vollständig über einer abgestorbenen Fichte geschlossen (Nationalpark Bayerischer Wald, Juni 2024; Foto: Lennart Stein)
Ein mildes Mikroklima begünstigt ein späteres Einsetzen der Herbstfärbung
Auch die zweite Annahme bestätigt sich: Geringere mikroklimatische Schwankungen führen zu einem späteren Beginn der herbstlichen Verfärbung des Laubes. Das können die Autor*innen der Studie mittels enger statistischer Zusammenhänge belegen.
Ein schattiges Kronendach, das die täglichen Extreme des lokalen Temperaturverlaufs abschwächt, ermöglicht es einem Waldbestand, den Abbau des Blattgrüns hinauszuzögern. Die Bäume können so noch ein paar Tage länger fotosynthetisch aktiv bleiben und dabei der Atmosphäre weiteres Kohlendioxid entziehen. Insgesamt variierten die Termine der beginnenden Herbstfärbung je nach Untersuchungsgebiet um immerhin ein bis zwei Wochen.
Bedeutung für die forstwirtschaftliche Praxis
Die zeitliche Ausdehnung der Fotosyntheseaktivität kommt den einzelnen Bäumen, dem Waldökosystem und dem Klima zugute: Je länger Bäume Zeit für die Produktion pflanzenwichtiger Stoffe haben, desto besser können sie Extremwirkungen ausgleichen. So kann ein Bestand zusätzliche Tage am Ende der Vegetationszeit nutzen, um beispielsweise ein zurückliegendes kaltes Frühjahr oder auch vom Klimawandel verursachte Wochen der Dürre auszugleichen. In ähnlicher Weise verschafft eine verlängerte Vegetationszeit den Bäumen Vorteile im anschließenden Frühjahr. Sie können sie dann im Herbst zusätzliche Ressourcen zu produzieren, die ihnen helfen, im folgenden Frühjahr den Blattaustrieb zu bewerkstelligen. Von fitten Bäumen profitiert natürlich auch die Gesundheit des Waldökosystems als Ganzes. Nicht zuletzt festigt sich damit auch die Klimaschutzwirkung, die Wäldern zu eigen ist.
Da die Wälder der gemäßigten Zone Nordamerikas und Europas einander ökologisch recht ähnlich sind und im Wesentlichen eng miteinander verwandte Baumarten beherbergen, könnte diese Erkenntnis auf die hiesigen Verhältnisse übertragbar sein.
Die Wälder Mitteleuropas und das Weltklima können solche positiven Effekte gut gebrauchen. Ein Beispiel: Die Aprilmonate waren in den letzten Jahren oft trocken und heiß. Von der Fitness, die sich die Bäume im Vorjahr angeeignet haben, hängt es dann ab, ob ein Wald die Dürrephase übersteht und noch die Ressourcen hat, etwa vertrocknetes Laub zu ersetzen (“Johannistrieb“).
Starke Eingriffe, die das Kronendach öffnen, schwächen die Funktionstüchtigkeit eines Waldökosystems. Diese Einsicht steht in Einklang mit zahlreichen früheren Studien, zum Beispiel zum langfristigen Effekt starker Durchforstungen. Auch der fatale Effekt der Zerschneidung von Wäldern durch landwirtschaftliche Tätigkeiten, die Zersiedelung der Landschaft und durch den Straßenbau ist gut untersucht.
Eine Waldbewirtschaftung, die eine Öffnung des Kronendachs minimiert, wirkt dagegen unterstützend auf die Widerstandskraft, die Selbstheilung und Anpassungsfähigkeit eines Waldes.
Zu geeigneten Maßnahmen zählen:
- Verzicht auf regelmäßiges Auflichten durch Durchforstungen
- Einzelbaumentnahme und Vermeidung von Kahlschlägen
- Anlage von möglichst weitmaschigen Rückegassen- und Forstwegen
- Schmale Forstwege
- Der Baumbestand ist eng an den Wegesrand gerückt, so dass sein Kronendach die Wege vollständig beschatten kann
Forschungsmethoden
Es wurden sechs Laubmischwälder der gemäßigten Zone in den Vereinigten Staaten untersucht, die der internationalen Forschungsgemeinde als Langzeitstudienobjekte zur Verfügung stehen. Die Waldstücke messen zehn mal zehn Kilometer und sind damit groß genug, um Waldbestände unterschiedlichen Charakters und damit auch unterschiedlicher Kronendachstrukturen zu umfassen. Um Aufschluss über die Allgemeingültigkeit der Untersuchungsergebnisse zu erhalten, ergänzten die Forschenden die nordamerikanischen Untersuchungsflächen um eine weitere Waldfläche in China.
Das Team erhob Daten zur Baumartenzusammensetzung und zum Mikroklima. Per Satellit und Drohnenbefliegungen stellten die Forschenden die Waldstruktur fest und verfolgten die Entwicklung der fotosynthetischen Aktivität und der Herbstfärbung. Die mikroklimatischen Daten wurden schließlich mit Daten zum regionalen Klima zusammengeführt, um zu verstehen, wie unterschiedlich die untersuchten lokalen Waldökosysteme auf dieselbe großräumige Witterung reagieren. Hinzu kam ein mikroklimatisches Modell, mit dem die Wirkungsweise des lokalen Mikroklimas auf die Entwicklung der physiologischen Aktivität der Waldbäume simuliert werden kann.
Autor: Dr. Stefan Kreft
Literatur
Wu, X., Niu, C., Liu, X., Hu, T., Feng, Y., Zhao, Y., Liu, S., Liu, Z., Dai, G., Zhang, Y., Van Meerbeek, K., Wu, J., Liu, L., Guo, Q. & Su, Y. (2024). Canopy structure regulates autumn phenology by mediating the microclimate in temperate forests. Nature Climate Change, 1-7.
https://www.nature.com/articles/s41558-024-02164-2 (nur Zusammenfassung)