9. Lübecker Waldtagung: Waldschäden als Chance begreifen
Wie gehen wir mit den Kalamitätsflächen in Deutschlands Wäldern um? Diese Frage stellten sich die Teilnehmenden auf der 9. Waldtagung des Lübecker Stadtwaldes. Zwei extrem trockene Sommer in Folge und ca. 180.000 ha vertrocknete oder vom Borkenkäfer befallenen Waldflächen in Deutschland – das war der Anlass für die Themenwahl der Tagung, die seit drei Jahren nun auch in Zusammenarbeit mit der Naturwald Akademie stattfindet.
Schäden gibt es für die Natur nicht
Dass die TagungsteilnehmerInnen, unter ihnen ForstpraktikerInnen, WissenschaftlerInnen und NaturschutzvertreterInnen, weder von Schäden noch von Kalamitäten, sondern von Störungen denken und sprechen sollten, hat Andreas von Heßberg von der Universität Bayreuth gleich im ersten Vortrag eindringlich vermittelt.
Die Aussagen von Heßberg in Kürze: Störungen im Fichtenwald können zu artenreichem Mischwald führen, aber auch zum großflächigen Zusammenbruch des Waldareals. Verschiedene Optionen sind möglich. Die Natur hat ein riesiges Repertoire an Reaktionsmöglichkeiten und findet einen Weg.
Studien zeigen, eine Störung von mittlerer Ausprägung bringt die höchste Artenvielfalt hervor. Wichtig ist der Schutz einer Landschaft inklusive ihres natürlichen Störungsregimes.
Forschungsergebnisse der Bayreuther Störungsökologie-Forschung sind u.a.:
- Je höher die Artenvielfalt/Biodiversität einer Landschaft bzw. Netzwerkes umso widerstandsfähiger sind diese bei von außen kommenden zusätzlichen Störungen (höhere Resilienz).
Eine Waldlichtung oder Störungsfläche entwickelt höhere Artenvielfalt. Diese strahlt auch in die umgebende Landschaft aus. Dies komme auch dem Menschen entgegen, der die Landschaft nutzen will, meint der Ökologe und plädiert deswegen für folgendes:
- mehr Geduld der Waldbesitzer
- mehr Vertrauen in die Eigenkräfte der Natur
Jörg Baeskow, Revierförster im Stadtwald Lübeck, kam zu ähnlichen Schlüssen aus seiner 30-jährigen Praxis. In Lübeck hatte und hat es nur einen geringen Fichtenbestand. Es wurde früh erkannt, dass die Fichte eine riskante Baumart ist, weshalb sie sukzessive entnommen wurde. Andernorts sieht er leider wenig Umbau zu naturnahen Wäldern. Beskow: “Die jetzige große Katastrophe ist absehbar gewesen.“
Der Praktiker rät:
Unbedingte Vermeidung von Kahlflächen! Stehendes und liegendes Tot- bzw. Schadholz sollte auf der Fläche verbleiben, nur dann kann Waldneubildung richtig stattfinden. Wiederbewaldung möglichst über Naturverjüngung. Zudem übersteigt der ökologische Wert von verbleibendem Schadholz häufig den ökonomischen Wert der Aufarbeitung. Auch Naturverjüngung ist günstiger, als eine Freifläche zu bepflanzen.
Seine Denkanstöße lauten:
- großflächige Störungen als Chance zum Waldumbau begreifen (zurück zu natürlichen Wäldern)
- mehr Gelassenheit im Umgang mit Störungen
- kein panikartiger Aktionismus nach Störungen (Abräumen, Gifteinsatz)
- Mut zur Lücke, einfach mal nicht aktiv werden und abwarten, was die Natur selbst entwickelt
Wie sieht es mit Naturverjüngung in einer belassenen Buchen-Windwurffläche aus? Diese Frage hat sich Peter Thyen von der Universität Göttingen gestellt. Seine Studienergebnisse:
- Auf der ungeräumten Untersuchsfläche war der Wildverbiss geringer als auf der geräumten Fläche. Rehe frequentierten den ungeräumten Bereich um 14 % weniger als die geräumte Fläche. Insgesamt gibt es eine sehr hohe Wilddichte und extrem hohen Verbiss. In der belassenen Windwurffläche wuchsen die Pflanzen früher aus der vornehmlich verbissgefährdeten Höhenklasse (über 130 cm) heraus.
Die niedrigere Verbissrate erklärt er durch die Barrierefunktion der belassenen Stämme. Sein Fazit lautet:
- Je besser die Zugänglichkeit, desto höher der Verbiss.
- Die Jagd bleibt die wichtigste waldbauliche Stellschraube.
- Das Belassen der Bäume hat einen positiven Einfluss auf die Bodenfruchtbarkeit, da die Stämme über einen langen Zeitraum ihre Nährstoffe abgeben.
Aus der regionalen Praxis: Brandenburg, Lauenburg und Saarland
Der zweite Tagungstag begann mit einem Vortrag von Dietrich Henke, Leiter des Forstbetriebes Treuenbrietzen in Brandenburg. 150 ha des 1500 ha großen Kommunalwaldes brannten im Sommer 2018. Seine Erfahrungen mit dem in Brandenburg dominierenden Kiefernwald fasst er wie folgt zusammen:
- Waldumbau braucht Zeit, Zeit für Naturverjüngung, Zeit für Beobachtung. Der erhöhte Boden-pH-Wert der Brandflächen beinhaltet für manche Vegetationsarten Vorteile. Eine der Brandflächen bleibt sich selbst überlassen. Dort sind bereits 25 verschiedene Pilzarten festgestellt worden und die entstandene Vegetationszusammensetzung ist vielfältig.
- In Wäldern mit Munitionsbelastung kann, zumindest in der Umgebung von Ortschaften, die Kiefer nicht die Zukunft sein. 1,5 bis 2 km weiter gab es neue Brände wegen Funkenflug. Drei Ortschaften mussten evakuiert werden. Unter Laubholz lief das Feuer langsamer als in den Kiefernbeständen und war weniger dimensional.
- Zu Neupflanzungen: Anfang 2019 kamen die ersten kleinen Kiefern durch Naturverjüngung, verharren jedoch im Bürstenstadium. Von den gepflanzten Kiefern sind 60 bis 70 % eingegangen, egal ob der Boden vorher tief, wenig oder gar nicht gepflügt wurde.
Seine Zielsetzung:
- Biomassenaufbau und -erhaltung
- Befahrung nur auf Walderschließungslinien
- Vermeidung von Freiflächenklima (d.h. kein vollständiges Räumen der Störungsflächen)
- Nutzung der Sukzessionskräfte (Vorwald)
- aktive Öffentlichkeitsarbeit
- Waldbauempfehlung als Richtlinie
Für Dietrich Henke ist der Wald eine Gemeinschaftsaufgabe. Deshalb informiert er die kommunale Bürgerschaft aktiv und bindet diese bei der Saatguternte und der Saat ein.
Als Forstwirt findet es Henke auch wichtig, dass mehr Forschung in verbrannten Waldflächen stattfindet. Das Wissen in diesem Bereich sei in Deutschland allgemein sehr gering. Deshalb unterstützt er mit dem Projekt Cleverforst, an dem auch die Naturwald Akademie beteiligt ist, die Grundlagenforschung nach Großbrandereignissen.
Der Leiter der Kreisforsten Herzogtum Lauenburg, Heiner Niemann, ein weiterer erfahrener Praktiker, hat in seinem Vortrag viel über die politischen Vorgaben in seiner Amtsausübung gesprochen, die von anderen TagungsteilnehmerInnen aus der Praxis bestätigt wurden.
Seiner Erfahrung nach, darf der Forstleiter keine Meinung haben, sondern hat sein Amt zu erfüllen. Betrachtung auf den Wald sind in den kommunalen Gremien nahezu ausschließlich monetär sagt er – das ist ein Problem. Der Wald müsse in seiner gesamten Umwelt-, Naturschutz- und Erholungsfunktion bewertet werden. Denn Holz ist eigentlich nur ein Abfallprodukt des Waldbaus. Der finanzielle Gewinn kann daher nicht im Vordergrund stehen.
Klaus Borger, Leiter der Forstbetriebsgemeinschaft Saar-Hochwald mit rund 5000 ha, erinnerte an die 60er Jahre als Waldbesitzer Geld bekamen, um Laubmischwälder durch Nadelwälder zu ersetzen. Jetzt werden Privatwaldbesitzer im Saarland unter Androhung von Strafe dazu aufgefordert befallene Fichten zu räumen und neu aufzuforsten. Er steht dieser Entwicklung kritisch gegenüber und fordert Wälder in Ruhe zu lassen. Seine Empfehlungen:
- Befallene Bäume bleiben stehen
- Wälder nicht weiter „heiß zu schlagen“
- Auf keinen Fall mit Großmaschinen in den Wald
- Rückegassen mit Abständen vom mind. 60 bis 80 m
- Konsequente Jagd
- Mehr Grundvertrauen: Dem Wald die Chance geben, das zu machen, was er viel besser kann als Förster: nämlich neuen Wald entwickeln.
Im Statement von Christoph Thies, Waldexperte von Greenpeace, ging es nicht nur um den Umgang von Störungsflächen, sondern auch den wichtigen Aspekt der Kohlenstoffbindung im Wald. Jeder Baum, der unnötig oder zu früh geräumt wird trägt zur Klimakrise bei, sagt er. Gerade wegen der rasanten Klimaveränderung können nur die heimischen Arten dynamisch auf diese Veränderungen reagieren. Seine Erfahrung ist, dass naturnahe selbstverjüngende Bestände in Europa insgesamt deutlich besser mit Extremereignissen klarkommen, als gepflanzte Monokulturen oder Forsten mit nur 2 bis 3 Baumarten. Er plädiert dafür die geräumten Bäume möglichst dauerhaft in Produkte zur langfristigen CO2 Bindung einzusetzen.
Seine vier Kriterien im Umgang mit Störflächen sind:
- Das natürliches Mikroklima muss erhalten werden. Keine Freiflächen schaffen
- Feuchtigkeit bewahren
- Strukturelle Vielfalt ermöglichen
- Kohlenstoffbindung durch das Verbleiben von vertrockneten oder toten Bäumen, die nicht frisch befallen sind.
Peter Meyer, Leiter des Bereichs Naturwaldforschung der Nordwestdeutschen-Forstlichen Versuchsanstalt, unterstützt für Störungsflächen die Diversifizierung von Baumarten. Da dürfen auch eingeführte Baumarten dabei sein, findet er. Das Ganze sei ein Lernprozess. Er plädiert für das Experimentieren, um aus diesem wirklich zu lernen. Er beobachtet an vielen Orten immer noch zu wenig Selbstreflektion beim Umgang mit Störflächen.
Aus ökonomischer Sicht gibt es viele Gründe in Pflanzungen zu investieren. Bei reiner Naturverjüngung verliere man viele Jahre. Der Wald macht das schon, aber eben langsam und nicht wirtschaftlich. Er ergänzt, dass der Mensch den Wald eigentlich nicht reparieren muss. Das kann die Natur ganz alleine. Alles andere wäre eine Arroganz von uns.
In der Abschlussdiskussion wurde klar: es gibt kein gemeinsames Resümee der Tagung, aber alle waren sich einig, dass nach Störungen erstmal Geduld walten sollte. Statt vorschneller Pflanzung und Räumung sollte man zunächst auf die Kräfte der Natur setzen und die Flächen beobachten.
Downloads
Hier finden Sie bald eine Auswahl der Vorträge als Download.