Igel

Foto: NABU/Andreas Bobanac

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Igel brauchen Laubwälder

„Monotone Forste oder ausgeräumte Wälder bieten Igeln nichts“, sagt Ökologe Dr. Leon Barthel, der Igeln in Brandenburg und Berlin auf der Spur war. Das war schwerer als gedacht, denn es gibt immer weniger Igel in der Natur. Igel brauchen Laub, Gebüsch und viele Insekten. Erstaunlich viele Igel entdeckte Leon Barthel in naturnahen Parks in Berlin und hat beobachtet, dass die Tiere sogar Musik-Festivals mit tausenden Besuchern einfach aussitzen – auch unter einer Pommesbude.

Herr Dr. Barthel, wie geht es den Igeln?

Dr. Leon Barthel: Im Umkreis von Berlin haben wir drei Monate lang versucht Igel auf dem Land zu finden und zwar in Ideal-Gebieten mit offenen und dicht bewachsen Flächen und Gebüsch. Selbst da, im besten Igel-Habitat, hatten wir Probleme Igel zu finden. Unsere Erfahrung passt mit den Ergebnissen vereinzelter Projekte in Bayern oder Hessen zusammen, und auch aus England, wo eine Biologin für ihre Doktorarbeit ebenfalls keine Igel in ländlichen Gebieten gefunden hat und wenn nur in der Nähe von Bauernhäusern.  Wir wissen also nicht wie es den Igeln geht, aber alle Hinweise deuten darauf hin, dass ihre Populationen zurückgehen.

Igel im Laub
Foto: pixabay.com/monicore

Der Igel (Erinaceus europaeus) hat es nicht leicht in unseren aufgeräumten Landschaften. Er braucht Laub und viele Insekten, damit er überleben kann. Charakteristisch für den Igel sind seine 6.000 bis 8.000 Stacheln, die der Verteidigung gegen Feinde dienen. Uhus, Marder und Dachse haben Igel zum Fressen gerne. Der Igel lebt einzelgängerisch und ist vorwiegend nachtaktiv. Sie haben feste Territorien und haben sich an ein Leben in der Nähe von Menschen angepasst. Leider können Sie sich nicht an Autoreifen anpassen und werden so immer wieder Opfer des Straßenverkehrs.

Haben Sie überhaupt Igel im Umland von Berlin gesehen?

Dr. Barthel: In drei Monaten haben wir vier Igel gefunden. Im Park oder auf einem Friedhof in Berlin haben wir manchmal in einer Nacht zwei oder drei Igel getroffen. Im Hotspot in Berlin, im Treptower Park, haben wir acht bis elf Igel pro Nacht gefunden.

Warum ist der Park so beliebt bei Igeln?

Dr. Barthel: Vermutlich weil er eine sehr große zusammenhängende Grünfläche bildet mit weiten offenen Flächen, dicht stehendem Gebüsch, jüngeren und alten Laubbäumen, der Boden mit einer dicken Laubschicht bedeckt. Ideal für Igel, die Laub für ihre Nester brauchen.

Das klingt fast nach natürlichem Laubwald. Können Parks, Friedhöfe, Gärten in Städten die schwindenden Igel-Bestände retten?

Dr. Barthel: Solange Pflanzen, Tiere und die Pilzwelt über genügend „grüne“ Verbindungen verfügen, können Städte möglicherweise gesunde Populationen aufrechterhalten, aus denen sogar Tiere in wiederhergestellte ländliche Gebiete wandern. Auf lange Sicht reichen Städte aber nicht als Lebensraum für die Arten aus, vor allem wenn die Grünflächen bebaut und die Städte weiter verdichtet werden.

Wie können Land- und Waldbesitzer Igel unterstützen?

Dr. Barthel: Waldbesitzer müssten die natürlichen Prozesse zulassen, Windwurfflächen und Brachen langsam mit der Sukzession zuwachsen lassen, damit Büsche und junge Bäume wachsen. Laubmischwald und eine natürliche Baumsukzession sind am besten, wobei Igel auch in höheren Wiesen Nester bauen. Interessant für Igel sind immer die Gebiete, wo offene Wiesen und Wald nahe aneinander stehen.

Leben Igel auch ausschließlich im Wald?

Dr. Barthel: Igel können nicht in den heutigen Wäldern leben, in denen plantagenmäßig nur Nadelbäume stehen. Monotone Forste oder ausgeräumte Wälder bieten Igeln nichts. Sie brauchen Laubwälder, Hecken, mal kleine Felder oder Lichtungen, in denen sie Laub für Nester und Insekten finden. Der Igel frisst viele Insekten, doch auch seine Nahrung verschwindet, wenn es weniger Insektenarten und weniger Biomasse gibt.

Forscher mit Igel
Foto: Barthel, privat

Igel sind überwiegend nachtaktive Tiere. Tagsüber verstecken sie sich und sind nur schwer zu finden. Dementsprechend sind Igel-Forscher, wie Dr. Leon Barthel, auch oft nachts unterwegs, um die kleinen Säuger zu finden. Dann werden sie gewogen, auf sichtbare Krankheiten und Verletzungen untersucht und markiert. So können sie später wieder zugordnet werden.

Der Klimawandel verschiebt die Lebensräume der Arten. Manche leiden, andere können wegen der milderen Temperaturen ihren Lebensraum ausweiten. Geht es Igeln besser, wenn der Winter nicht so frostig ist?

Dr. Barthel: Nein, denn der Igel schläft den Winter hindurch regungslos in seinem Nest und reduziert als Winterschläfer seine Temperatur auf vier Grad, um Energie zu sparen. Igel überleben mit wenigen Herzschlägen und sehr unrhythmischen Atemverhalten. Sie atmen mehrere Minuten bis zu einer halben Stunde gar nicht und dann ganz schnell hintereinander. Das geht nur gut, wenn die Temperatur sehr niedrig ist. Dann sparen die Tiere Energie. Wenn die Umgebungstemperatur bei 14 oder 15 Grad liegt, was in den vergangenen Wintern häufig vorkam, dann muss der Igel ein bisschen wärmer sein als die Temperatur und verbraucht viel mehr Energie. Wenn das über drei, vier, fünf Monate so geht, verliert der Igel sehr viel mehr Energie, als wenn er auf dem ganz niedrigen Energieniveau war.

Wachen die Igel auf, wenn es zu warm ist?

Dr. Barthel: Ja, nicht nur wenn es zu warm ist. Das ist ganz normal, dass Igel zwischendurch aufwachen und auch mal ihre Nester wechseln. Wenn Menschen einen Igel im Winter sehen, dann ist das meistens, weil das Nest nicht mehr gut war und vielleicht feucht geworden ist. Igel kennen ihr Gebiet und wissen, wo sie noch schnell ein neues Nest bauen können.

Die Igel müssen dann nichts fressen?

Dr. Barthel: Nein, sie versuchen so schnell es geht wieder in den Winterschlaf, den Topor, zu kommen. Wenn sie in der Stadt mal eine Pizza finden, dann nehmen sie die sicher auch, aber eigentlich brauchen sie nichts zu fressen, wenn sie sich im Herbst genügend Fett angefressen haben. Deswegen ist es wichtig, dass die Tiere dann ungestört sind.

Sie haben für Ihre Dissertation die Igel in Berlin untersucht und in einem Park während eines Musikfestivals mit Zehntausenden Besuchern am Tag und in der Nacht begleitet. Wie haben die Igel reagiert?

Dr. Barthel: Wir haben die Igel vor dem Festival, während des zehntägigen Aufbaus und an den zwei Tagen Festival begleitet und konnten sehen, dass die Igel ihr Verhalten angepasst haben. Wahrscheinlich waren sie teilweise stark gestresst, wenn die Musik tagsüber lief, während die Tiere sich ausruhen. Sie konnten die Wiese nicht mehr nutzen, auf der sie sonst ihre Nahrung suchen. Einige Igel saßen jedoch auch unter dem VIP-Container oder unter einer Pommesbude. Manche Igel konnten also mit dem Lärm und den Menschen ganz gut umgehen. Unter der Pommesbude saß der ja nicht ohne Grund. Leider wissen wir nicht, inwieweit das Festival die Überlebenschancen der Igel langfristig beeinflusst hat.

Wie kann jeder einzelne Igel unterstützen?

Dr. Barthel: Wir müssen endlich beginnen, Menschen und Natur zusammenzudenken und die natürlichen Prozesse zulassen. Den Tieren und Pflanzen also einfach Platz gewähren, damit sich das Leben entfalten kann. Speziell für Igel ist es wichtig, dass die Populationen auch in den Städten verbunden bleiben. Jeder Gartenbesitzer kann einheimische Bäume, Büsche oder auch Blumen pflanzen und Löcher in die Zäune machen, damit der Garten ein Teil des grünen Lebensraums wird.

Sie haben einen Igel gefunden? Wollen sich für Igel einsetzen? Pro-Igel e.V. hilft mit Rat und Tat.

Wunderschöner Film über das Leben der Igel im und am Wald auf 3SAT.

Wissenswertes über Igel und ihre Stacheln als Videos



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