
Samen per Luftfracht in den Wald
Vögel tragen wesentlich dazu bei, Gehölzarten zu verbreiten und Wälder artenreich zu halten. Neben den Buchen und den Eichen setzen vor allem kleine Bäume und Sträucher auf die Verbreitung über den Luftweg. Diese Ökosystemleistung der Vögel lässt sich inzwischen sogar in Geldwerte umrechnen.
Beim Begriff Waldbau denken vermutlich viele zunächst daran, wie der Mensch den Charakter von Wäldern prägt. Weniger bekannt ist, dass Vögel mit zu den wichtigsten Waldbauern gehören, weil sie Samen über weite Strecken verbreiten. „Die größte Bedeutung hat in unseren Wäldern der Eichelhäher, da er in großen Mengen die Eicheln von Stiel- und Traubeneichen aber auch Walnüsse und Esskastanien im Boden versteckt“, sagt der Forstwissenschaftler Olaf Schmidt, der bis zu seiner Pensionierung im Juni 2020 Präsident der Bayerischen Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft (LWF) war.
Wie die Eichhörnchen legen sich die Vögel einen Futtervorrat für den Winter an. Experten gehen davon aus, dass ein Eichelhäher pro Jahr rund 5.000 Eicheln vergräbt. „In ihrem Sammeleifer schießen die Eichelhäher aber meist über ihr Ziel hinaus“, sagt Olaf Schmidt. „Sie verstecken ein Mehrfaches dessen, was sie tatsächlich fressen.“ Das bedeutet, dass viele Eicheln, Walnüsse und Esskastanien im Boden verbleiben und im Frühjahr keimen. Auf diese Weise pflanzen Eichelhäher en passant in jedem Jahr bis zu 1.500 Eichen, schätzt man – auch an Stellen, die für Menschen schwer zugänglich sind. Schwedische Forscher haben den Wert dieses Waldbau-Services berechnet: Im Schnitt „sät“ jeder Eichelhäher pro Jahr Eichen im Wert von 166 bis 762 Euro. So viel würde es kosten, wenn eine vergleichbare Menge an Eichen von Hand gepflanzt werden müsste.

Vogelbeeren (Sorbus aucuparia) verraten schon im Namen, dass sie beliebt bei den Vögeln sind. Sie hängen bis in den Winter und leuchten sogar in schneebedeckten Bäumen. Die Früchte der Eberesche bilden daher eine ganze wichtige Futterquelle für die hierzulande überwinternden Vogelarten. Das Haselhuhn ernährt sich zum Beispiel im Winter fast ausschließlich von Vogelbeeren.
Mehrere Tausend Verstecke
Diese Waldbauleistung ist nicht nur in ökonomischer, sondern auch in biologischer Hinsicht interessant. Immerhin können sich die Vögel Tausende von Verstecken merken. Etwa die Hälfte der vergrabenen Eicheln finden sie wieder. Das ist eine gewaltige Gedächtnisleistung. Als Gedächtnisstütze suchen sich die Vögel bewusst wiederauffindbare Strukturen im Wald; zum Beispiel verbuddeln sie die Eicheln um einen Baum herum in gleichbleibenden Abständen. Jedes Tier hat sein eigenes Muster. Natürlich tragen die Eichelhäher die Früchte auch weiter weg. Finde man einzeln stehende Eichen in Kiefern- oder Fichtenforsten, könne man ziemlich sicher davon ausgehen, dass sie von Eichelhähern dorthin gebracht worden seien, sagt Olaf Schmidt, Denn im Vergleich mit dem Eichhörnchen und anderen Tieren habe dieser einen größeren Aktionsradius. Die weiträumige Verbreitung per Luftfracht sei höchstwahrscheinlich auch der Grund dafür, dass sich die Eichen nach der letzten Eiszeit so schnell wieder gen Norden ausgebreitet hätten.
Zirbe und Tannenhäher – ein starkes Team
Die meisten hohen Waldbäume setzen bei der Verbreitung ihrer Samen auf den Wind. Sie bilden kleine Samen, die von der Strömung leicht fortgetragen werden. Ausnahmen sind die Eichen und die Buchen, die schwere Früchte produzieren und auf die Verbreitung durch Tiere angewiesen sind. Fachleute sprechen dabei von Zoochorie, was sich mit „Fortbewegung durch Lebewesen“ übersetzen lässt.
Ein besonderer Fall ist die Zirbelkiefer oder auch Zirbe. Sie hat eine besonders enge Bindung zum Tannenhäher. Die Zirbe kommt hauptsächlich in Höhenlagen bis 2.400 Meter vor – etwa in Bayern, vor allem im Wettersteingebirge und im Berchtesgadener Land. Es dauert mindestens 40 bis 50 Jahre, bis Zirben die ersten Zapfen tragen. Die Samen der Zirbe sind schwer. Um sich im Gebirge ausbreiten zu können – vor allem bergauf – braucht sie den Tannenhäher. Der ist in der Lage, mit seinem kräftigen Schnabel die Schuppen vom Zirbenzapfen zu picken, um die Samen herauszupuhlen. Wie der nahe verwandte Eichelhäher versteckt der Tannenhäher die Samen als Vorrat. Nach Schätzungen versteckt ein einzelner Tannenhäher jährlich im Durchschnitt zwischen rund 50.000 und 100.000 Zirbensamen in Depots im Boden.

Auch die Tannenmeise (Periparus ater) trägt einen Baum im Namen. Die Nahrung der kleinen Vögel besteht aus Insekt sowie aus den Samen verschiedener Nadelhölzer. Der bevorzugte Lebensraum ist der Nadelwald, selbst in Mischwäldern hält sie sich oft bei Nadelbäumen auf. Obwohl die Tannenmeise sehr häufig in ganz Eurasien zu finden ist, gehen auch ihre Bestände nachweislich zurück.
Mit Früchten locken
Olaf Schmidt betont, dass Buche, Eiche und Zirbe nur ein kleines Spektrum der Zoochorie bei Bäumen abdecken. „Hinzu kommen die vielen kleinen Bäume und Sträucher, die auf eine Verbreitung durch Tiere setzen“, sagt der Experte. Diese produzieren meist auffällige rote und blauviolette Früchte. Es sein davon auszugehen, dass diese kleinen Bäume und Sträucher diese Strategie im Laufe der Evolution entwickelt hätten, weil sie weniger vom Wind umströmt werden, der Samen forttragen könnte. Die kleineren Bäume und Sträucher sind für Olaf Schmidt ein wesentlicher Bestandteil des Waldes – die Vogelbeere, die Schlehe, der Weißdorn, die Kornelkirsche, die Haselnuss und viele andere. Sie gehörten an Flachlandstandorten und auf leicht geschwungenen Höhenrücken zu den wichtigsten Baumarten der Waldränder und Lichtungen. Je nach Vogel- und Baumart werden die Samen unterschiedlich weit transportiert. Drosseln oder Grasmücken fressen die Früchte und scheiden die unverdauten Samen in bis zu 50 Meter Abstand zu den Futterbäumen aus, weil sie einen kleinen Aktionsradius haben. Ringeltauben, Eichelhäher oder der Pirol bringen es auf mehrere Kilometer.Rekordhalter in Sachen Zoochorie ist die Vogelbeere von deren Früchten sich mehr als 60 Vogelarten ernähren. Aus Sicht der Vogelkundler ist es wichtig, verstärkt Vogelbeeren zu pflanzen. Besonders an Wald- und Bestandsrändern und entlang von Forstwegen sollten fruchttragende Vogelbeerbäume verstärkt berücksichtigt werden.
Der Kleiber und die giftige Eibe
Weniger bekannt ist, dass auch die giftige Eibe als Futterstrauch dient. Der einzige ungiftige Teil dieses Busches ist das rote Fleisch der beerenähnlichen Frucht von Drosseln, Rotkehlchen oder Staren gefressen wird. Interessant ist die Strategie des Kleibers (unser großes Beitragsbild). Anders als die anderen Arten frisst er nicht das Fruchtfleisch. Vielmehr pickt er mit seinem Schnabel aus den Früchten gezielt die kleinen Samen heraus. Auch der Kleiber versteckt einen Teil der Samen – vor allem in den Ritzen von Borke, Mauern und Felsen. Das führt dazu, dass Eiben an recht bizarren Orten keimen. Auch Buchen und Hainbuchennüsschen stehen auf dem Speiseplan des Kleibers. Diese versteckt er oftmals in den Spalten von Totholz. Auch hier ist das Resultat ungewöhnlich: Da die Samen in Reih und Glied versteckt werden, ragen oftmals Buchenkeimlinge hervor, die anmuten, als hätte ein Forstarbeiter sie mit aller Präzision gepflanzt. Wenn es darum geht, welche Vogelarten besonders zur Verbreitung von Bäumen beitragen, sollte man daher nicht nur den Eichelhäher, sondern auch den Kleiber auf der Rechnung haben.

Der Eichelhäher (Garrulus glandarius) ist ein Singvogel und gehört, auch wenn es die farbigen Fittich-Federn nicht vermuten lassen, zu den Rabenvögeln (Corvidae). Der tagaktive Eichelhäher fällt durch sein ausgeprägten, lauten Warnrufe vielen Wald-Spaziergängern auf. Meist fliegt er nur kurze Strecken, dabei wirkt er am Waldrand eher unbeholfen. Im Wald fliegt der Vogel sehr geschickt und wendig auch in geschlossenen Beständen.
Quellen und weitere Medien
Hoigner, Cajsa et al, 2006: Economic valuation of a seed dispersal service in the Stockholm National Urban Park, Sweden. Ecological Economics, 59, 3: 364-374.
Knief, Ulrich, 2020: Der Eichelhäher Garrulus glandarius – ein Waldbauer mit Verstand. Ornithol. Anz., 59: 63-70.
Schmidt, Olaf, 2019: Tannenhäher und Zirbe – Außergewöhnliche Partnerschaft: Der »gefiederte Förster« und die „Königin der Alpen“. LWF Aktuell, 1: 22-23.
Schmidt, Olaf, 2006: Was haben Kleiber und Eibe gemeinsam? AFZ, Der Wald, 9.
Schmidt, Olaf: Vogelkirsche und Vogelwelt. LWF Wissen 65: 49-52
Spektrum der Wissenschaft: Samenfresser – Klimaschutz braucht wilde Tiere, 14.1.22