Ein Reh im Wald

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Waldtiere heilen sich selbst

Von Ameisen, Bienen bis zu Hirschen und Wölfen nutzen Tiere Pflanzen, um sich zu heilen. Sie wissen wieviel sie von „giftigen“ Pflanzen fressen müssen, um gesund zu werden. Und sie können Ursache und Wirkung zusammenbringen, selbst wenn beides länger als einen Tag auseinander liegt. Wissenschaftler rätseln, ob das das Wissen über die Heilkräuter angeboren oder erlernt ist.

Wildtiere leiden nicht nur unter Parasiten im Fell und auf der Haut. Viren, Bakterien, Würmer, Einzeller befallen sie, besiedeln Lunge, Darm, Milz, Gehirn. Unsere tierischen Verwandten leiden unter jede Menge Krankheiten, die besonders junge und geschwächte Tiere wegraffen. Durchschnittlich sterben zwei Drittel der Nachkommen von Wildtieren schon im ersten Jahr und Krankheiten tragen dazu erheblich bei. Kein Wunder also, dass Tiere im Laufe der Evolution gelernt haben, sich zu helfen. Von Bienen, Ameisen, Schmetterlingen, Schimpansen, Spatzen und Schafen wissen die Wissenschaftler mittlerweile, wie sie sich gegen Krankheiten helfen. „Ich glaube, dass jede Tierart sich selbst medikamentiert“, sagt Michael Huffman von der Universität Tokio. Er war der erste Biologe, der im 20. Jahrhundert die selbstgewählten Heilpflanzen bei Schimpansen beschrieb und gilt heute als einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Selbstmedikation von Wildtieren.

Erlenzeisig
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Tierische Helfer: Vögel nutzen übrigens auch andere Tiere, um sich gegen Milben zu wappnen. Von 200 Vogelarten ist bekannt, dass sie sich in Ameisenhaufen setzen und in der Ameisensäure duschen, die sie gegen den Befall durch Insekten schützt. Da Pflanzen selbst ein großes Chemiewaffenarsenal entwickelt haben, um sich gegen Fressfeinde zu schützen, nutzen auch Insekten die giftigen Bestandteile, um damit ihre eigenen Plagegeister zu töten.

Gegen die Wildtierkrankheiten sind offensichtlich Kräuter gewachsen. Wildtiere kennen die Kräuter, in denen sie sich wälzen müssen, um Parasiten im Fell abzuwehren. Und sie wissen, welche Blätter, Halme oder Wurzeln sie gegen Infektionen, bestimmte Würmer oder bei Magenverstimmungen fressen müssen. Hundebesitzer kennen das Verhalten: Hunde wählen auf einer Wiese gezielt bestimmte Sorten Gräser aus und schlingen sie im Ganzen herunter.

Gras für den Magen

Kurze Zeit später erbrechen die Hunde das Gras oder scheiden die Halme unverdaut wieder aus. Offensichtlich wissen die Hunde, welche Grasart sie brauchen, damit es ihnen besser geht. Auch in den Haufen von Füchsen, Wölfen und Kojoten finden sich unverdaute Grashalme und es liegt nahe, dass die wilden Hundeartigen dasselbe Wissen wie ihre domestizierten Verwandten über die natürlichen Heilkräuter haben.

Suhlen, wälzen, baden gegen Viecher im Pelz

Gegen Ungeziefer im Pelz hilft Baden. Hasen wälzen sich im Sand, Wildschweine suhlen sich im Matsch, Rothirsche verlassen im Sommer ihre Suhle nur zum äsen. Stundenlang liegen sie in Waldtümpeln und schützen sich im kühlen Wasser vor Mücken und Zecken. Die sind im Sommer echte Plagegeister. Hirsche und Rehe ziehen sich deshalb tagsüber auch gern auf luftige Anhöhen zurück, damit die Mücken vom Wind vertrieben werden.

Ein Reh im Wald
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Der Sommer hat für Rehe und Hirsche nicht nur Vorteile. Auch wenn das Nahrungsangebot gut ist und die Blätter ausreichend Schutz vor Blicken liefern sind Zecken und Milben wahre Plagegeister. Die Tiere haben aber im Laufe der Jahrtausenden Strategien entwickelt, wie sie die kleinen Spinnentiere aus ihrem Fell vertreiben können: baden.

Zecken lungern im Gras und niedriger Vegetation, besonders gern lagern sie an den Rändern von Wiesen zum Wald. Für Menschen, Hunde und einige andere domestizierte Säugetiere können Zecken gefährlich werden. Beim Blutsaugen übertragen die Larven und Nymphen des Gemeinen Holzbocks Ixodes ricinus die  Borrelien-Bakterien und können beim Menschen die sogenannte Borreliose verursachen. Wildtiere wie Rot- und Damhirsch, Reh oder Fuchs haben zwar auch manchmal Borrelien im Blut, entwickeln aber nicht die typischen Borreliose-Symptome wie Fieber, Hautrötungen oder Lähmungen in den Beinen. Sie scheinen immun zu sein. Auch sind Rehe, Hirsche und andere Wiederkäuer offensichtlich als Wirtstiere für die Borrelien ungeeignet. Sie geben die Borrelien nicht an andere Zecken weiter.

Rehe schützen auch Menschen vor Borreliose

Mäuse übertragen die Borrelien auf junge Zecken im Larven- und Nymphenstadium. Bei einer Mausart haben US-amerikanische Wissenschaftler Borreliose-Symptome wie Koordinationsverlust und taube Hinterbeine nachgewiesen. Und jetzt kommts: Amerikanische und deutsche Wissenschaftler gehen davon aus, dass es in kleinen Gebieten einen Zusammenhang zwischen der Menge an Rehen, Zecken und Borreliose gibt. Je mehr Rehe bzw. in den USA Weißwedelhirsche es in einer Gegend gibt, desto weniger Zecken können sich mit Borrelien infizieren. In Deutschland würde das bedeuten, dass Rehe und Hirsche die Zahl der mit Borrelien infizierten Zecken mindern – und die Wildtiere so auch Menschen vor Borreliose schützen.

Die heimischen Tiere in den Wäldern Deutschlands gehören bisher nicht zum bevorzugten Forschungsobjekt der Wissenschaftler. Die Selbstmedikation bei Tieren wurde bislang kaum untersucht, doch bei einigen Tierarten haben Wissenschaftler sie beobachtet und analysiert. Hervorgetan haben sich unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, denn sie werden so gut untersucht, dass sie kaum etwas machen können, was Wissenschaftler nicht bemerken.

Schimpanse kennt Medikamentencocktail

Dennoch dauerte es Jahrzehnte bis der Primatenforscher Michael Huffman zufällig das merkwürdige Verhalten des Schimpansenweibchens Chausiku in einem Wald in Tansania auffiel. Huffman bemerkte, dass Chausiku sich ein Nest in einem Baum baute, sich hinein legte und den ganzen Tag dort döste. Ihr Junges turnte derweil unbeaufsichtigt im Baum herum, was Schimpansenmütter üblicherweise nicht zulassen würden. Am Ende des Tages stand Chausiku auf, kletterte langsam herab und suchte einen Strauchs. Sie kaute die Blätter, schluckte den Saft und spukte den Rest wieder aus.

Huffman fragte einen einheimischen Begleiter von den Tongwe, was das für ein Strauch ist. Der Strauch sei giftig, sagte der Mann von den Tongwe, seine Leute würden die Blätter als Medizin gegen Bauchschmerzen und Parasiten verwenden. Biologen fanden heraus, dass der Strauch Vernonia amygdalina zwölf unterschiedliche Inhaltsstoffe gegen Parasiten besitzt. Chausiku hatte also einen ganzen Medikamentencocktail gefuttert.  Und zwar gerade genauso viel, wie ihr gut bekam und sie nicht umbrachte. Sie wusste nicht nur was sie einnehmen muss, um sich zu heilen. Sondern auch, wie viele der Blätter ihr helfen. Huffmann achtete fortan darauf, wann die Schimpansen die Blätter von Vernonia amygdalina fraßen und untersuchte ihren Kot. An solchen Tagen fand er bis zu 90 Prozent mehr Wurmeier in den Haufen.

Schwalbenschwanz
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Da Pflanzen Mechanismen entwickelt haben, um sich gegen Fressfeinde zu schützen, nutzen auch Insekten die giftigen Bestandteile, um damit ihre eigenen Plagegeister zu töten. Die Raupen des Bärenspinners (hier aber nicht im Bild) fressen Blätter von Pflanzen, die giftige Alkaloide enthalten, wenn sie von Parasitenfliegen befallen werden. Die Raupen steigern damit ihre Überlebensrate, wenn sie genau die richtige Menge Alkaloide zu sich nehmen und mit dem Pflanzengift die Fliegen töten.

Zigarettenstummel gegen Vogelmilben

Montserrat Suarez Rodríguez von der Universität Mexiko City beobachte, dass die Haussperlinge und Gimpel auf dem Campusgelände Zigarettenstummel sammelten und in ihre Nester brachten. Menschen in Mexiko nutzen seit Jahrtausenden die parasitenabwehrende Wirkung von Tabak. Tabakblätter und Sude im Haus helfen gegen Ameisen und Parasiten. Doch sollten die Spatzen das auch wissen? Suarez Rodríguez und ihre Kolleginnen untersuchten daraufhin die Nester, stellten Wärmekameras auf und entdeckten: In den Nestern mit Zigarettenstummeln tummelten sich weniger Milben als in den anderen Nester.

Vögel nutzen übrigens auch andere Tiere, um sich gegen Milben zu wappnen. Von 200 Vogelarten auch in Deutschland ist bekannt, dass sie sich in Ameisenhaufen setzen und in der Ameisensäure duschen, die sie schützt. Da Pflanzen selbst ein großes Chemiewaffenarsenal entwickelt haben, um sich gegen Fressfeinde zu schützen, nutzen auch Insekten die giftigen Bestandteile, um damit ihre eigenen Plagegeister zu töten. Die Raupen des Bärenspinners fressen Blätter von Pflanzen, die giftige Alkaloide enthalten, wenn sie von Parasitenfliegen befallen werden. Die Raupen steigern damit ihre Überlebensrate, wenn sie genau die richtige Menge Alkaloide zu sich nehmen und mit dem Pflanzengift die Fliegen töten.

Das meiste Wissen muss angeboren sein, denn woher sollte die Raupe wissen, welches Blatt sie fressen muss? Manche Medizinkenntnisse erwerben die Tiere im Laufe ihres Lebens und gucken sich Verhalten ab. Aber woher weiß das Schimpansenjunge, dass die Blätter eines bestimmten Strauchs die Mutter geheilt haben, wenn die Wirkung erst einen Tag nach dem Fressen eintritt? Huffman lehrt mittlerweile an der Universität Tokio und hat sich auf die Selbstmedikation von Tieren spezialisiert. Er geht davon aus, dass Menschen in früheren Zeiten auch von den Tieren gelernt haben.  Sie haben sie beobachtet und dann selbst die Blätter oder Wurzeln ausprobiert. Der Wald und seine Bewohner waren also schon vor Jahrtausenden medizinische Lehrmeister für die Menschen.

Literatur


Quellen und weiterführende Literatur:

  1. Welche Pflanzen halten Zecken fern?

  • Earth for all

    Earth for all

    Kehrtwende ist das Wort, das der Menschheit und dem Planeten die Zukunft ermöglichen, die bald womöglich 10 Milliarden Menschen zählende Weltbevölkerung ernähren und einen Vorwärtssprung in der zivilisatorischen Entwicklung leisten soll.

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  • Akustik im Wald ist mehr als Begleitmusik

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    Künftig sollen in Wäldern regelmäßig Tonaufnahmen gemacht werden, um daraus abzulesen, wie es um den Wald steht. Das Ziel ist ein „akustisches Waldmonitoring“. Es soll die klassische Bestandsaufnahme ergänzen – die Bundeswaldinventur – bei der Forstexperten alle paar Jahre vor Ort in bestimmten Gebieten den Zustand der Bäume erfassen – etwa die Dichte der Kronen…

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  • Mastjahre – wenn der Baum wieder voll ist

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    Warmes Wetter und höhere Temperaturen im Klimawandel verstärken die Baummast von Buchen, Eichen und den anderen Waldbäumen. Manchmal jährlich produzieren die Bäume mittlerweile massenhaft Bucheckern, Eicheln, Kastanien, Nüsse während der Baummast – ein Phänomen, das vor der Erderwärmung seltener alle paar Jahre auftrat

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