
Auf Sand gebaut
Der Buschbeller Wald bei Köln ist ein seltener Mischwald. Hier stehen uralte Bäume und leben weltweit gefährdete Arten. Für die Förderung des darunter liegenden Quarzsand soll der Wald weiter weichen.
Als die Naturschützerin Tanja Keßels vom Verein Protect e.V. beim Spaziergang im Buschbeller Wald einen morschen Wurzelstock anhob, staunte sie nicht schlecht. Unter dem Brocken saß ein winziger Feuersalamander. Schnell war ihr klar: Der hügelige Wald ist etwas Besonderes und sollte unter Naturschutz stehen. 2007 war das. Der Besitzer des Waldes, das Quarzsandwerk Frechen war da schon beim stückweisen Abholzen des Waldes zum Abbau des darunter liegenden Rohstoffes. Seither hat die Naturschützerin eine wahre Odyssee für den Schutz des Buschbeller Waldes durch die Behörden hinter sich.
Der Buschbeller Wald liegt nahe bei Köln und ist etwa 84 Hektar groß. Nach der europäischen Naturschutz-Richtlinie (FFH-RL), sagt Tanja Keßels, sollte der Buschbeller Wald unter Naturschutz stehen: „Der Wald besteht aus Waldmeister-Buchenwald, Stieleichen-Hainbuchen-Wald und alten bodensauren Eichenwäldern auf Sandebene. Teils sind die Bäume über 150 Jahre alt. Hinzu kommen zahlreiche nach deutschem und europäischem Naturschutzrecht besonders streng geschützte Arten dazu, etwa Moose, Pilze und Flechten, wilde Orchideen, Fledermausarten, wie Bechsteinfledermaus, große und kleine Bartfledermaus, sowie Mops- und Nymphenfledermaus. Auch seltene Vögel, etwa Waldohreule, Uhu, Waldschnepfe und Schwarzspecht bewohnen den Buschbeller Wald. Sowie die Amphibie des Jahres 2016, der Feuersalamander. Er ist eine der sogenannten Verantwortungsarten, die weltweit gefährdet ist.“

„Verantwortungsarten“ sind Arten, für die Deutschland aus globaler Perspektive eine besondere Verantwortlichkeit zugemessen wird, weil sie:
- nur hier vorkommen oder
- ein bedeutender Teil der Weltpopulation
hier vorkommt oder - die Art weltweit gefährdet ist.
Der Feuersalamander (Salamandra salamandra) ist eine dieser Arten.
Ganz legales Abholzen?
Tatsächlich wird der Buschbeller Wald seit Jahrzehnten von den Quarzwerken Frechen Stück für Stück abgeholzt. Ähnlich wie ein Kohletagebau, muss dafür Wald zerstört werden. Dies geschieht seit Jahrzehnten, mit dem Segen der Behörden. Unter dem Wald lagern noch rund 100 Millionen Tonnen Quarzsand. Quarzsand wird vor allem in der Glasindustrie und in Gießereien verwendet. Aber auch Windräder, Photovoltaik-Module oder Elektroautos sind ohne Quarzsand undenkbar.
Rückendeckung bekommen die Quarzwerke Frechen dabei von entscheidenden Stellen. Uwe Schölmerich, Leiter des Forstamtes Rhein-Sieg-Erft in Eitorf bedauert zwar jeden Hektar Wald, der verloren geht, doch im Falle des Buschbeller Waldes liege ein genehmigter Plan vor. Der sei nach umfassender Umweltprüfung von der Bergbehörde für die Gewinnung von Quarzsand zugelassen worden: „Als FFH-Gebiet wurde der Wald in Abwägung mit anderen Flächen nicht gemeldet. Der Abbau geht über 90 Jahre und damit sehr langsam, was günstig für die lebensraumtypischen Arten und die Entwicklung von Ersatzbiotopen ist. Die Quarzwerke haben Ausgleichsmaßnahmen über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus geleistet.“ Ein nordwestlich gelegenes Waldgebiet wurde speziell in einen sogenannten Artenschutzwald umgewidmet.
Die Sprecherin des Quarzwerkes Frechen, Britta Franzheim verantwortet den Abbau damit: „Bei Beendigung des Abbaus wird sich die ursprüngliche Waldfläche im Zuge der fortlaufenden Rekultivierung nahezu verdoppelt haben. Bereits jetzt haben wir doppelt so viel aufgeforstet, wie wir Waldfläche in Anspruch genommen haben“. Im Jahr 2000 sahen Naturschutzfachleute von der damals zuständigen Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten (LÖBF) die Quarzgewinnung als bedenklich an. In einer Umweltverträglichkeitsstudie steht: „Grundsätzlich bestehen aus Sicht des Biotop- und Artenschutzes erhebliche Bedenken gegen den Verlust der alten Buchen- und Eichenwälder mit ihren charakteristischen Lebensgemeinschaften auf Primärstandorten. Dies gilt auch für den Verlust der unersetzbaren, über lange Zeiträume gewachsenen Böden und ihre Lebensraumfunktionen für Pflanzen und Tiere, sowie den Wasserhaushalt und Veränderungen des Klimas. Insbesondere die Veränderungen des Bestandsklimas der Altwälder werden negative Auswirkungen auf die Bodenfauna haben.“
„Insgesamt kann dem geplanten Vorhaben (…) keine Umweltverträglichkeit attestiert werden, da der geplante Abbau mit erheblichen Einflüssen auf die Umwelt verbunden ist. Auch in mehreren Generationen können die Kompensationsmaßnamen nicht zu einem funktionalen Ausgleich der verlorengehenden Altwälder mit ihren charakteristischen Lebensgemeinschaften führen.“
Folgerichtig hieß es dann im Biotopkataster des Landes Nordrhein-Westfalen: „Eine Sicherung der wertvollen naturnahen Laubwaldbestände durch die Ausweisung eines Naturschutzgebietes ist dringend anzustreben.“ Dies ist aber nicht geschehen – die Förderung des Sandes ging weiter. Vom Kreis wurde daraufhin 2005 für den „funktionalen Ausgleich“ der Zerstörung der „nicht kompensierbaren“ Waldflächen des Buschbeller Waldes ehemalige Golfplatz-Flächen erworben. 2010 räumt die für die Zulassung zuständige Bezirksregierung Arnsberg auf Nachfrage aber ein, dass im Rahmen der Umweltverträglichkeitsstudie „seinerzeit auf eine Erfassung der Fledermäuse verzichtet worden ist“. „Dies ist ein Verstoß gegen das damals geltende europäische Recht. Die Erweiterung der Quarzgrube hätte daher niemals genehmigt werden dürfen“, sagt Tanja Keßels.

Ein Wald, wie es ihn in Europa nur noch selten gibt
Aber sind denn die Kompensationsmaßnahmen der Quarzwerke nicht doch ausreichend? „Wer den regionalen und überregionalen Naturzustand kennt, weiß, dass dies nicht der Fall sein kann. Denn in Deutschland gibt es nur noch wenige Reste naturnaher und vor allem alter Wälder. Nur etwa 4,5 Prozent der Bäume gelten als älter als 140 Jahre. Offiziell geschützt sind nur 0,2 Prozent des alten Baumbestands,“ sagt Dr. Torsten Welle, Autor des Alternativen Waldzustandsberichtes, von der Naturwald Akademie.
Mit Unverständnis über den Vorgang reagiert auch Förster und Buchautor Peter Wohlleben: „Die beiden trockenen Sommer 2018 und 2019 haben einen ersten Vorgeschmack darauf gegeben, wie sich der Klimawandel auch bei uns in Deutschland auswirken kann. Intakte Wälder spielen bei der Eindämmung des Temperaturanstiegs eine zentrale Rolle. Nicht nur, weil sie der Atmosphäre CO2 entziehen, sondern auch, weil Sie laut neuesten Studien einen enormen Kühleffekt auf ihre Umgebung ausüben. Wenn nun ein intakter Wald, wie der Buschbeller Wald, aus wirtschaftlichen Interessen verschwinden soll, ist dies ein völlig falsches Signal.“
Mit Geld zum Schweigen gebracht?
Die Auseinandersetzungen zwischen den Quarzwerken, dem Land Nordrhein-Westfalen und den Umweltbehörden und -verbänden ziehen sich mittlerweile über Jahrzehnte hin – und lesen sich wie ein Krimi. „Da wurde geschachert, was das Zeug hält. Verloren hat die Schlacht letztlich der Wald“, sagt Tanja Keßels: „Im Jahr 2001 wurde ein Vergleichsvertrag zwischen den Quarzwerken, dem zuständigen Landkreis und dem NABU-Landesverband NRW geschlossen. Es flossen drei Millionen D-Mark für eine ortsnahe Aufforstung, die nicht umgesetzt wurde. Der NABU verpflichtete sich zudem vertraglich, alle Bemühungen hinsichtlich eines FFH-Gebiets auch für die Zukunft einzustellen und im Rahmen seiner Möglichkeiten auf die übrigen Naturschutzverbände einzuwirken, nichts zu veranlassen, was Sinn und Zweck der Vereinbarung zuwiderlaufen würde, wie aus einem Vergleichsvertrag vom März 2001 zwischen dem NABU Landesverband NRW, den Quarzwerken und dem Landrat des Erftkreises hervorgehen (Der Redaktion liegen die Dokumente vor).
Der NABU NRW ist in Sachen Buschbeller Wald seither vertragsgemäß verstummt. Um das Jahr 2000 schlug er noch ganz andere Töne an: „Gravierendster Verfahrensfehler ist die völlig unzureichende Berücksichtigung der FFH-Richtlinie der Europäischen Union.“ Weiter ergänzte der NABU zum Rahmenbetriebsplan: „Beim Buschbeller Wald handele es sich um ein pflichtwidrig noch nicht an die Europäische Kommission gemeldetes Gebiet, das sich dem Europäischen Schutzgebiete-System „Natura 2000“ aufgrund seiner überregionalen Bedeutung und Position im Netzzusammenhang mit anderen Gebieten förmlich aufdränge.“
Rechtfertigt der Profit das Abholzen?
Laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover gibt es reichlich Vorkommen in Deutschland, sodass es gar nicht Not tut, diesen alten Wald abzuholzen: „An Quarzrohstoffen ist Deutschland mit ganz wenigen Ausnahmen so reich gesegnet, dass die Versorgung unserer Industrie noch für Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, gesichert ist“, heißt es im 2016 veröffentlichten Bericht der BGR „Quarzrohstoffe in Deutschland“. Bundesweit gibt es über 30 Abbaugebiete. Über die Quarzwerke in Frechen heißt es: „Sie sind Deutschlands bedeutendstes Unternehmen für Quarzrohstoffe und fördern aus sechs verschiedenen Quarzsandlagerstätten.“ Könnte man da zu Gunsten des Natur- und Umweltschutzes auf eine Stätte verzichten? „Nein“, sagt Unternehmenssprecherin Britta Franzheim: „Die Frechener Quarzsand-Lagerstätte ist eine der qualitativ und wirtschaftlich bedeutendsten Europas. Es gibt nur sehr wenige hochreine Quarzsandvorkommen die als Industrieminerale geeignet sind.“
Fünf mal hat das Quarzwerk den Nachhaltigkeitspreis des Bundesverbands Mineralische Rohstoffe e.V. gewonnen (2007, 2010, 2012, 2016 und 2019). In dessen Beirat sitzt auch der Geschäftsführer der Quarzwerke Frechen. Gewürdigt werden darin explizit Bemühungen, die den Waldbewohnern zu Gute kommen. „Könnten Fledermäuse, Vögel und Bäume einen Preis für Nachhaltigkeit verleihen, dann würden ihn Tanja Keßels und ihre Mitstreiter bekommen. Denn ohne das Engagement der Naturschützer vor Ort würde es den Buschbeller Wald bereits heute nicht mehr geben oder seine Fläche wäre noch stärker reduziert,“ sagt Dr. Welle von der Naturwald Akademie. Die Auseinandersetzung vor Ort wird auf jeden Fall weitergehen: Der bis 2061 befristete Planfeststellungsbeschluss sieht die Abgrabung des kompletten Waldes in den nächsten 40 Jahren vor.