
Für die Natur Brücken schlagen
Durch Straßen- und intensiven Ackerbau sind Wälder in Deutschland stark zerstückelt. Mithilfe neu angelegter Grünbrücken und Wanderkorridore sollen Waldinseln vernetzt werden. Damit die Vernetzung zum Erfolg wird, müssen die Bedürfnisse vieler einzelner Arten berücksichtigt werden.
Deutschland hat heute das dichteste Straßennetz in ganz Europa. Insgesamt sind es 688.243 Straßenkilometer die dazu führen, dass zusammenhängende Naturräume in Deutschland immer kleiner werden. Betroffen sind insbesondere jene Arten, die von Waldstrukturen abhängig sind. Auf sie haben deckungsarme Agrarflächen sowie lichte und laute Straßen eine besonders abschreckende Wirkung. Vor allem für jene Spezies, die große Reviere benötigen oder am Tag mehrere Dutzend Kilometer zurücklegen, ist die Zerstückelung der Waldlebensräume problematisch. Als Maß für unzerschnittene Lebensräume gilt in Deutschland seit Ende der 70er Jahre eine Fläche von 10 mal 10 Kilometern.

Dichtestes Straßennetz in Europa
Vor allem Bundesstraßen und Autobahnen stellen große Hindernisse für Tiere dar. Autobahnen sind mittlerweile in der Regel 31 Meter breit. Auf weiten Strecken sind die großen Überlandstraßen zudem von Wildfangzäunen flankiert. So werden die Straßen zu einem unüberwindbaren Hindernis, das die Wanderwege vieler Tierarten durchschneidet.
Grünbrücken als Querungshilfe
Im Jahr 2012 beschlossen das Bundesumweltministerium und das Bundesverkehrsministerium mit dem Bundesprogramm Wiedervernetzung, die in der Landschaft entstandenen Lücken durch den Bau von 20 Grünbrücken und sogenannten Landschaftstunneln zu schließen. Autobahnen und Bundesstraßen sollten über- oder unterbaut werden. Tiere sollen die Straßen so im schützenden Dickicht überwinden können. Inzwischen wurden viele dieser Brücken und Tunnel errichtet. Dennoch gibt es weiterhin zu große Lücken in der Landschaft und Wildtierbrücken und Pflanzenkorridore vernetzen zwar Wälder, sind aber kein Ersatz für große, unzerschnittene Waldgebiete. Brücken, Tunnel und Korridore reichen nicht für alle Tier- und Pflanzenarten für ihre Verbreitung.
Bei einigen Waldtierarten hat die Zerstückelung von Wäldern zu einer genetischen Verarmung geführt. Etwa beim Rotwild, wie Wildtierforscher im Auftrag des Schleswig-Holsteinischen Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume herausgefunden haben. In Schleswig-Holstein findet man heute Rotwild mit verkürztem Unterkieferknochen. Das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Isolierung der Bestände und den fehlenden Austausch zurückzuführen, sagen die Forscher. Eine stärkere Vernetzung von Wäldern durch waldartige Streifen könnte dazu beitragen, dass das Rotwild oder andere Tier- und Pflanzenarten wieder eine Chance zur Ausbreitung bekommen.
Ausbreitung im Schneckentempo
Wie stark Pflanzen auf eine Vernetzung von Waldlebensräumen angewiesen sein können, zeigt ein weiteres Beispiel aus Schleswig-Holstein – der Scheidige Goldstern. Diese Pflanze aus der Familie der Liliengewächse, der in lichten, mäßig feuchten Laubwäldern wächst, kommt heute nur noch in größeren Beständen im nördlichsten Bundesland vor. In anderen Regionen in Deutschland ist sie selten zu finden. Das Problem: Der Goldstern breitet sich nicht über Samen aus, sondern nur über kleine Tochterknollen, die vom Standort der Pflanzen kaum weitergetragen werden. Die Ausbreitung verläuft im Schneckentempo. Lücken in der Landschaft und zwischen Waldstandorten kann die Pflanze so gut wie gar nicht überwinden.
Selbst für manche fliegenden Insekten können große Lücken zwischen Waldstandorten unüberwindlich sein. Im Totholz lebende Prachtkäferarten sind teilweise so eng an ihr Habitat gebunden, dass sie verinselte Waldstandorte kaum verlassen.
Extreme Fragmentierung
Von allen großen Bundesländern ist die Fragmentierung der Landschaft im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen am stärksten ausgeprägt. Hier beträgt die Fläche der unzerschnittenen verkehrsarmen Räume nur noch knapp sechs Prozent.
In Sachen Vernetzung von Waldstandorten ist in Deutschland noch eine Menge zu tun, obwohl die Idee schon alt ist. Schon im Jahr 2002 wurde die Idee von einem bundesweiten Biotopverbund im Bundesnaturschutzgesetz verankert. Nach der letzten Gesetzesnovelle vom Juli 2009 sollte ein Biotopverbundsystem auf mindestens 10 Prozent der Landesfläche entwickelt werden. Noch ist dieser Wert nicht erreicht.
Vor allem die Naturschutzverbände wie der NABU in Deutschland engagieren sich hierfür. In vielen Projekten werden Bäume und Büsche gepflanzt, die in den kommenden Jahren zu dichten Korridoren heranwachsen sollen, die Wälder wiedervernetzen sollen. Prominente Arten, für die diese neuen Schleichwege geschaffen werden sollen, sind Luchs und Wildkatze. Doch werden die Korridore auch vielen anderen Tier- und auch Pflanzenarten zugutekommen – etwa dem Wiesel oder dem Iltis. Allerdings müsse man es richtig machen, sonst helfe so ein Korridor wenig, sagen Biologen und Landschaftsarchitekten. Demnach sollten diese waldartigen Verbindungselemente mindestens 30 Meter breit sein. Sie müssen in der Mitte Bäume mit einer Stammhöhe von rund 20 Metern haben und von dichten Büschen flankiert sein. Das aber werde nicht immer beherzigt, sagen die Fachleute. Luchs und Wildkatze seien plakative Arten, doch mitunter würden Projekte wenig fachgerecht durchgeführt. Grundsätzlich aber sei die Vernetzung von Waldstandorten sinnvoll.

Asphalt segmentiert Natur
Aus der Luft wird vieles klarer: Das Satellitenbild zeigt den südlichen Schwarzwald. Auch hier verlaufen viel Straßen und Autobahnen und fragmentieren die Natur. Dabei gibt es z.b. Vogelarten, die mit einem Mosaik von Flächen gut zu Recht kommen. Für viele Insekten und Pflanzen ist es hingegen eine sehr starke Beschränkung ihres Lebensraumes.
Haselhuhn braucht lichte Wälder
Entsprechend sollten Wälder mit Sinn und Verstand vernetzt werden. So sollte man unter anderem darauf achten, gleiche Waldbiotope miteinander zu vernetzen, damit die dort lebenden Arten tatsächlich die Gelegenheit haben, sich zu verbreiten. Um z.B. das bedrohte Haselhuhn zu schützen, braucht es beispielsweise sogenannte Mittelwälder, lichte Waldstandorte mit jungen, 15 bis 20 Jahre alten Bäumen. Im Kottenforst bei Bonn werden Bäume jetzt regelmäßig geschlagen, damit sich ein Mittelwald entwickeln kann.
Lockeres Mosaik aus kleinen Wäldern
Der Rotmilan hat wieder andere Ansprüche. Als Brutreviere bevorzugen die Vögel kleine vereinzelte Wälder, die in einem lockeren Mosaik über eine Region verteilt sind. Von einer Verknüpfung großer Waldstandorte über einen Korridor würden sie nur wenig profitieren.
Das gesamte Spektrum von Pflanzen wie dem Scheidigen Goldstern über Prachtkäfer im Totholz bis hin zu den Vögeln wie dem Rotmilan, haben besondere Ansprüche an ihren Lebensraum. Diese werden kaum oder nur sehr schwer durch eine Vernetzung einzelner Waldstandorte erfüllt werden. Viel wichtiger wäre es, die bestehenden Lebensräume so gut wie möglich zu schützen und eine weitere Zerstückelung zu vermeiden.
Ergänzende Literatur
HÄNEL, K.; RECK, H.(2011): Bundesweite Prioritäten zur Wiedervernetzung von Ökosystemen: Die Überwindung straßenbedingter Barrieren. Ergebnisse des F+E-Vorhabens 3507 82 090 des Bundesamtes für Naturschutz. Naturschutz und Biologische Vielfalt 108. -Bonn Bad-Godesberg.
RECK, H.; HÄNEL; K.; JESSBERGER, J.; LORENZEN, D. (2008): UZVR, UVR + Biologische Vielfalt. Landschafts- und Zerschneidungsanalysen als Grundlage für die räumliche Umweltplanung. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Ökologiezentrum Fachabteilung Landschaftsökologie, Universität Kassel, Fachgebiet Ökologischer Standort- und Vegetationskunde, Bundesamt für Naturschutz. Naturschutz und Biologische Vielfalt 62. Bonn-Bad Godesberg.
RECK, H; HÄNEL, K.; BOETTCHER, M.; TILLMANN, J.; WINTER, A. (2005): Lebensraumkorridore für Mensch und Natur. Teil I Initiativskizze, Teil II Referate und Ergebnisse der Tagung „Lebensraumkorridore für Mensch und Natur“ vom 27. und 28. November 2002 in Bonn-Röttgen, durchgeführt vom Deutschen Jagdschutz-Verband e.V. (DJV) in Zusammenarbeit mit dem Ökologiezentrum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der Universität Kassel. Naturschutz und Biologische Vielfalt 17. -Bundesamt für Naturschutz, Bonn-Bad Godesberg.