
Weit mehr als eine Randerscheinung
Waldränder sind Heimat für viele bedrohte Pflanzen und Tiere. Ihre Kräuter, Büsche und kleinen Bäumen bilden einen existenziell wichtigen, strukturreichen Lebensraum. Auch können Waldränder ein Trittstein für die Ausbreitung von Arten sein und zur Biotopvernetzung beitragen. Zum Bedauern von Artenschützern gibt es zu wenige Waldränder in einem guten ökologischen Zustand.

Wer an einem sonnigen Tag unterwegs ist, kann mit etwas Glück den lang gezogenen Ruf der Goldammer hören. Vielleicht fliegt sogar ein Neuntöter vorbei, der eine Libelle oder eine Maus auf die Dornen eines Weißdorns spießt. Ein Spaziergang entlang eines Waldrandes lohnt sich, denn Waldränder sind Heimat für unzählige Bienen- und Wespenarten, für das Pfennigkraut und die Hohe Schlüsselblume. Waldränder sind wertvolle Rückzugsräume, vor allem dort, wo die Umgebung eher ausgeräumt ist, wo intensiv genutzte Äcker die Landschaft prägen. Doch Waldrand ist nicht gleich Waldrand.
Kräuter und Sträucher als abwechslungsreiche Lebensräume
Der ideale Waldrand ist aus Sicht von Naturschützern und Waldökologen ein 30 bis 40 Meter breiter Streifen, der mehrere Biotope miteinander vereint. An die offene Landschaft grenzt zunächst der
„Saum“, in dem viele Blumenarten zu finden sind. Daran schließt sich der „Mantel“ beziehungsweise die Strauchschicht an, in der zum Beispiel die Brombeere oder die Schlehe wachsen. Dann folgt der Übergang zum eigentlichen Wald mit Gehölzen und Bäumen wie der Elsbeere, der Vogelbeere oder dem Holunder. Die Kombination dieser verschiedenen Habitate auf wenigen Metern macht diesen Lebensraum so enorm artenreich. Vor allem die Südseiten solcher Waldränder können ein Tummelplatz für viele Spezies, besonders für Insekten, sein.
Nur ein Bruchteil ist naturnah
Doch solche idealtypischen Waldränder sind selten. Vielerorts fehlt es schlicht an Platz. Wälder stoßen direkt an Straßen, Äcker und Siedlungen. Mancherorts wird die Kraut- und Strauchschicht sogar mit Herbiziden kurzgehalten. Für Deutschland fehlt es an bundesweiten Daten. Für die Schweiz aber haben Forscher von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften genauer erfasst, wie groß der Anteil artenreicher Waldränder ist. So kommt die Schweiz insgesamt auf eine Waldrandlänge von circa 25.000 Kilometern. Davon sind weniger als ein Prozent, so die Forscher, in einem „ökologisch guten Zustand“. Für Deutschland gehen Experten vom Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern von einem ähnlichen Verhältnis aus.

Was wollen wir mit dem Waldrand?
In Sachen Artenvielfalt wären naturnahe Waldränder in jedem Falle ein Gewinn. So zeigen zahlreiche Studien, dass der Aufbau aus Saum, Strauchschicht und dem sich in einem sanften Übergang anschließenden Wald geradezu ideal ist. Die Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften hat verschiedene Waldränder miteinander verglichen. Sie unterscheidet zwischen Rändern mit idealtypischem Aufbau und solchen, die weniger oder gar nicht gepflegt werden. Die Ergebnisse sind eindeutig. Waldränder mit einem idealen Aufbau sind, was die Zahl der verholzten Pflanzen in der Kraut- und Strauchschicht angeht, um 44 Prozent artenreicher als solche, die, so die Schweizer, nach einem von ihnen entwickelten Punktekatalog mit „ungenügend“ bewertet werden. Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass ein Waldrand, der regelmäßig alle sieben Jahre zurückgeschnitten wird, am artenreichsten ist.
Brennpunkt der Arten
Waldränder sind Grenzbiotope. Damit sind Biotope zwischen zwei verschiedenen Lebensräumen gemeint, in diesem Falle dem Offenland und dem Wald. Und in solchen Grenzbiotopen, Ökotonen, ist die Artenzahl meist höher als in den angrenzenden Lebensräumen. Mehr noch: Ein Waldrand erhöht die Artenzahl nicht einfach nur. Da er ein ganz eigenes Habitat ist, schafft er einen weiteren Lebensraum, der Arten beherbergt, die weder der Wald noch das Offenland anspricht. Im Falle des Waldrandes liegt das daran, dass hier viele Arten ein Habitat finden, das ihnen Wald und Flur nicht bieten können. Der Neuntöter oder die Turteltaube kommen weder im Offenland noch im Wald vor. Sehr wohl aber in den Heckenstrukturen des Waldrandes, die in ihrer Funktion den Wallhecken als Landschaftselemente in Schleswig-Holstein ähneln, den Knicks. Insofern können Waldränder auch ein wichtiges Element der Biotopvernetzung sein. In intensiv landwirtschaftlich genutzten Regionen können sie der entscheidende Trittstein sein, der Arten hilft, sich auszubreiten.
Geld für den Pflegeaufwand?
Viele Landesforstverwaltungen haben Merkblätter für eine naturnahe Gestaltung von Waldrändern veröffentlicht. „Die Pflege von Waldrändern gehört heute eigentlich mit zur guten fachlichen Praxis der Forstwirtschaft’“, sagt Peter Annighöfer. „Doch es bleibt der Aufwand. Bisher werden Waldbesitzer finanziell nicht unterstützt, wenn sie Zeit und Geld für den Waldrand investieren. Ich halte es für sinnvoll, dass solche Maßnahmen künftig subventioniert werden, so wie andere landschaftspflegerische Maßnahmen auch.“

Weitere Informationen
- Markus Braun, Lebensraum Waldrand – ein wichtiges Refugium für viele Tierarten,
- Bertil Krüsi et al., 2010: Praxishilfe für die Aufwertung von Waldrändern in der Schweiz. Broschüre. Fachstelle Vegetationsanalyse, Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW
- Karspar Spörri et al., 2014: 20 Jahre ökologische Aufwertung von Waldrändern im Kanton Aargau: erste Erfolgskontrolle. Schweizerische Zeitung für Forstwesen, 165, 10: 313-320.
- Camille Meeussen et al, 2021: Microclimatic edge–to–interior gradients of European deciduous forests. Agricultural and Forest Meteorology, December 2021