Bootsfahrt von indigenen Huaoranis

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Indigene Jäger und Sammler fördern die biologische Vielfalt im Amazonas

Die Huaorani im Amazonas sagen, dass sie den Wald zu ihrem Nutzen geformt haben. Schon ihre Vorfahren haben Bäume gesät, damit sie heute Nahrung und Kleidung haben. Biologen und Ökologen haben die Erzählung wissenschaftlich bestätigt: Die Amazonas-Völker haben demnach die biologische Vielfalt entscheidend befördert.

Weite Teile des ursprünglich erscheinden Amazonas-Waldes sind das Ergebnis planvoller menschlicher Handlungen, hat ein Team von internationalen Biologen bestätigt. „Einige der Baumarten, die heutzutag so häufig im Amazonas vorkommen wie Kakao, Acai und Paranüsse sind wahrscheinlich deshalb so häufig, weil sie von Menschen gepflanzt wurden, die dort lange vor dem Eintreffen der europäischen Kolonisatoren lebten“, sagt Nigel Pitman, Ökologe am Chicago Field Museum.

Pitman war Mitglied einer internationalen Wissenschaftlergruppe, die die Vielfalt an Baumarten im Amazonas untersucht haben. Die Ergebnisse haben sie im März im Magazin Science veröffentlicht (Quelle 1). Genauer angeschaut haben sie sich 85 Baumarten, die die indigenen Völker in den vergangenen Jahrtausdenden bereits genutzt und gezüchtet haben. Die Bäume sind begehrt, da die Menschen die Früchte, Rinde und Blätter zum Bau von Hütten, für Kleidung, Nahrung oder medizinische Zwecke nutzen.

Nigel Pitman und das Biologen-Team fanden heraus, dass die von Menschen genutzten Baumarten fünf Mal häufiger vorkommen, als andere Arten. „Die Bäume waren sogar in den wirklich abgelegenen, reifen Wäldern die wir typischerweise als ungestört und unberührt betrachten“, sagt Pitman. Aus den Geschichten der Huaorani im Amazonas-Wald von Ecuador hatte schon vor rund 30 Jahren die französische Ethnobiologin Laura Rival geschlossen, dass die Menschen den Wald geformt haben. „ So wie sie es sehen, existiert der Wald in dem Ausmaß wie Menschen in der Vergangenheit dort gelebt und gearbeitet haben. Daher haben sie den Wald, wie er heute ist, zum Nutzen und Gebrauch der Lebenden geschaffen“, schreibt Rival (Quelle 2). Das nomadische oder halbnomadische Leben der Menschen dient laut Rival auch mehr, als dem Sammeln und Jagen von Nahrung.

„Das Umherziehen ist für die Huaorani mehr als eine banale Handlung, die dem Pragmatismus der Selbstversorgung gehorcht oder eine reine Anpassung an die Umwelt und die Geschichte“, hat Laura Rival beobachtet.

Offensichtlich haben die Huaorani und andere indigene Waldbewohner den Wald zu ihrem Nutzen geformt. Was Europäern als natürlicher Dschungel erscheint, wäre demnach das Ergebnis Jahrhundertelanger menschlicher Handlung.

Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Baum

Als Jäger und Sammler sind die Huaorani seit ewigen Zeiten durch das Amazonas-Flachland gezogen. Ihr Wissen über den Wald, seine Tiere und Pflanzen verblüfft Ethnologen und Biologen gleichermaßen. Denn ihr Leben hängt davon ab, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Baum zu sein und die Zeichen des Waldes lesen zu können. Sie müssen dort sein, wenn die Bananen reif sind, wenn die Kokosnussgroßen Früchte der Paranüsse von den 50 Meter hohen Bäumen fallen, wenn die ungurahua, die Ölfrüchte der Palmen, reif sind.

Da das exakte Wissen über den Lebenszyklus der Bäume entscheidend für die Menschen ist, haben sie eine nahezu wissenschaftlich anmutende präzise Namensgebung der Pflanzen in unterschiedlichen Lebenszyklen entwickelt. So hat die Palme einen bestimmten Namen, wenn sie jung und noch nicht geschlechtsreif ist, heißt anders, wenn sie die ersten Knospen entwickelt oder blüht, Früchte trägt oder dafür zu alt ist.

Auch die einzelnen Bestandteile eines Baumes von der Wurzel bis zur Blüte haben einen spezifischen Namen. Die Huaoroni drücken damit nicht nur präzise aus, um was es sich handelt. Sie sagen auch, wie man die Wurzel, Rinde, Frucht oder das Blatt nutzen kann. Und sie wissen genau, welches Tier am liebsten welche Pflanze frisst – ein entscheidender Vorteil auf der Jagd.

Der Baum ist ein Individuum

Der Baum ist für die Huaorani ein Lebewesen wie Mensch, Affe oder Tapir, in ständiger Entwicklung zwischen Geburt und Tod. Rival hat die Männer, Frauen und Kinder der Huaorani oft durch den Wald begleitet und beobachtet. „Sie sind Experten darin, die Zeichen vergangener menschlicher Aktivität in den Wäldern zu lesen und schnell darin, Veränderungen im Wald einer breiten Palette von Akteuren zuzuschreiben,“ schreibt Rival. Sie merken also, ob eine Herde Brüllaffen oder eine Gruppe Klammeraffen durch die Baumkronen geturnt ist.

Jäger und Sammler haben den Amazonas-Dschungel geformt

Der Anthropologe Gerardo Reichel-Dolmatoff hat Mitte des 20. Jahrhunderts bei den Desana-Tukanoa im kolumbianischen Amazonas gelebt. Auch er schreibt von der besonderen Fürsorge der Menschen für den Wald.

In den Initiationsriten blasen die jungen Männer der Desana immer zu zweit auf langen und extrem lauten Trompeten neben Palmen oder anderen Fruchttragenden Bäumen. „Nach den schamanischen Vorstellungen bringt der ungewöhnlich laute Ton der Trompeten den Pollen zum Vibrieren und herunterfallen; das bedeutet, der Sound bringt die Pollenkörnern, die die männlichen Gameten transportieren, dazu, auf die statischen weiblichen Teile der Palme zu fallen,“ schreibt Reichel-Dolmatoff, einer der besten Kenner der Mythen und Rituale der indigenen Amazonasbewohner.

Ein Orchester für die Baumbefruchtung

Die Desana sagen laut Reichel-Dolmatoff auch, dass unterschiedliche Laute verschiedene Pollen ansprechen. Und noch mehr: „Eine erfolgreiche Baumbefruchtung kann nur mithilfe einer komplexen Orchestration verschiedener Trompetenpaare produziert werden.“

Gerardo Reichel-Dolmatoff ist sich seiner Beschränkungen als Wissenschaftler in der Deutung des Lebens im Amazonas bewusst, wie er selbst schreibt. So rätseln Biologen noch immer, wie die indigenen Jäger und Sammler das Nervengift Curare entwickeln konnten. Bekannt sind rund 40 verschiedene Arten von Curare, die die Jäger im gesamten Amazonas zielgerichtet für verschiedene Jagdarten einsetzen. Sie mischen dafür verschiedene Pflanzen und Pflanzenteile und stellen ein präzise wirkendes Nervengift her – das die Beute tötet, den Menschen jedoch unberührt lässt.

Fragt man die Huaorani, Desanas oder Asháninca, woher sie wissen, welche Pflanzen sie zur Herstellung eines so komplexen chemischen Cocktails nutzen können, lautet zur Verblüffung aller Wissenschaftler die Antwort: Die Pflanze selbst hat uns gesagt, wie wir sie nutzen sollen.

Literatur


Quellen und weiterführende Literatur:

  1. Ancient peoples shaped the Amazon rainforest. Science Daily vom 2.3.2017
    https://www.sciencedaily.com/releases/2017/03/170302143939.htm
  2. Laura Rival, Towards an Understanding of the Huaorani Ways of Knowing and Naming Plants“, in: Mobility and Migration in Indigenous Amazonia, Hg. Von Miguel N. Alexiades, Berghahn Books, New York, NY, 2009.
  3. Laura Rival, The Social Life of Trees, Anthropological Perspectives on Tree Symbolism, Oxford, 2001.
  4. Gerardo Reichel-Dolmatoff, Tapir Avoidance in the Colombian Northwest Amazon. In: Animal Myths and Metaphors in South America, ed. By Gary Urton. University of Utah Press 1985.

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