Schleimpilz trichia decipiens

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Wie von einem anderen Stern

Schleimpilze sind bizarre Organismen. Sie sind weder Tier noch Pflanze noch Pilz, obwohl ihr Name das vermuten lässt. Die Lebewesen bilden ein eigenes Reich, das seit Millionen Jahren existiert – und den Wald liebt: sie brauchen Totholz und ein feuchtes Milieu, um sich in Plasmodien zu verwandeln und auf Wanderschaft zu gehen.

Schleimpilze zählen zu den sonderbarsten Lebewesen die dieser Planet hervorgebracht hat. Manche sehen aus wie grellgelbes Rührei, andere wie leuchtend rote Mini-UFOs. Deshalb nennt man sie scherzhaft auch „Blob“ – in Anlehnung an einen Science-Fiction-Film. Der Blob kann sich bewegen, erinnern und löst sogar knifflige Aufgaben – und das ohne Beine, Gehirn und Nervensystem. Die Superorganismen existieren in allen Teilen der Erde, selbst am Rande von Gletschern und in den Wüsten kommen sie vor. So richtig wohl fühlen sich die Einzeller aber im Wald: Sie bevorzugen verrottende Hölzer, Laubhaufen oder Reisig. „Totholzwälder sind wahre Schleimpilz-Eldorados“, sagt Peter Karasch, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Mykologie e. V. und Pilzforscher im Nationalpark Bayerischer Wald.

Genau wie Pilze sind Myxomyceten, wie sie die Fachwelt nennt, Stoffwandler. Sie zersetzen organisches Material. Ohne Pilze gäbe es keinen Wald. Sie sind als einzige in der Lage, in einem natürlichen Prozess Holz umzuwandeln und spielen im biologischen Kohlenstoffkreislauf eine überragende Rolle. Wer beim Waldspaziergang genau hinsieht, erkennt eine verblüffende, wenn auch meist winzig kleine Lebensform. Die Hexenbutter etwa, die die Gestalt eines Klecks hat, der hellrosa Blutmilchpilz, der an Perlen erinnert, oder das Löwenfrüchtchen, das, ähnlich wie Weintrauben, in großen Gruppen an einem Stiel wächst. Meist aber bleiben Schleimpilze im Verborgenen. Man muss sie regelrecht suchen. Forscher haben rund 1000 Arten weltweit ausgemacht. In Deutschland kennt man 370.

Menschliche Fähigkeiten?

Die vermeintlich primitiven Einzeller haben Fähigkeiten, die an menschliche heranreichen: Sie wandern, schmieden Pläne, erinnern, verwandeln und warnen sich gegenseitig. Sie finden so den kürzesten Weg in einem Labyrinth. Ihr größter Erfolg aber ist ihr Alter: Myxomyceten sind mit einiger Wahrscheinlichkeit vor rund 600 Millionen Jahren entstanden – sie sind so gut entwickelt, dass sie sich über die Jahrmillionen kaum verändern mussten.

Das Fachmagazin „Scientific Reports“ veröffentlichte im Januar eine Meldung über einen seltenen Fund: Forscher haben ein 100 Millionen Jahre altes Schleimpilz-Fossil entdeckt – dessen organisches Material in Bernstein konserviert und erhalten war.

Gelbe Lohblüte (Fuligo septica)
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Hexenbutter

Die Gelbe Lohblüte (Fuligo septica), oft auch Hexenbutter genannt, erinnert an ein deftiges Rührei. Schleimpilze weisen eine sonderbare Mixtur von Tieren und Pilzen auf, weshalb sie einer eigenen Klasse zugeordnet werden. In der frühen Phase ihres Lebenszyklus besitzen sie Tiermerkmale und in der späten an Pilze erinnernde (Fruchtkörper- und Sporenbildung). Etwa 1.000 Arten sind heute weltweit bekannt, und ihr Familienstammbaum blickt auf vermutlich 600 Millionen Jahre zurück.

Der Schleimpilz ist uns Menschen einiges voraus

Die Erfolgsformel für ihre Existenz liegt in ihrer Einfachheit, vermutet Professor Hans-Günther Döbereiner, Biophysiker an der Universität Bremen: „Der Schleimpilz ist uns Menschen einiges voraus: Er ist schon viel länger da – und wird voraussichtlich auch noch viel länger da sein.“

Hans-Günther Döbereiner forscht seit rund zehn Jahren an Schleimpilzen. Sein Interesse gilt den kognitiven Fähigkeiten des Superorganismus: „Schleimpilze pulsieren und bilden weitverzweigte Adernetzwerke. Wir wollen verstehen wie und warum sich diese Netze verändern.“

Licht mag er nicht

Experimente zur biologischen Physik der Zellbewegungen hätten etwa gezeigt, dass der Schleimpilz dabei auf Erinnerungen zurückgreifen kann. „Seine natürliche Lebenswelt ist dunkel und feucht – Licht mag er nicht. Meine Kollegen haben den Schleimpilz dreimal nach jeder Stunde kurz mit Licht bestrahlt. Jedes Mal hörte der Schleimpilz auf sich zu bewegen. Nach der vierten Stunde wurde er nicht bestrahlt, hörte aber trotzdem aus eigenen Stücken auf sich zu bewegen – er hatte sich die Bestrahlung also gemerkt“, sagt Döbereiner. Der Schleimpilz könne zudem den kürzesten Weg in einem Labyrinth finden, wie Versuche zeigten. „Verschmelzen zwei Schleimpilze, kann der eine dem anderen zudem Gelerntes beibringen, so dass die gesamte Schleimpilzstruktur die neuen Informationen anwenden kann“, sagt Döbereiner.

Lernen ohne Gehirn und Nervensystem

Den Forschern stellt sich ob dieser verblüffenden Fähigkeiten durchaus die Frage, nach der Intelligenz des Schleimpilzes. Die Wissenschaft benutzt den Begriff bislang nur bei komplexen Lebewesen mit Nervensystem und Gehirn. Beides hat der Schleimpilz aber nicht – und dennoch kann er kommunizieren, erinnert sich und trifft Entscheidungen.

„Natürlich denken wir bei dem Begriff Lernen zuerst einmal an die kognitive Fähigkeit eines Menschen“, sagt Döbereiner. Im Gehirn würden Erinnerungen über ein Nervensystem abgespeichert. Das gehe beim Schleimpilz natürlich nicht, denn er habe weder Gehirn noch Nervensystem. Wenn wir unter „Lernen“ aber verstehen, sich etwas zu merken um in der Zukunft daraus eine Verhaltensänderung abzuleiten, dann lernt der Schleimpilz wie der Biophysiker betont. Weder die Größe eines Gehirns noch die Zahl der Nervenzellen würden etwas über die Intelligenz eines Lebewesens aussagen.

Hürden überwinden

Audrey Dussutour und David Vogel von der Université Toulouse brachten einer Gruppe von 2.000 Schleimpilzen bei, sich über einen mit Salz bestreuten Weg zu einer Futterquelle zu bewegen. Eigentlich verabscheuen die Organismen Salz. Um aber nicht zu verhungern mussten sie die Hürde überwinden – was sie auch taten. Sie haben also gelernt, dass Salz keine Gefahr darstellt. Dieses Wissen gaben sie verblüffenderweise durch Verschmelzung an ihre Artgenossen weiter. Um sicher zu gehen wiederholten die beiden Wissenschaftler ihr Experiment 2000 Mal. Der Versuch glich einer kleinen Revolution: erstmals konnte bewiesen werden, dass Einzeller lernfähig sind. Spätestens seither interessieren sich auch die Neurowissenschaftler für sie. In einem weiteren Experiment wies Audrey Dussutour nach, dass der Organismus sein Erlerntes auch weitergeben kann.

Physarum polycephalum
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Wie können sich die Schleimpilze fortbewegen?

Seine Zellkerne teilen sich alle acht Stunden – ohne, dass die Zelle sich teilt. So wächst der Einzeller zu einem mehrere 100 Gramm schweren und bis zu einem Quadratmeter großen, schleimigen Wesen heran. Dabei entstehen aderförmige Strukturen, die auf einem ähnlichen Funktionsprinzip beruhen, wie menschliche Muskeln: in beiden Strukturen findet man die Proteine, die zusammen Kontraktionen erzeugen können. Allerdings bewegen sich die Schleimpilze schön langsam: etwa einen Zentimeter pro Stunde.

Ruhemodus

Hat der Schleimpilz eine besonders nahrhafte Nahrungsquelle ausgemacht, sprintet er auch mal regelrecht los und kommt mit der vierfachen Geschwindigkeit voran. Verfressen ist das sonderbare Wesen aber keinesfalls. Im Gegenteil, es ernährt sich extrem ausgewogen und vertilgt nur so viel, wie es braucht, um zu wachsen.

Sind die Umgebungsbedingungen mal nicht so ganz nach dem Gusto des Lebenskünstlers, so schaltet er einfach auf Stand-By. Er trocknet aus und schaltet in den Ruhemodus. Bis zu zwei Jahre kann er so ausharren. Um ihn zurück unter die Lebenden zu holen, braucht es nur etwas Flüssigkeit und schon kriecht das Wesen wieder durch den Wald. So erschließen sich die Schleimpilze ihre Nahrungsquellen, erzählt Pilzforscher Peter Karasch.

Mit der sogenannten Sporulationsphase endet ihr Leben dann – oder beginnt von vorne, je nachdem, wie man das sehen will. Das Plasmodium trocknet aus und sein Schleim verhärtet zu Stielen und Fruchtkörpern, die aussehen wie kleine Pilze und in fantastischen Farben und Formen aufleuchten. Die Zellkerne verwandeln sich nun in Sporen und werden vom Wind hinfort getragen – das Spiel beginnt von neuem.

Literatur


Quellen und weiterführende Literatur:

  1. Filmtipp: Arte-TV Wissenschaftsreportage zu Schleimpilzen
  2. Podcast: BR-Radio: Wissenschaft und Forschung – Schleimpilze sind Überlebenskünstler und Wunderwesen
  3. Lesetipp: Schleimpilze in der Weltraumforschung

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