Werte, Vorurteile und neue Perspektiven der Forstpolitikwissenschaft
Forstwissenschaft, staatliche Akteure im Forst und in der forstlichen Praxis haben in Deutschland historisch bedingt eine große Nähe zueinander. Das führt teilweise zu einem sehr eingeschränkten Blick auf die Definition von Wald sowie auf die Anforderungen an den Forst. Einen kritischen Blick von außen könnte die Forstpolitikwissenschaft auf die gewachsenen Strukturen werfen und so die wichtige Funktion eines Korrektivs erfüllen. Bestehende Potenziale werden jedoch nicht ausgeschöpft, wie eine Studie der TUM München zeigt.
Wissenschaft ist von Werten durchdrungen. Sofern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich dieser Tatsache bewusst sind, beeinträchtigen die Werte jedoch nicht die Objektivität der Forschung. Die Wissenschaftlerinnen Susanne Koch und Camilla Tetley haben Wertsetzungen in der Forstpolitikwissenschaft untersucht. Mit ihrer Studie wollen sie zur Reflexion in der Forstpolitikwissenschaft beitragen, indem sie grundlegende Normen und Orientierungen innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft sichtbar machen. Denn die Kriterien für „gute Wissenschaft“ unterscheiden sich je nach Forschungsfeld und teilweise auch von Land zu Land.
Forschung in der politischen Arena Wald
Die Forstpolitikforschung hat sich aus der Forstwissenschaft entwickelt, die traditionell eng mit den Waldbesitzenden, Forstpraktikern und Forstpolitiker:innen verbunden ist. Jahrzehntelang war das Politikfeld Forst ein geschlossenes System, weitgehend von der Gesellschaft und ökologischen Erkenntnissen der Wissenschaft abgeschottet. Mit dem verstärkten Umweltbewusstsein in den 1980er Jahren entwickelte die Gesellschaft eine kritische Perspektive auf forstliches Handeln. Diese gesellschaftlichen Strömungen erreichten die Forstpolitikwissenschaft.
Zuvor stellte die Politikberatung die zentrale Aufgabe der Forstpolitikwissenschaftler:innen dar. Mit der Umweltschutzbewegung entwickelte sich der Anspruch, verschiedene Perspektiven auf den Wald zu verstehen. Die Forstpolitikwissenschaft entwickelte sich von einem normativen Ansatz zu einem empirisch-analytischen und wurde damit stärker von der Politikwissenschaft geprägt. Heute versteht sich die Forstpolitikwissenschaft als unabhängig von den ursprünglichen Wissenschaftsdisziplinen. Sie untersucht die „gesellschaftlichen Handlungsprozesse zur Regelung interessensbedingter Konflikte im Wald“, wie die TUM München auf ihrer Webseite schreibt. Und: „Im Mittelpunkt stehen die Akteure, deren Interessen und Strategien sowie die Konflikte, die sich aus unterschiedlichsten Konstellationen in der politischen Arena Wald ergeben.“
Koch und Tetley legen in ihrer Studie den Fokus auf die internationale Forstpolitikforschung. Dafür beobachten und analysieren sie, wie Wissenschaftler:innen auf der wichtigsten internationalen Konferenz, dem International Forest Policy Meeting ihre Forschung präsentieren und diskutieren. Ergänzend haben sie qualitative Interviews mit etablierten Vertreter:innen der Disziplin geführt und legen anhand dieser Daten dar, wie Wertsetzungen zutage treten.

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Zwei dominante Einstellungen gegenüber Wissenschaft
In Ihrer Analyse der beobachteten Bewertungspraxen identifizieren Koch und Tetley zwei dominante Einstellungen der Akteure im Forst gegenüber der Wissenschaft:
- Ein objektivistisches Verständnis von Wissenschaftlichkeit: Methodische Strenge, Repräsentativität und Innovativität werden als wertbestimmende Eigenschaften guter Wissenschaft angesehen. Forschung wird als neutral und frei von subjektiven oder normativen Einflüssen dargestellt und verstanden.
- Affektive Orientierung an der Forstpraxis: Forstpolitkwissenschaftler:innen zeigen eine starke Verbindung zu waldbezogenen Themen und Akteuren. Forschung wird nur dann als relevant angesehen, wenn sie praktische Anwendungen oder Nutzen für die Forstpraxis bietet.
Aus diesen Einstellungen der Forstpolitikwissenschaftler:innen gegenüber ihrem Forschungsfeld entstehen Beschränkungen für die Forstpolitikwissenschaft. Das objektivistische Verständnis von Wissenschaft wird der Methodenvielfalt in einem dynamischen Forschungsfeld nicht gerecht. Kritische Ansätze werden oft als weniger wissenschaftlich betrachtet und müssen sich stärker rechtfertigen. Zudem verhindert die Annahme einer neutralen Wissenschaft die nötige Reflexion zugrundeliegender Werthaltungen. Dies ist besonders im Hinblick auf die beschriebene affektive Nähe zur Forstpraxis kritisch zu betrachten.
Forscher folgen Forst
Wie Koch und Tetley darlegen, fällt es Vertreter:innen der Forstpolitikwissenschaft auch auf Nachfrage schwer, die Beziehung ihrer Disziplin zur Forstpraxis zu beschreiben. Durch den Anspruch, praxisrelevante Forschung zu liefern, stehen sie oftmals in engem Austausch mit Akteuren im Forst und sind auf deren Vertrauen angewiesen, um die Relevanz der eigenen Forschung zu stärken. Diese Erkenntnisse stehen im Widerspruch zum Selbstverständnis der Forstpolitikwissenschaft als unabhängige und vielschichtige Forschungsdisziplin.
Wie die Autorinnen beschreiben, tragen die Teilnehmenden auf Konferenzen der Forstpolitikwissenschaften innerwissenschaftliche Kämpfe zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Positionen aus. Die einen stehen für die etablierte, orthodoxe Wissenschaft – die anderen fordern die Standards heraus und stellen alternative Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit zur Debatte. Doch gehen die Autorinnen auch davon aus, dass die Bewertung wissenschaftlicher Qualität oft implizit erfolgt und sich Forschende die hier zugrundeliegenden Normen oftmals gar nicht bewusst machen.
Einordnung der Studie
In der Forstpolitikwissenschaft zählt die vermeintlich objektive Forschung, wodurch bestehende Werthaltungen verschleiert werden. Auf der anderen Seite wird der Praxisrelevanz von Forschung eine besondere Bedeutung beigemessen, wobei Praxis hier vor allem die Forstwirtschaft adressiert. Holzgewinnung bildet weiterhin den Kern der forstlichen Identität, auch wenn Forstleute heutzutage mehr Aufgaben haben. Da es um Holz, Vorrat und Wirtschaft im Forst geht, drohen andere Waldfunktionen auch in der Forstpolitikwissenschaft eher in den Hintergrund zu treten.
Koch und Tetley ist es gelungen, sachlich und detailliert Beschreibungen und Erklärungen für inhärente Eigenarten im Politikfeld Forst zu finden, die bei Außenstehenden Irritationen hervorrufen. Hierin liegt ein großer Wert dieser Arbeit. Indem die Autorinnen implizite und mutmaßlich unbewusste Werthaltungen beschreiben, können die Haltungen und Vorannahmen kritisch reflektiert und diskutiert werden. Wie Koch und Tetley darlegen, ist dies notwendig, um Objektivität und Qualität von Forschung zu sichern.
Waldfunktionen sollten bei der Planung von Tagungen mitgedacht werden
Die beschriebenen Einstellungen sind auch deshalb von gesellschaftlicher Relevanz, weil etablierte Wissenschaftler:innen häufig Einfluss darauf haben, welche Forschungsvorhaben bewilligt oder welche Arbeiten in Peer-review Magazinen veröffentlicht werden. Kritische Ansätze und qualitative Methoden, die wichtig sind, um bestehende Vorannahmen zu hinterfragen, haben in der Forstpolitikwissenschaft demnach einen deutlich schwierigeren Stand. Ein stark wirtschaftlich ausgerichtetes Erkenntnisinteresse in einer wissenschaftlichen Disziplin ist vor dem Hintergrund vielfältiger gesellschaftlicher Ansprüche an den Wald und seiner Ökosystemleistungen besonders fatal.
Um dem Appell der Forscherinnen zu folgen und verborgene Werthaltungen und damit einhergehende thematische Priorisierungen kritischer Prüfung zu unterziehen, sollte dieser Anspruch bewusst in die Konzeption von Tagungen rund um den Forst einfließen. Beispielsweise indem bereits im Titel von Sessions oder der Gestaltung von Programmpunkten verschiedene Waldfunktionen hervorgehoben werden. Auch könnte die Moderation der Frage-Antwort-Runden dafür sensibilisiert werden, dass die Werthaltungen kritisch hinterfragt werden. Und dass beispielsweise Publikumsfragen zum Anwendungsbezug für Waldbesitz und Forstwirtschaft als wertend gerahmt werden. Nur indem implizite Deutungsmuster situativ sichtbar und damit bewusst gemacht werden, können sie willentlicher Veränderung zugänglich werden.
Autorin: Eva Blaise
Literatur
Koch, S., & Tetley, C. (2023). What ‘counts’ in international forest policy research? A conference ethnography of valuation practice and habitus in an interdisciplinary social science field. Forest Policy and Economics, 154, 103034. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1389934123001296