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Wie das Ökosystem Wald seine abiotischen Bedingungen und so sich selbst gestaltet

Die beiden Forscher Pierre Liancourt und Jiri Dolezal (Tschechische Akademie der Wissenschaften Trebon und Universität Tübingen) widmen sich in einer Veröffentlichung von 2020 dem Thema der „abiotischen Förderung“ auf Gemeinschafts- (d.h. Biozönosen-) ebene. Facilitation, zu Deutsch „Förderung“ oder „Begünstigung“, bezeichnet in der Ökologie eine positive biotische oder abiotische Wechselbeziehung zwischen unterschiedlichen Arten, wenn die Interaktion für mindestens eine der Arten von Nutzen ist oder wenn eine Art einen Nutzen durch verbesserte Umweltbedingungen (Nährstoffe oder Mikroklima) erfährt.

Die große Mehrheit der Studien zu diesem Thema konzentriert sich auf positive Wechselbeziehungen zwischen Arten, bei denen also beide Arten voneinander profitieren. Eine solche Art der „+/+“-Interaktion generiert in der Regel auffällige Muster, wie Biomasseakkumulation, höhere Pflanzendichte oder höhere Artenvielfalt. Diese auffälligen Muster führen dazu, dass die Forschung zur ökologischen Förderung vor allem in Umgebungen stattfindet, wo diese Förderung am ehesten zu erwarten und am augenscheinlichsten ist – zum Beispiel in Gegenden mit spärlichem Pflanzenbewuchs, wie hochmontane oder arktische Gebiete oder frühe Sukzessionsstadien. Diese Fokussierung versperrt jedoch die Sicht auf das großskalige Potenzial der ökologischen Förderung und ihre allgemeine Bedeutung in der Natur.

Denn ökologische Förderung durch die Verbesserung abiotischer Faktoren spielt bei der Gestaltung von ganzen Lebensgemeinschaften eine bedeutende Rolle. Ein Beispiel hierfür ist der Wald, dessen Lebensgemeinschaft allgemein positive Effekte auf die biophysikalischen Eigenschaften ihres Lebensraumes hat. Diese Effekte sind größtenteils auf die Pflanzendecke und ihre Struktur zurückzuführen, wodurch die abiotischen Umweltfaktoren, wie Mikroklima und Bodeneigenschaften, für einige Arten vorteilhafter werden, sich also stärker deren ökologischem Optimum annähern. Solche vegetationsbedingten Effekte sind bspw. Dämpfung des Lichteinfalls, verringerte Bodenaustrocknungsrate, erhöhte relative Luftfeuchtigkeit, gepufferte Temperaturschwankungen oder Windschutz. Eigenschaften der Vegetation wie Biomasse, Pflanzendichte, Artenreichtum und funktionelle Diversität spielen dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine entscheidende Rolle. Die interagierenden Elemente der Lebensgemeinschaft schaffen also bestimmte Bedingungen, Muster und Strukturen, die wiederum die Gemeinschaft beeinflussen (Rückkopplungseffekt).

Abiotische Förderung ist vor allem dort auffällig, wo Vegetation nur spärlich vorhanden ist. Unauffällig und deshalb oft übersehen sind dagegen die Fördereffekte in vegetationsreichen Lebensgemeinschaften, in denen die abiotischen Bedingungen großflächig verbessert werden. Das Ausmaß solch unauffälliger Fördereffekte innerhalb einer geschlossenen Vegetation wird am deutlichsten sichtbar, wenn man sie mit einer entsprechenden, freigeräumten, vegetationslosen Fläche vergleicht. Die Wirkungen von Fördereffekten auf Gemeinschaftsebene können bedeutend sein: Sie können die Auswirkungen des Klimawandels auf Pflanzengesellschaften teilweise abschwächen oder sie, im Falle eines abrupten „Zusammenbruchs“ der Vegetation, verstärken.

Intensivere Forschung zur ökologischen Förderung, die über positive 1:1-Interaktionen (Art A begünstigt Art B) und auffällige Muster hinausgeht, könnte unser Verständnis der Rolle von ökologischer Förderung auf großer Ebene erheblich verbessern. Es wäre wichtig zu verstehen, wie ökologische Förderung die Wirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität abschwächen kann, wie sie die Verbreitung von Arten, die Zusammensetzung von Artengemeinschaften, die Koexistenz von Arten und die Funktion von Ökosystemen sowie Abhängigkeiten in Artengemeinschaften beeinflusst. Denn die Folgen und die Kontextabhängigkeit des Zusammenspiels zwischen gemeinschaftsweiten Effekten, paarweisen und indirekten Interaktionen in Ökosystemen sind noch weitgehend unbekannt.

Kommentar

Der Review-Artikel von Liancourt und Dolezal macht deutlich, wie leicht weit verbreitete, aber wenig auffällige ökologische Effekte übersehen werden können, obwohl sie eine wesentliche Rolle für Ökosysteme und auch für deren Resilienz, beispielsweise im Klimawandel, spielen. Das betrifft unter anderem unser Verständnis von und unseren Umgang mit Wäldern, deren Polydimensionalität immer noch wenig verstanden ist und häufig unterschätzt wird. Die Baumartenzusammensetzung, die Alters- und Dimensionsstruktur, die Kronenarchitektur, die Baumdichte, die Krautschicht, der Boden, die (Bewirtschaftungs-) Geschichte und das allgemeine Arteninventar eines Waldes bzw. Bestandes schaffen eine einzigartige physiologische Umgebung, die sich wiederum auf alles Vorgenannte auswirkt. Der Wald als Ökosystem ist als ein dynamisches Netzwerk aus Rückkopplungsschleifen und Selbstregulation zu verstehen. Jeder Eingriff in dieses System hat Auswirkungen; direkte, augenscheinliche Auswirkungen, die wir sehen und leicht nachverfolgen können, aber auch indirekte, unseren Augen und unserem Wissen verborgene Auswirkungen, deren Tragweite sich (noch) nicht ohne Weiteres ermessen lässt. Es leitet sich aus dieser Studie daher auch ein Appell ab, Eingriffe in Ökosysteme möglichst minimal zu halten und nicht das Offensichtliche mit der ganzen Realität gleichzusetzen.

Literatur


Liancourt P, Dolezal J. (2021) Community-scale effects and strain: Facilitation beyond conspicuous patterns. Journal of Ecology (109):19–25. https://doi.org/10.1111/1365-2745.1345