Rothirsche im Winter

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Wie wilde Pflanzenfresser die Dichte der Naturverjüngung beeinflussen

Stephen J. Murphy und Liza S. Comita untersuchten, inwieweit große herbivore Säugetiere die Diversität von Pflanzengesellschaften beeinflussen. Während es zahlreiche Belege für die demografischen Vorhersagen der Janzen-Connell-Hypothese (JCH) gibt, bleibt unklar, welche Arten von Pflanzenfressern diese Dynamik in verschiedenen Pflanzengemeinschaften antreiben.

Einleitung

Die Janzen-Connell-Hypothese ist eine weithin akzeptierte Erklärung für die Erhaltung der Vielfalt von Baumarten. Die Hypothese besagt, dass Pflanzenfresser und Pathogene, die eine bestimmte Baumart bevorzugen, den Nachwuchs im Umkreis anderer Bäume dieser Art regulieren. So wird mehr Raum für Pflanzensämlinge anderer Arten geschaffen.  Dabei wird zwischen auf Distanz reagierenden und dichteabhängigen natürlichen Feinden unterschieden. Auf Distanz reagierende natürliche Feinde schädigen oder fressen Samen oder Sämlinge in der Nähe des Elternbaums – auch bis zum Absterben. Im Gegensatz dazu schädigen dichteabhängige Fraßfeinde oder Pathogene Samen oder Keimlinge dort, wo sie am häufigsten vorkommen.

Je größer der Fraßdruck bei einem Samenbaum, desto rarer die Orte, an denen die Sämlinge ungestört aufwachsen können. Andere Baumarten sind nicht betroffen, da die Prädatoren wirtsspezifisch agieren. Dadurch entsteht eine negative Rückkopplung: Wird eine Art durch den Druck der Gegenspieler selten, erhält sie allmählich wieder einen Wettbewerbsvorteil, da die Gegenspieler nach und nach aus dem für sie unattraktiv gewordenen Gebiet verschwinden. Dieser Effekt ermöglicht die Koexistenz mehrerer Baumarten und begünstigt so die Diversifizierung des Ökosystems.

Zur Studie

Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass große herbivore Säugetiere nicht über eine Wirtsspezifität, wie sie die JCH voraussetzt, verfügen. Um zu klären, ob die Selektivität der Nahrungsaufnahme für Janzen-Connell-Effekte ausreicht, legten die Forschenden 204 Transekte (1m x10m) an 51 Standorten in einem 900 ha großen unbewirtschafteten Waldreservat im Südwesten Pennsylvanias (USA) an und beobachteten die Sämlinge der dort vorkommenden Bäume und Sträucher. Um die Hälfte der Transekte wurden Zäune errichtet, um den Einfluss von großer herbivorer Säugetiere auszuschließen. Diese gezäunten Bereiche grenzten an ungezäunte Bereiche der gleichen Pflanzengesellschaft. Innerhalb der Transekte wurden insgesamt rund 15.000 einzelne Setzlinge über drei Vegetationsperioden beobachtet. Um den Einfluss der Pflanzenzusammensetzung und -dichte in der Nachbarschaft auf Überleben und Wachstum der Setzlinge zu bestimmen, wurden demografische Nachbarschaftsmodelle verwendet.

Wo viel ist, kann Wild viel fressen

Die Forschenden fanden heraus, dass das Überleben sowohl von der Dichte als auch der Umzäunung beeinflusst wurde. Die Dichteabhängigkeit war am stärksten, wenn große herbivore Säugetiere Zugang zu den Pflanzen-Transekten hatten. Trotz des Einflusses der Tiere konnte kein Effekt auf den Artenreichtum seltener Arten sowie die gleichmäßige Verteilung der Arten durch Umzäunung festgestellt werden.

Abschließend betonen Murphy und Comita, dass das Verständnis darüber, inwieweit die Janzen-Connell-Hypothese zutrifft, also spezifische natürliche Feinde die negative Dichteabhängigkeit von Pflanzen einer Art beeinflussen, entscheidend auch unser Verständnis für die Erhaltung der weltweiten Waldvielfalt bestimmt. Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass negative Dichteabhängigkeiten bei Baumarten der gemäßigten Zonen vorkommen und somit großen herbivoren Säugetieren eine wichtige – zumeist übersehene – Bedeutung in Waldgesellschaften zukommt.

Kommentar

Wenn es im Waldbereich um das Thema Wildtiere geht, wird oft vom Wald-Wild-Konflikt gesprochen. Viel zu oft wird der Fraßdruck der Großherbivoren als rein negativer Aspekt gesehen, den es zu unterbinden und beschränken gilt, um einen klimaresilienten Wald zu ermöglichen. Weit verbreitet ist die These, dass Hirschartige und insbesondere Rehe, Baumarten entmischen. Diese These gilt es dringend zu hinterfragen, wie die Ergebnisse von Murphy und Comita nahelegen.

Vielmehr sollten Großherbivoren als natürlicher Einflussfaktor im Ökosystem und als Treiber einer natürlichen Walddynamik gesehen werden. Gerade Rothirsche, die als Ökosystemingenieure ihren Lebensraum aktiv gestalten, werden durch Rotwildbezirke in Habitate gedrängt, an die sie nicht angepasst sind. So entsteht Schaden durch Maßnahmen, die die Lebensweisen der Wildtiere nicht berücksichtigen. Es ist somit nicht zielorientiert nach pauschalen Lösungen wie einer generellen Reduktion der Wildbestände zu verlangen. Stattdessen wird ein angepasstes, ökosystembezogenes Wildtiermanagement benötigt. Dies sollte nicht auf Streckenstatistiken oder Verbissgutachten basieren, sondern eher dokumentieren, wie hoch der Anteil ungeschädigter Vegetation ist (Siehe dazu auch diese Analyse aus Baden-Württemberg). Weiterhin müssen auch Wildruhezonen und Äsungsflächen Teil eines Wildtiermanagements sein.


Murphy & Comita (2021): Large mammalian herbivores contribute to conspecific negative density dependence in a temperate forest, Journal of Ecology Vol. 109, pp. 1194-1209


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