
Eremiten im Klosterwald
250 Jahre alte Methusalem-Eichen schaffen im Klosterwald Maria Eich bei München einen Hotspot der Waldökologie. Acht Urwaldreliktkäferarten wurden hier gefunden, darunter der Eremit. Um Eichen und Käfer zu schützen arbeiten Naturschützer, Staatsförster und Kirche zusammen. Dafür wurden sie ausgezeichnet, unter anderem als Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt.
Die Eremiten lieben den Mulm in den Höhlen der alten Eichen im Klosterwald von Maria Eich. Drei bis vier Jahre fressen sie sich als Larve durch das sägemehlartige Pulver in den Baumhöhlen. Braun- und Weißfäulepilze haben das Holz in den ehemaligen Bruthöhlen von Schwarzspechten fein zermahlen, so dass der Mulm den Eremitenlarven eine proteinhaltige Nahrung und eine weiche Brutstätte bietet. Als Larve fressen sie sich darin groß, um sich dann nach ein paar Jahren zu verpuppen. Nach zwei aufeinander folgenden Puppenstadien im Mulm schlüpft dort die Imago, also das Tier, das wir Eremiten oder auch Juchtenkäfer nennen.
Ohne Mulm und ohne Baumhöhlen hat der Eremit keine Lebenschance. „Die kommen nur in sehr alten und besonderen Wäldern vor“, sagt Michael Wagner von der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt München. Wagner koordiniert seit 2014 die Zusammenarbeit von Naturschutz und Forstwirtschaft, Kirche und Staat zum Erhalt der natürlichen Waldökologie von Maria Eich. Da es die alten, natürlichen Wälder kaum noch gibt, ist der Eremit (Osmoderma eremita) einer der seltensten Käferarten Deutschlands. Er steht unter dem strengen Schutz der EU-weit gültigen FFH-Richtlinie, sein Lebensraum muss erhalten bleiben.
Ausgezeichnet als Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt
Der Klosterwald Maria Eich steht inoffiziell unter Schutz. Die Bayerische Forstverwaltung, die Gemeinde Planegg, der Landkreis München und die Erzdiözese München und Freising haben eine Allianz zum Schutz der Methusalem-Eichen und des einzigartigen Waldstücks rund um die Kapelle Maria Eich gebildet. Das kommt den Eremiten und den anderen 88 vom Aussterben bedrohten Käferarten in dem Klosterwald zugute, ebenso den Fledermäusen wie z.B. dem Großen Abendsegler, den Waldkäuzen, Dohlen, Spechten. Für das waldökologische Schutzkonzept hat das Bündnis 2016 den bayerischen Biodiversitätspreis erhalten und wurde 2019 als Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet.

Eichen können sehr alt werden, 800 – 1000 Jahre sind möglich, sofern die Bäume vorher nicht gefällt werden. Selbst wenn der Stamm beschädigt ist, kann eine Eiche noch viele Jahrzehnte stabil stehen und bietet so einen Lebensraum für Insekten, Vögel und kleine Säugetiere.
Rund um die Kapelle von Maria Eich ragen dicke Hainbuchen hoch hinauf. 250 Jahre alte Eichen stehen erhaben. In die ein oder andere ist schon mal der Blitz gefahren, hat eine Rinne in die zweifingerdicke Borke geschlagen oder hat den Baum in zwei Hälften geteilt. 30 Meter lange Hainbuchen liegen im Wald, Äste von Eichen und zerfallene Stämme liegen quer. Moose und Pilze, manche groß wie ein Hut, andere klein, orange, knubbelig wachsen an und aus den Rinden.
Eine Eiche wächst aus dem Dach der Kapelle
Auf vier Hektar verteilen sich die Methusalem-Eichen und zeugen davon, wie der Wald in früheren Zeiten gewachsen ist. Sie sind Relikte, wenn auch nicht von Urwäldern, sondern von den Eichen-Hainbuchen-Hutungswäldern, die bis in das 19. Jahrhundert rund um München bewirtschaftet wurden. Die Menschen in den früheren Jahrhunderten haben dort Herden aus Schweinen, Kühen, Ziegen und Schafen fressen lassen und eine fruchtbare Waldvielfalt entstehen lassen, bevor die Fichtenforstwirtschaft die Waldflächen übernahm.
Wie wichtig der Eichenwald den Menschen noch in der frühen Neuzeit war, zeigt die Geschichte des kleinen Wallfahrtsorts Maria Eich mitten im Wald. Franz und Kaspar Thalmayr stellen so um 1710 eine Muttergottesfigur in eine Höhle im Stamm einer Eiche. Die Menschen auf dem Weg in den Wald und wieder hinaus, beginnen an der Maria Eich zu beten, und nachdem mehrere ihrer Gebete erhöht wurden, bauen sie eine hölzerne Kapelle rund um die Eiche. Schon zehn Jahre später, 1742, mauern sie eine steinerne Kapelle, bauen den Stamm der Eiche in den Altar ein und lassen das Dach so weit offen, dass dort hindurch die Äste der Marieneiche in den Himmel wachsen. 1805 schlägt ein Blitz in die Krone ein, Kirche und Baumstamm bleiben erhalten und stehen noch heute.
Nur in mulmigen Baumhöhlen überleben die Eremiten
Direkt um die zu einer Wallfahrtskirche erweiterten Kapelle sind die meisten Methusalem-Eichen erhalten. Hainbuchen, Eichen und Ahorn prägen 30 Hektar Laubmischwald, dann kommen noch 14 Hektar mit mehr oder weniger Fichtenforst hinzu. Insgesamt 44 Hektar haben Michael Wagner und die Bündnispartner vom Staatsforst und der Kirche für ihr Konzept zum Schutz der waldökologischen Vielfalt zusammengebracht. Schrittweise wollen sie das ganze Areal so entwickeln, dass die Eichen und Hainbuchen sich ausbreiten, wachsen, alt werden und irgendwann natürlich verfallen.

Die Höhle am Stammfuß der Eiche deute auf die Bildung eines ausgehöhlten Stammes hin. Es ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Arbeit von Insekten und Pilzen. Diese Höhlen sind wichtig für viele Tiere, die hier im Inneren des Baumes einen Lebensraum finden.
Die Eremiten und viele der anderen holzbewohnenden Käferarten brauchen alte Bäume mit einer bestimmten Höhe und mit den von Spechten gemeißelten Höhlen und Pilzlöchern. Die Eremiten fliegen nur ein paar hundert Meter von ihrer Geburtshöhle aus, um dort eine neue Höhle für die Eiablage und die nächste Generation Eremiten zu besiedeln. Wenn sie in ihrem Radius keinen alten Baum mit mulmiger Höhle finden, stirbt mit ihnen der Fortbestand der Art.
Biotopbäume sind Zukunftsbäume
Naturschützer Wagner übernimmt Konzepte aus der Forstwirtschaft, um den Eichen das Altern zu ermöglichen, wie er hofft. „Wir nehmen die Bedränger raus, um die Vielfalt des absterbenden Baums zu erhalten“, sagt Wagner und spricht von „Zukunftsbiotopbäumen“. „Wir brauchen die dicken alten Dinger und damit die eine Chance als Biotopbaum haben, schneiden wir sie frei.“ Im Wald sieht es dennoch mehr urwüchsig als försterlich aus, was dem Klosterwald von Maria Eich zu einem der schönsten Naturwälder am S-Bahn-Ring München macht.
Neben dem Eremiten haben die Biologen im Wald von Maria Eich sieben weitere sogenannte Urwaldrelikt-Käferarten gefunden. Schon der Name Urwaldrelikt verrät, dass die Käfer urwaldähnliche Zustände im Wald brauchen, also die natürlichen Abläufe von Wachstum und Zerfall, von lebenden und sterbenden Bäumen im Wald benötigen. Zu ihnen zählen der einzige in Europa lebende Vertreter der Rotdeckenkäfer, der Benibotarus taygetanus, und der scharlachrote Kardinalkäfer Ampedus cardinalis. Hinzu kommt ein käferkundliches Wunder, denn im Wald von Maria Eich leben vermutlich die einzigen Vertreter des Palpenkäfers (Trimium amonae). Bislang war der Palpenkäfer nur noch aus historischen Quellen in Bayern bekannt.
„Ob wir acht oder 12 schützenswerte Käfer haben, spielt für das Schutzkonzept keine Rolle“, sagt Wagner. Sorge bereitet ihm die extreme Trockenheit der Sommer 2018 und 2019. „Je fragiler die Altbäume werden, desto anfälliger sind sie für Wetterextreme.“ Mehrere dicke Äste sind von den alten Eichen und Hainbuchen abgefallen, manch ein Baum ist in der Dürre gestorben. „Tote Bäume verlieren ihre Bedeutung als Nischen der Vielfalt“, sagt Wagner. Denn dann fehlen die jahrzehntelangen Verfallsprozesse, die Käfer und andere Wirbellose dringend für ihre Entwicklung benötigen. Der Klimawandel fordert auch Methusalemeichen und Eremiten heraus.