
Waldumbau mit der Kraft der Natur
„Jetzt ist es geboten, sich vom Forst zu verabschieden und den Wald neu zu denken“, sagt Klaus Borger, Vorsitzender der Forstbetriebsgemeinschaft Saar-Hochwald mit rund 370 Mitgliedsbetrieben und einer bewirtschafteten Fläche von rund 4000 Hektar. Dort entwickelt er seit 30 Jahren Mischwälder auch mit der Laubstreusaat. „Da fängt schon beim Keimen die Auswahl an“, sagt Borger, der mit der Laubstreusaat auch den Verbiss mindert. Denn: „Rehe bevorzugen Bäume aus der Baumschule.“
Herr Borger, in den Wäldern der Forstbetriebsgemeinschaft Saar-Hochwald arbeiten Sie unter anderem mit der Laubstreusaat. Was machen Sie da?
Borger: Die Laubstreusaat imitiert die Natur. Im Jahresverlauf fallen zuerst die Samen von den Bäumen, dann später fallen die Blätter, die die Samen abdecken und im Winter schützen. Das machen wir in der Laubstreusaat nach. Wir nehmen Laub und Samen und streuen diese in den Wald hinein, der verjüngt werden soll. Der Same fällt zuerst und das Laub darauf. Keiner weiß, wo welcher Same hinfällt, ob eine Eichel, ein Ahornsame, eine Buchecker und die Natur entscheidet, welcher am fittesten ist, um dort zu wachsen. Wir praktizieren also eine sehr naturnahe Form der Waldverjüngung, die sich insbesondere unter den sterbenden Fichtenforsten, die wir nicht nutzen, eignet.
Ahorn, Buchen und Eichelstreu im Fichtenforst fallen auf 20-30 Zentimeter Nadelmatte. Schaffen es die Samen, da hindurch zu keimen?
Borger: Eicheln und Bucheckern haben eine enorme Kraft und Energie, ihre Wurzel in den Boden zu treiben. Die und die anderen Baumsamen schaffen das gut, wobei es ein Unterschied ist, ob es sich um einen lebenden oder abgestorbenen Nadelwald handelt. In einem toten Nadelwald baut sich die Streu in der Regel innerhalb eines Jahres ab, da haben sie es leichter. Und die Natur ist ja so verschwenderisch! Gerade dieses Jahr haben alle Laubbäume so stark Samen produziert, von denen 99 Prozent nie aufgegangen wären. Indem wir die Samen in Nadelwälder verbrachten, haben sie eine große Chance aufzugehen.

Klaus Borger, 62, ist Dipl. Forstwirt, Assessor des Forstdienstes und Staatssekretär a.D. Bis 2009 war es als Abteilungsleiter im Landkreis Merzig-Wadern tätig und danach bis 2012 als Staatssekretär im saarländischen Ministerium für Umwelt, Energie und Verkehr. Neben seiner beruflichen Tätigkeit war er von 1991 bis 2009 Geschäftsführer der Forstbetriebsgemeinschaft im Landkreis Merzig-Wadern. Seit 2014 ist er Vorsitzender der Nachfolgeorganisation Forstbetriebsgemeinschaft Saar-Hochwald. 2006 gründete er den Ökologischen Jagdverband Saarland, dem er viele Jahre vorstand.
Was ist am Laubstreuwurf besser, als die Eicheln oder Bucheckern in den Boden zu setzen?
Borger: Die Laubstreusaat ist zufälliger als zum Beispiel das Eichelhäher-Pflanzverfahren, wo ein Förster mit einem Stab ein Loch in den Boden drückt und eine Eichel reinsetzt. Der Mensch neigte immer schon dazu, auch im Wald für Ordnung zu sorgen und in Reihe zu pflanzen oder zu säen. Laubstreusaat ist was komplett Ungeplantes.
Ungeplant hört sich wild an.
Borger: Ja, und genauso geht die Natur vor. Bei unserem Wurf fallen auf einen Quadratmeter, sagen wir, fünf Eicheln, drei Bucheckern und zwei Bergahornsamen und da fängt schon beim Keimen die Auswahl an. Wer keimt schneller, wer wächst schneller hoch? Da beginnt in der ersten Sekunde ein ganz knallharter Ausscheidungskampf. Bei der künstlichen Saat oder der Pflanzung gibt es ja nur den einen Samen, die eine Pflanze.
Junge Pflanzen aus der Baumschule sind aber schon ein paar Jahre mit Nährstoffen stark gemacht …
Borger: Das ist der Hauptnachteil der Bäume aus der Baumschule, wobei ich nicht die Baumschulen schlecht reden will, die uns viele Jahre wertvolle Hilfe geleistet haben. Aber Pflanzen in Baumschulen werden gewässert und gedüngt mit Stickstoff, Kalium, Phosphor, also mit all den Nährstoffen, die Pflanzen zum Wachstum brauchen. Das schmeckt scheinbar den Rehen besonders gut.
Rehe merken, ob ein Baum aus der Baumschule kommt?
Borger: Das Wild kann das sehr gut unterschieden. Wenn Sie Bäume pflanzen, die Sie im eigenen Wald ausgegraben haben und dann setzen Sie daneben einen Baum aus einer Baumschule, dann werden die Baumschulenpflanzen fast garantiert angeknabbert oder zurück gefressen, weil die eben sehr viele Nährstoffe haben. Die Baumschulenpflanze geht eher ein. Das ist eigentlich das Hauptproblem.
Und das andere Problem?
Borger: Bevor die Setzlinge in den Wald kommen, werden sie zwei bis drei Mal unterschnitten, damit sie keine große, starke Wurzel ausbilden. Das ist für die Waldarbeiter einfacher, einen Baum mit einer kleinen Wurzel zu pflanzen. Für Eiche, Weißtanne oder Kiefer bedeutet ein Unterschneiden den Verlust der Pfahlwurzel – für immer. Wenn man solche Bäume in den Wald pflanzt, pflanzt man Bäume, die genau das nicht mehr besitzen, was sie in Zukunft verstärkt brauchen: Sturmfestigkeit. Und sie kommen nicht an das weniger werdende Wasser in tiefen Bodenschichten heran. Sie können sich also nicht gegen die Unbillen der Natur, die im Klimawandel immer dramatischer werden, zur Wehr setzen.

So unspektakulär sieht es aus, wenn die Laubstreu gesammelt und dann wieder im Wald verteilt wird. Eine prinzipiell einfache Methode, die mit etwas Erfahrung und Geschick jeder im Wald einsetzen kann. Sie ist neben der Saat und der Pflanzung sicherlich die günstigste Methode den Waldumbau zu beschleunigen. Noch günstiger ist die Naturverjüngung, die aber gerade in Monokulturen langsamer vonstatten geht.
Wie geht es den Wäldern in der Forstbetriebsgemeinschaft Saar-Hochwald nach drei Jahren extremer Trockenheit und Hitze?
Unterschiedlich, je nachdem wie stark die Wälder wirtschaftlich nach dem klassischem Verfahren bewirtschaftet wurden. Wir haben schon früh gemerkt dass die Bewirtschaftung mit flächigen Vorgehen, das heißt Auslesedurchforstung mit weitem Abstand der zu begünstigenden Auslesebäume, Vorratspflege oder wie bei der Buche regelmäßig praktiziert dem Schirmschlag, den Wald schwächt. Deswegen haben wir 2008 unser Klimawaldprogramm entwickelt, sozusagen unsere neue Waldstrategie entworfen und werben dafür, dass das Kronendach möglichst geschlossen gehalten wird. Und, dass so schnell wie möglich auf dem Boden eine Pflanzenschicht entsteht, seien das Kräuter oder junge Bäume. Wir müssen dem Schutz unserer Waldböden viel mehr Bedeutung schenken und alles tun, um die Verdunstung zu reduzieren. Waldböden wurden bisher überwiegend aus der Sicht der Holzerntetechnik betrachtet.
Sie suchen nicht nach den einzelnen Zukunftsbäumen wie in der klassischen Forstwirtschaftslehre?
Borger: Nein, nach den Heißjahren nicht in der Konsequenz der klassischen Lehre. Wenn rund um den Auslesebaum die zwei oder drei Bäume in der Nähe weggeschlagen werden, hat man auf großen Flächen ein aufgelöstes Kronendach. Das rächt sich jetzt.
Wann haben Sie mit der Laubstreusaat angefangen?
Borger: Nach den Stürmen 1990/91 haben wir sukzessive begonnen. Damals war das für die Waldbesitzer was ganz Neues, weil das 40 oder 50 Jahre niemand so gemacht hatte, die hatten nur gepflanzt. `Was kommen die mit so einer spinnerten Idee?´ hieß es damals und es ist ja auch schwer, denn die Privatwaldbesitzer in der Forstbetriebsgemeinschaft haben ja noch ein höheres Interesse daran, Geld zu verdienen als öffentliche Waldbesitzer.
Und heute?
Borger: Wir schlagen den Waldbesitzern Alternativen vor – die Naturverjüngung, die Pflanzung über die Saat bis zur Laubstreusaat. Wenn der Waldbesitzer eine Pflanzung haben will, organisieren wir das. Laubstreusaat machen wir in diesem Jahr auf ca. 30 Hektar. Dies wird hoffentlich noch mehr, wenn die Waldbesitzer eben auch die Erfolge sehen. Sie brauchen die Bilder der Wälder, in denen wir vor einigen Jahren Samen in den Boden gebracht oder Laubstreusaat ausgeworfen haben. Sie müssen sehen, wie sich die Naturverjüngung in den Wäldern entwickelt, in denen wir mal zehn Jahre gar nichts gemacht haben. Wenn die solche Anschauungsbilder haben, sind die Waldbesitzer in der Lage zu verstehen, dass es auch anders geht, als dieses 08/15 System der Anpflanzung.
Sie haben eine klassische Forstwirtschaftsausbildung, haben in Freiburg studiert, waren in unterschiedlichen Funktionen in der Leitungsebene im Staatswald des Saarlandes tätig. Was hat Sie bewogen, weniger in Forst und mehr in Wald zu denken?
Borger: Ich habe während meines Studiums in Freiburg ein ganz einfaches Waldbild vermittelt bekommen. Hauptbaum, dienende Baumart, Waldwegebau, Kalkung, Kahlschlag, Schirmschlag, Saumschlag, einfache und aus meiner heutigen Sichtweise sehr unspannende und anspruchslose Rezepte. Als ich fertig mit dem Studium war, habe ich gemerkt, da fehlt was. Da fehlt der Wald. Dann bin ich nach Slowenien und dieser längere Aufenthalt hat in mir alles verändert. Da war alles 100 Prozent anders, da standen Wälder und keine Forste und da ging es nicht um die eine heilsversprechende Produktionsform auf der Fläche zum Beispiel mit Fichte oder Douglasie.

Gemeinsam lässt es sich besser wirtschaften: Die Forstbetriebsgemeinschaft feierte 2019 ihr 30-jähriges Bestehen. Der Vorstand der FBG Saar-Hochwald verpflichtet sich bei der Beratung, Betreuung und tätigen Mithilfe in den angeschlossenen Mitgliedsbetrieben den Ansprüchen der Mitglieder an ihren Waldbesitz, sowie der Gesellschaft und der Umwelt im Rahmen einer naturnahen Waldwirtschaft gerecht zu werden.
An diesem Forstverständnis hat sich nicht allzu viel geändert.
Borger: Die Waldbesitzer, Förster, Studierenden, Forstwissenschaftler müssen sich ganz massiv umstellen. Die klassische Forstwirtschaft will immer noch ein geregeltes Miteinander von zwei bis drei Baumarten und auf großer Fläche ein homogenes Sortiment für den Holzmarkt bereithalten. Diese Wirtschaftsweise scheidet aus in dem System, in dem naturnah ein artenreicher Mischwald entsteht, den nicht der Mensch pflanzt, sondern in dem die Natur und der Zufall entscheiden. Denn von Natur aus ist ein Wald in Deutschland ein zufälliges Durcheinander von 10 bis 20 Baumarten. Und nur diese naturnahen Wälder werden mit den Veränderungen im Klimawandel bestehen.
Vielleicht fürchten die Förster den Bedeutungsverlust?
Borger: Ja, die Natur und der Wald leisten erstaunliches, wenn man es zulässt. Wir brauchen auch in Zukunft Leute, die sich um den Wald kümmern – aber eben keine Förster im Sinne von Forst, sondern Waldhüter.
Dann müsste viel mehr in Weiterbildung und Aufklärung von Förstern und Waldbesitzern investiert werden.
Borger: Das ist das A und O! Forstverwaltungen reagieren sehr dröge und träge was Veränderungen anbelangt. Dabei müsste es ein dynamischer Prozess sein, die Art der Waldbewirtschaftung den veränderten Bedingungen anzupassen.
Was schlagen Sie vor?
Borger: Wir haben Waldnutzgesetze, wir brauchen aber Waldschutzgesetze. Die klassische Forstplanung und Nutzungsstrategie hat ganz wesentlich dazu geführt, dass die Wälder so krank sind und es ein massives Artensterben auch im Wald gibt. Wald ist ein zu schützendes Ökosystem, in dem auch das Holz genutzt werden darf. Dies gilt vor allem für den öffentlichen Wald, dessen Aufgabe die Sicherung der Umwelt- und Erholungsfunktion ist und nicht die Sicherung von Absatz und Verwertung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, sagt das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990. Immer noch ist es umgekehrt: Zuerst kommt die Nutzung, dann die anderen Ziele wie Erholung oder Naturerhalt. Das Übel fängt schon bei der Sprache an, die wir unbedingt entForsten müssen.
Sie wollen den Wald erhalten und das System neu entwickeln?
Borger: Seit 30 Jahren sehe ich die unmittelbaren Erfolge eines naturnahen Mischwalds und eines schonenden Umgangs mit dem Wald. Da denkt man nicht in Kubikmeter, sondern hat das Ökosystem vor Augen und überlegt, wie man Rohstoff ernten kann ohne das System zu schädigen. Jetzt ist es geboten, sich vom Forst zu verabschieden und den Wald neu zu denken.
Vielen Dank für das Gespräch.
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