Der See im Herzen des Waldes
Beim Wald denken viele zuerst an Bäume, Sträucher und Gräser. Doch werden die Pflanzen erst zusammen mit Insekten, Fröschen, Molchen, Regenwürmern, Dachsen, Spechten und all den anderen Waldbewohnern zu der natürlichen Vielfalt des Ökosystems Wald. Von der Zuckmücke bis zur Azurjungfer-Libelle nutzen die Insekten zum Beispiel die Waldweiher und Seen für die Kinderstube ihrer Larven.
Gelbbauchunken haben eine Vorliebe für die Tümpel in tiefen Reifenspuren von Harvestern entwickelt. Sie legen ihren Laich in die mit Wasser gefüllte Fahrspur, die im schattiger werdenden Frühjahrswald hoffentlich lang genug das Regenwasser hält, bis sich die Eier im Laich und dann die Kaulquappen zu den an Land lebenden Unken entwickelt haben. Die sporadischen Pfützen, Tümpel, Regenlöcher bereichern den Wald, ewig ruhende Weiher und Seen im Wald stärken den Wasserhaushalt im Boden. Künstlich angelegte Teiche können die Funktion der natürlichen Stillgewässer übernehmen und mit ihnen die biologische Vielfalt im Wald unterstützen.
Das Netzwerk des Wassers ist entscheidend
Seen und auch flachere Gewässer wie Weiher stehen in direktem Kontakt zum Grundwasser und beeinflussen ebenso wie Flüsse den Wasserhaushalt weit über ihre eigene Region hinaus. So speisen die Wasser in der Niederen Havelmündung das Grundwasser im 100 Kilometer entfernten Berlin und das dazwischen liegende Land samt Äckern und Wäldern. Aber auch die flachen Gewässer wie Weiher und die in Nord- und Nordostdeutschland typischen Sölle sind im Kontakt mit dem Grundwasser, wenn sie tief genug mit Wasser aus Niederschlägen gefüllt sind. Sölle sind in der Eiszeit entstandene, mehrere Meter breite Vertiefungen, in denen sich Regenwasser sammelt und das je nach Niederschlagsmenge in der Region jahrelang darinsteht. Sölle versorgen die Umgebung mit Wasser. Gerade in schattigen Wäldern hält sich das Wasser in den Söllen bis in heiße und trockene Sommer und versorgt Bäume und andere Lebewesen des Waldes mit Wasser. Aus einem Soll speisen sich die feinen Wasserströme im feinporigen, mit Kapillaren durchzogenen Waldboden.
Die Pflanzen in einem Waldsee bilden den Lebens- und Nährstoffraum für unzählige Krebse, Schnecken, Einzeller und sind die Kinderstube für die Larven von Libellen, Mücken, Köcherfliegen, Fischen und den Kaulquappen von Fröschen, Kröten, Molchen. Dieses kleine Ökosystem ist Teil des Meta-Ökosystems aus See, Wald und anderen Land- und Wasserlebensräumen, dessen Zusammenwirken die Wissenschaft kaum erforscht, geschweige denn verstanden hat.
Die flachen Gewässer wie Soll und Weiher mit einer Tiefe von weniger als drei Metern füllen sich üblicherweise im Winter mit Regen und Schmelzwasser. Sie sind dann im Flachland auch mit dem Grundwasser verbunden und die erste Quelle zur Wiederherstellung der Grundwasserreserven auch in Dürrejahren, wie Wissenschaftler vom Leibniz Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) herausgefunden haben (Quelle am Ende). Seit 1980 beobachten die Gewässerkundler ein 66 Quadratkilometer großes Gebiet in Brandenburg. Nach den Dürren 2018 und 2022 konnten sie den direkten Zusammenhang von flachen Gewässern und der Grundwasserneubildung feststellen. Weihern und Söllen in Wäldern kommt daher eine besondere Bedeutung zur Anpassung an den Klimawandel zu. Regen und Schnee fallen unregelmäßiger in dem an ausgeglichene Niederschläge gewöhnten Deutschland. Kleine Gewässer wie Sölle, Tümpel, Pfuhle sind neben Mooren die natürlichen Wasserspeicher an der Erdoberfläche.
Seenplatte mit viel Wald rundherum
Auch Seen und Weiher sind nach der jüngsten Eiszeit vor 12.000 Jahren entstanden. Seen sind tiefer als Weiher und oft auch größer, weshalb sich Besucher am bewaldeten Ufer ausgedehnter Seen in Schleswig-Holstein oder in der Mecklenburgischen Seenplatte fragen können, ob es sich noch um einen Waldsee handeln mag oder um einen See, an dessen Ufern Wald wächst. Die Ökosysteme von See und Wald leben, atmen, sterben nach ihren eigenen Rhythmen und leben dennoch voneinander und miteinander. „Kleingewässer wie Sölle, Tümpel, Pfuhle und Weiher werden in der seenreichen Landschaft in Nordostdeutschland oft übersehen oder als wenig wertvoll empfunden“, sagt Thomas Mehner, Vize-Direktor der Forschungsgruppe Nahrungsnetze und Fischgemeinschaften am IGB. „Sie sind von zentraler Wichtigkeit für die aquatische Biodiversität, etwa als Trittsteinbiotope für nahezu 70 Prozent der regionalen Süßwasserarten in Europa.“ Von der Vernetzung der Tiere und Pflanzen in Wasser und Land leben beide Ökosysteme. Zahlreiche Insekten haben ihre Kinderstube im Wasser, die Vögel, Kröten, Dachse und andere an Land lebende Tierarten fressen, die wiederum mit ihrer Lebensweise das Ökosystem Wald bereichern. Der Wald beschattet Weiher und Seen, so dass das Wasser bis in heiße Sommer hinein die Bäume und anderen Pflanzen des Waldes versorgen kann. „Kleingewässer spielen eine wichtige Rolle bei der Abschwächung von Klimafolgen und bei der Klimaanpassung und erbringen vielfältige Ökosystemleistungen, etwa für die Regulierung des Kohlenstoffzyklus, die Wasserversorgung, Hochwasserschutz, die Grundwasserneubildung“, sagt Mehner.
Ein Waldsee ist mehr als Wasser
Die Ökosysteme von See und Weiher beginnen in der noch trockenen Uferzone, dort wo in Norddeutschland noch Eichen aus angrenzenden Wäldern wachsen können. Ein weiteres großes Seengebiet in Deutschland erstreckt sich im Alpenvorland, an dessen Seeufern Rotbuchen und weiter in den Alpen auch Fichten am Lithoral, dem trockenen Uferbereich, wachsen. Das Lithoral zieht sich hinab ins Wasser und bildet den Grund für das artenreiche Leben unter Wasser, in dem Pflanzen, Tiere, Bakterien, Viren und andere Kleinstlebewesen im Plankton einen Hotspot der Artenvielfalt bilden. Grasartige Pflanzen haben sich an den nassen Grund am Ufer angepasst und bilden mit Großseggen, Binsen, Röhrichten oder dem Teich-Schachtelhalm und dem ästigen Igelkolben den typischen Grüngürtel zwischen See und Wald. Die großen Gräser bereiten den Boden, auf dem bei Verlandung auch Erlen und Moorbirken wachsen können und den Wald ausdehnen.
Der Wald ist nicht nur für die Bäume ein Wasserspeicher. Besonders profitieren Pflanzen und Pilze von der Feuchtigkeit am Boden und in der Luft. Sie schützt auch im Sommer vor einer Überhitzung der Pflanzen. Aber auch die Waldtiere sind auf das Wasser angewiesen. Spezialisten wir der Feuersalamander leben eigentlich nur an Bächen im Wald sowie eine Vielzahl von Vögeln und Insekten.
Die Seen und Weiher sind jedoch auch mit den Wäldern verbunden. Waldböden filtern das Regenwasser bevor es in die Gewässer fließt. Die Wälder schützen damit die im Wasser lebenden Tiere und Pflanzen vor chemischen Einträgen aus dem Regen wie Stickstoff und Phosphor. Theoretisch, denn im industrialisierten und von Megaverkehrsströmen durchwirkten Mitteleuropa leiden auch Wälder unter dem massenhaften Eintrag von Stickstoff aus den Verbrennungsmotoren.
Wald- und Gewässerökologen fordern daher, die Meta-Ökosystem Perspektive auszuweiten und auch die menschliche Lebensweise, Stadt- und Landschaftsentwicklung einzubeziehen. Wenn wir uns als Teil des Meta-Ökosystems Wald und See begreifen würden, könnten wir die Folgen von Landnutzung auf die zur Verfügung gestellten Dienstleistungen der Ökosysteme besser verstehen. Alles Leben kommt aus dem Wasser.
Verwendete Quellen
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