
Mehr Vielfalt für den Wald der Zukunft
Das Leben von Bäumen, Sträuchern und Kräutern, von Moosen, Vögeln, Insekten und allen anderen Tieren im Wald hängt entscheidend von der Art der Bewirtschaftung ab. WaldbesitzerInnen und FörsterInnen haben es also in der Hand, ob sie die biologische Vielfalt im Wald erhalten und stärken – oder zerstören. „Die wichtigsten Förderer für den Reichtum und die Vielfalt von Waldvögeln und Höhlenbrütern ist das Alter der Wälder und die Besitzverhältnisse“, hat Judith Reise mit einem Team von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde herausgefunden (Quelle 1). Die Vögel bevorzugen Staats- und Kommunalwälder, da dort mehr Totholz steht und liegt als in Privatwäldern. In den privaten Wäldern würden zudem mehr Nadelbäume wachsen. „Wenig Totholz und viele Nadelbäume senken die Vielfalt der Vogelarten“, schreibt Reise.
Biologische Vielfalt und Klimakrise
Wälder spielen eine zentrale Rolle dabei, wie die Menschheit die globalen Krisen des 21. Jahrhunderts bewerkstelligt: Die Erwärmung der Erde und das Artensterben. Die wirtschaftlichen Aktivitäten von Menschen sind verantwortlich für den Verlust der biologischen Vielfalt und den Klimawandel und so liegt es auch in der Verantwortung des Menschen, Lösungen zu finden. Natürliche Verbündete in der Klima- und der Biodiversitätskrise sind Wälder. Sie sind Hotspots der Artenvielfalt – je natürlicher, desto größer ist ihre Bedeutung für die ökologische Vielfalt. Und je vielfältiger sie sind, desto besser kann sich das Ökosystem Wald an Veränderungen anpassen. Wälder binden zudem enorme Mengen CO₂ und gelten als Senken des Treibhausgases.
Lösungen gibt es für Wald und Mensch, für Zivilisation und Natur nur, wenn die Menschheit Klimakrise und Biodiversitätskrise zusammen denkt und angeht. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES und der Weltklimarat IPCC haben im Juni 2021 die Menschheit dazu aufgefordert, Ökologie und Klimaschutz zusammenzubringen. Die WissenschaftlerInnen fordern eine „fundamentale und dauerhafte Veränderung“ („transformative change“), die Menschheit müsse schnell und weitreichend handeln wie nie zuvor. Sie nennen mehrere schädliche Verhaltensweisen, die sofort eingestellt werden müssen. Darunter fällt das Wiederaufforsten mit Monokulturen, insbesondere mit exotischen Baumarten. Und das Pflanzen von Bäumen in Ökosystemen, die historisch gesehen keine Wälder waren. Beides sei oft schädlich für die biologische Vielfalt und habe keine deutlichen Vorteile für die Anpassung an den Klimawandel.
Vögel sind Schlüssel- oder Regenschirmarten
Vögel zeigen, wie es dem Ökosystem Wald geht und wie es um die biologische Vielfalt im Forst steht. Denn Vögel leben und brüten nur dort, wo sie ausreichend Insekten finden und damit ihre Jungen großziehen können. Nach der Brut und Aufzucht benötigen sie Büsche, Blattwerk und andere natürliche Strukturen, in denen sie geschützt die Federn wechseln können. Während der Mauser sind Vögel nicht so flugstark und wendig und daher angreifbarer. BiologInnen haben sich auf bestimmte Schlüsselarten geeinigt, die hohe Anforderungen an ihren Lebensraum stellen. Leben diese Arten in einem Wald, geht es auch anderen Vogelarten, Fledermäusen, Käfern, Siebenschläfern und anderen Tieren gut.
Zu den Schlüsselarten unter den Vögeln für Waldgebiete zählen der Mittelspecht und der Dreizehenspecht. Sie brauchen Laubbäume und vor allem zerfallende und tote Bäume, also Mehrgenerationen-Wälder mit einer Vielfalt an Baumarten. Auch Auerhahn und Weißrückenspecht zählen zu den Schlüsselarten, doch sind sie so selten in Deutschland, dass sie einigen BiologInnen nur noch als „Regenschirmart“ dienen. Werden sie und ihre Lebensräume geschützt, leben unter dem Schutzschirm auch alle möglichen anderen Tierarten.

Zur richtigen Zeit blühen: Blumen und Insekten sind unmittelbar vom Klima abhängig. Jede Blütenpflanze hat einen bestimmten Zeitpunkt im Jahr, an dem sie blüht, abhängig von Temperatur und Lichteinfall. Ist es auf Dauer im Frühling zu warm, blühen viele Pflanzen früher als ursprünglich. Die Folge: Insekten haben entweder ein Überangebot und bestäuben nicht mehr ausreichen oder zu wenig Nahrung, da die Blumen alle schon verblüht sind.
Totholz spendet Leben im Wald
Mit absterbenden und toten Bäumen steht und fällt die biologische Vielfalt. Wälder müssen also alt sein, damit Bäume mit 160 Jahren und mehr überhaupt in die natürliche Zerfallsphase kommen. Ältere und alte Wälder bieten von Natur aus die Vielfalt an Strukturen, die Asseln, Eremit- und Hirschkäfer genauso benötigen wie Wiesel und Wildbienen. Fällt eine Buche oder Fichte im Sturm, bietet der Wurzelteller einer Wildkatze Unterschlupf für ihre Jungen, in dem sich mit Regenwasser füllenden Erdloch wachsen Gelbbauchunken heran. „Eine hohe Strukturvielfalt ist verbunden mit einem hohen Grad an Biodiversität, insbesondere was Gefäßpflanzen, Vögel und Bodentiere angeht“, schreiben Janine Oettel und Katharina Lapin in einer Studie (Quelle2) für das Österreichische Bundesforschungszentrum für den Wald. Sie haben die Daten über Wald, Boden, Geografie, Biodiversität aus 162 Studien ausgewertet und 14 Handlungsanweisungen herausgearbeitet, wie FörsterInnen und WaldbesitzerInnen die biologische Vielfalt im Wald stärken können. Mehr Strukturen, mehr unterschiedliche Habitate, empfehlen sie dem Forstmanagement. Konkret: Bäume altern lassen, tote und zerfallenden Bäume im Wald lassen, Habitatbäume stehen lassen und mehr unterschiedliche Baumarten pflanzen oder sähen. Außerdem sollten Wälder nicht mit Forststraßen zerschnitten, Waldflächen nicht zerstückelt werden. Dort, wo Waldmoore, Tümpel, natürliche Wälder bestehen, unbedingt so lassen, empfehlen Oettel und Lapin für die Staatliche Forstbehörde Österreichs. Und wo immer es geht, sollten FörsterInnen wieder natürliche Strukturen schaffen. Kahlschläge verbieten sich von selbst.
Vielfalt bewußt stärken
Die beiden Forstwissenschaftlerinnen empfehlen auch, seltener und sanfter zu ernten. Und ausgewählte Waldflächen zeitweise ganz ruhen zu lassen, um z.B. Vögeln Ruhezonen zu schaffen. Vielfalt an Lebensräumen schafft eine Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten. Waldränder und Säume an Waldwiesen schaffen wichtige Einflugschneisen für Insekten. Auch der bei Förstern gefürchtete Buchdrucker-Borkenkäfer (Ips typographus) erhöht die Insektenvielfalt und damit die Biologische Vielfalt. Jörg Müller hat mit einem Team von Wissenschaftlern im Nationalpark Bayerischer Wald die Artenzahl in den vom Buchdrucker bearbeiteten Fichtengebieten gezählt. In den vom Buchdrucker geöffneten Forstabschnitten stieg die Anzahl von Käfern, Wildbienen und Wespen. „Auch die Anzahl kritisch gefährdeter Totholzkäferarten erhöhte sich signifikant in den Borkenkäferschneisen“, schreibt Müller (Quelle 3). Er reiht den Buchdrucker Ips typographus als „Schlüsselart für den Erhalt der Biodiversität in Wäldern“ ein. Er empfiehlt dem Forstmanagement zur Erhöhung der Insektenvielfalt in Wirtschaftswäldern, nicht gleich wieder Bäume zu pflanzen und vor allem: totes Holz liegenzulassen.
Quellen und weiterführende Literatur
- Judith Reise et. al., Characterising the richness and diversity of forest bird species using National Forest Inventory data in Germany, https://doi.org/10.1016/j.foreco.2018.10.012
- Janine Oettel, Katharina Lapin: Linking forest management and biodiversity indicators to strengthen sustainable forest management in Europe, Ecological Indicators 122 (2021) 107275
- Jörg Müller et. al., The European spruce bark beetle Ips typographus in a national park: from pest to keystone species, Biodiversity and Conservation volume 17, Article number: 2979 (2008), https://link.springer.com/article/10.1007/s10531-008-9409-1