Schmetterlinge im Wald brauchen mehr Vielfalt
Rund ein Drittel der in Deutschland heimischen Schmetterlingsarten braucht den Wald zum Überleben. Ihre Vielfalt zu erhalten, ist jedoch eine schwierige Aufgabe, denn sie brauchen entweder dichte Wälder oder sind auf Sonnenlicht am Boden angewiesen, welches im dichten Wald nun wieder naturgemäß fehlt.
Das Weibchen des Blauschwarzen Eisvogels ist anspruchsvoll: Die richtige Wirtspflanze, am richtigen Ort und in der richtigen Größe, erst dann legt der Schmetterling aus der Familie der Edelfalter seine Eier ab. Die Nachkommen des etwa fünf Zentimeter großen Tagfalters fressen im Raupenstadium nur die Blätter der Roten Heckenkirsche, eine ein bis zwei Meter hohe Strauchart, die auf kalkhaltigen Böden in fast allen mitteleuropäischen Wäldern irgendwo im Unterwuchs wächst. Im Schatten von Eichen, Buchen oder Ahornbäumen aber stellt der Strauch für den Falter mit den weißen Sprenkeln auf blauschwarzem Untergrund keine geeignete Kinderstube dar. Neben ausreichend Futter braucht sein Nachwuchs nämlich auch Sonnenwärme, weshalb der Blauschwarze Eisvogel seine Eier nur an jene Heckenkirschen legt, die auf größeren Lichtungen, Sturmwurf-, Schneebruch- oder Kahlschlagflächen stehen und den ganzen Tag lang von der Sonne beschienen werden. Eine Vorliebe, die der Blauschwarze Eisvogel nicht nur mit anderen hochspezialisierten Schmetterlingsarten teilt. Sie gefährdet sogenannte Waldtagfalter wie ihn mittlerweile auch in ihrer Existenz.
Blauschwarze Eisvogel (Limenitis reducta)
Die Art ist vom nördlichen Mittelmeer bis in die südlichen Alpen häufig, in Deutschland kommt sie selten vor. Die Falter leben an temperaturbegünstigten, sonnigen Waldrändern und -Lichtungen und an felsigen und grasbewachsenen Orten mit Strauchbewuchs. Der Falter braucht zur Fortpflanzung die Rote Heckenkirsche. Allerdings legen sie ihre Eier nur dann ab, wenn die Heckenkirsche an einem Standort wächst, an dem sie pro Tag mindestens acht, besser zehn Stunden lang von der Sonne beschienen wird.
Etwa jede dritte Schmetterlingsart braucht den Wald
Als Waldtagfalter werden all jene Schmetterlingsarten bezeichnet, die in mindestens einem Stadium ihres Lebens (Ei, Raupe, Puppe oder Falter) auf den Wald als Lebensraum angewiesen sind. In Deutschland trifft dies auf etwa ein Drittel der rund 150 heimischen Schmetterlingsarten zu. Ein Teil von ihnen lebt versteckt in den Kronen bestimmter Baumarten und ist so weit oben kaum zu entdecken. Dazu zählen zum Beispiel der Blaue Eichen-Zipfelfalter (Favonius quercus) und der Ulmen-Zipfelfalter (Satyrium w-album). Andere Waldtagfalter wiederum suchen an stärker beschatteten und luftfeuchten Stellen in Bodennähe nach Wirtspflanzen für ihren Nachwuchs. Sie sind deshalb öfter anzutreffen und wenig gefährdet. Zu ihnen gehören unter anderem das Waldbrettspiel (Pararge aegeria), der Kaisermantel (Argynnis paphia), der Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni), der Grünader-Weißling (Pieris napi) sowie der Aurorafalter (Anthocharis cardamines).
Ob und in welcher Anzahl Schmetterlingsarten in einem Waldgebiet heimisch sind, hängt vor allem davon ab, ob ihre Raupen optimale Entwicklungsbedingungen vorfinden. Während etwa das Waldbrettspiel seine Eier auf verschiedene Gräser am Waldboden legt und der Kaisermantel beschattete Veilchen liebt – von beiden gibt es fast in allen Wäldern genug – sind Falter wie der Blauschwarze Eisvogel, das Bergkronwicken-Widderchen (Zygaena fausta) oder der Schwarze Apollofalter (Parnassius mnemosyne) ausgesprochen wählerisch. Ihre Weibchen fliegen zum einen nur ganz bestimmte Wirtspflanzen zur Eiablage an. Zum anderen muss diese sogenannte Raupennahrungspflanze dann auch in richtiger Anzahl, in passender Wuchsform und eben am richtigen, nämlich gut besonnten Standort wachsen, damit das Schmetterlingsweibchen sie als Kinderstube akzeptiert.
Rettungseinsätze für die Lichtwaldwarten
Unter diesen Voraussetzungen verwundert es kaum, dass Waldschmetterlinge, die Wirtspflanzen an sonnigen Standorten bevorzugen – die sogenannten Lichtwaldarten – mittlerweile deutlich seltener vorkommen als jene Arten, deren Nachkommen im Schatten des Waldes aufwachsen. „Eine Folge des aktuellen Waldbaus ist, dass die Zahl offener, lichtreicher Lebensräume in mitteleuropäischen Wäldern mittlerweile deutlich abgenommen hat und sich dadurch die Lebensbedingungen für sonnenliebende Waldtagfalterarten deutlich verschlechtert haben“, sagt Gabriel Hermann, Umweltingenieur und Schmetterlingsfachmann in der Arbeitsgruppe für Tierökologie und Planung, einem privatwirtschaftlichen Institut für Natur- und Artenschutzfragen im baden-württembergischen Filderstadt.
Schwarzer Apollofalter (Parnassius mnemosyne)
Der Falter hat in Deutschland sechs Unterarten, die nur regional vorkommen. In Europa kommt er meist zwischen 1000 – 1700 m über dem Meeresspiegel vor. Ideal geeignet als Biotop sind an Mischwälder grenzende Wiesen und Gebirgshänge mit Laubwald. Durch die hohen Ansprüche an daen Lebensraum ist diese Art sehr selten und nur inselartig anzutreffen. Die Falter sind sehr standorttreu und brauchen in der Nähe blütenreiche Wiesen als Nahrungsquelle.
Für vom Aussterben bedrohte Arten wie den Schwarzen Apollofalter oder den Braunen Eichen-Zipfelfalter ist die Situation mittlerweile so angespannt, dass Gabriel Hermann gemeinsam mit Naturschutz- und Forstbehörden Baden-Württembergs gezielte Rettungsmaßnahmen durchführt (siehe unser Interview dazu). Das heißt, an bekannten Rückzugsorten der Falter werden Lichtlöcher in den Wald geschlagen, sodass die Wirtspflanzen der entsprechenden Arten punktuell wieder im Sonnenlicht gedeihen können.
Solche Eingriffe zeigen innerhalb kurzer Zeit Erfolge. „Störungen wie Sturmwurf, Schneebruch, Erdrutsche, Schädlingsbefall oder auch das Fällen von Bäumen auf einer bestimmten Fläche geben die Initialzündung, dass sich bestimmte Biotopstrukturen im Wald überhaupt entwickeln können. Wenn wir uns diese Fläche nach zwei, drei Jahren anschauen, sind wir immer wieder aufs Neue verblüfft, wie naturnah sie sich entwickeln. Es summt, brummt und flattert. Auf solchen Flächen fliegen Schmetterlinge, die ein paar Meter weiter im geschlossenen Hochwald schon nicht mehr vorkommen können“, berichtet Gabriel Hermann.
Tipps für Waldbesitzer
Die Vielfalt der Waldschmetterlinge zu schützen, ist aber nicht allein Aufgabe der Forstverwaltungen. Jeder Waldbesitzer kann seinen Beitrag leisten, denn Licht an den Waldboden zu bringen, gelingt auch im kleineren Rahmen, sagt Gabriel Hermann: „Wenn wir zum Beispiel zwischen den Forstwegen und den angrenzenden Waldflächen breite Abstandstreifen hätten, sodass sich dort gut besonnte Waldsäume und entsprechende Waldmantelstrukturen aufbauen könnten, würden eine ganze Reihe Lichtwaldarten und andere Tagfalter davon profitieren; vor allem solche Arten, die heutzutage noch nicht hochgradig gefährdet sind, aber durchaus schon rückläufige Bestände zeigen – so etwa der Große und der Kleine Schillerfalter.“
Bergkronwicken-Widderchen (Zygaena fausta)
wird auch Glückswidderchen genannt und nur kommen mitllerweile nur noch sehr selten vor. Der rot-schwarz gemusterte Falter besiedelt steile Buchenwälder; allerdings nur jene Bereiche, in denen die Buche massiv ausdünnt oder flächig abgestorben ist, etwa wegen eines Bergrutsches oder aber, weil ein Areal vom Buchenprachtkäfer befallen wurde. Auf diesen Freiflächen wächst dann die Bergkronwicke, den den Falter für die Fortpflanzung braucht.
Beide Tagfalterarten sind in Deutschland noch weit verbreitet und fliegen in vielen Waldlandschaften. Allerdings hängt ihr Überleben von lichtbedürftigen Gehölzarten ab, die nur dort aufwachsen, wo eine kleine Lichtung oder Schneise entsteht und die zudem forstwirtschaftlich ohne Belang sind. Das heißt, sie werden früh gefällt, damit sie Nutzholzarten keinen Platz wegnehmen. Die Raupen des Großen Schillerfalters gedeihen bevorzugt an der Sal-Weide, jene des Kleinen Schillerfalters an der Zitterpappel. „Wo man diese Gehölze auf den Abstandsflächen und Lichtungen stehen lässt, wird man in vielen Waldgebieten auch regelmäßig die beiden Schillerfalter antreffen, mancherorts sogar den deutlich selteneren Großen Eisvogel (Limenitis populi)“, sagt Gabriel Hermann.
Gleiches gilt für Waldränder, die einen weiteren wichtigen Lebensraum für Waldtagfalter darstellen. „Der für Tagfalter optimale Waldrand besitzt einen Saum aus Kräutern und Hochstauden, dahinter folgt eine Reihe Sträucher und erst dann die ersten Baumreihen, sodass für jede Schmetterlingsart die entsprechenden Wirtspflanzen dabei sind“, sagt Elisabeth Kühn, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Tagfalter-Monitoring Deutschland“ am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. Somit zählt für Schmetterlinge, was auch für die meisten anderen Tiere und Pflanzen des Waldes gilt: Je struktur- und abwechslungsreicher der Lebensraum Wald ist, desto mehr Arten finden darin ein Zuhause.
Lesetipps:
- Jahresberichte und Hintergrundinformationen des Tagfalter-Monitorings Deutschland
- Das grosse Flattern – Waldtagfalter und andere Schmetterlinge im Wald, ornis 2/11, erhältlich hier als pdf
- Dasselbe Autorenteam hat vor acht Jahren auch die Broschüre „Waldtagfalter – Praktische Tipps für die Aufwertung von Lebensräumen“ veröffentlicht. Sie ist hier als pdf erhältlich.
- Bestimmungsbuch „Schmetterlinge – Die Tagfalter Deutschlands“ von Rolf Reinhardt, Reinart Feldmann, Josef Settele, Roland Steiner und Gabriel Hermann, Ulmer Eugen Verlag, 256 Seiten, 3. Auflage, 2015,
- Fachbuch „Störungsökologie“ von Thomas Wohlgemut, Anke Jetsch und Rupert Seidl (Hrsg.), Haupt Verlag, 1. Auflage 2019, hier unsere Buchbesprechung